Kapitel 12

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Was erhoffte ich mir eigentlich?
*

Ich konnte einfach nicht aufhören. Egal wo ich hinsah, meine Augen suchten nach Toprak. Sogar mein Körper versuchte unbewusst immer an Orten zu sein, wo er vielleicht auch sein könnte.

»Wohin gehst du?« wollte Banu im Treppenhaus unseres Wohnblocks wissen. Sie kam gerade von der Arbeit, als wir uns vor der Tür begegneten.
»Frische Luft schnappen« entgegnete ich ihr schnell und lief an ihr vorbei.

Als ich zurück an die Nacht dachte, in der mir Toprak geholfen hatte, erinnerte ich mich an die Plastiktüte in seiner Hand. "Südstadt Süpermarket" war in großen Buchstaben darauf gedruckt gewesen.

Ohne es zu wollen, aber irgendwie wollte ich es auch, plante ich am Tag nach der Versprechung von Banu, zu diesem Laden zu gehen. Ich war erst vor einigen Wochen endgültig verheilt und durfte wieder alleine raus in die Stadt. Außerdem war jeder nun beschäftigt mit Fotos vom Söz und ganz viel Telefonieren mit der Türkei.

In der Straßenbahn konnte ich vor Nervosität nicht aufhören, mit dem Anhänger meiner Kamera zu spielen. Ob er auch in dem Laden sein wird? Wie wird Toprak reagieren, wenn er mich sieht? Was erhoffe ich mir eigentlich?

Nur um sicher zu gehen, schaltete ich mein Handy auf Flugmodus, damit ich meine Ruhe hatte und nicht an Ünal denken musste. Allein der Fakt, dass ich ihn somit vermeiden wollte, weil er immer noch an meiner Pelle hockte, trieb mich in den Wahnsinn!

Natürlich hatte ich den Laden vorher gegoogelt und nach den Öffnungszeiten geschaut. Es war circa 23 Uhr, als Toprak vor zwei Monaten mit dieser Tüte auf uns gestoßen war. Und wie es im Internet stand, hatte der Laden wirklich bis 23 Uhr offen.

Die Bahn blieb stehen und ich sprang auf, um auszusteigen. Nach einigen Metern war ich auch schon da. Der kleine, türkische Einkaufsladen duftete schon aus der Ferne nach frischen Tomaten und anderem Gemüse.

Langsam begab ich mich hinein und sah mich um. »Was mach ich hier eigentlich« flüsterte ich zu mir selbst und schliff durch die einzelnen Gänge. Toprak war nicht hier. Wieso sollte er auch? Außgerechnet zur selben Zeit in dem Laden sein, von dem er eine Tüte in der Hand gehalten hatte. Ich schlendere planlos durch die Gänge und kam machte dann die Feststellung, dass ich den Verstand verloren haben muss. Ich wollte nicht mit leeren Händen durch die Kasse laufen, also schnappte ich mir Sonnenblumenkerne.

Enttäuscht, weil ich Toprak nicht gesehen hatte und gleichzeitig genervt über mich selbst, weil ich so naiv gewesen bin hierher zu kommen, lief ich zügig zur Kasse, um so schnell wie möglich zu verschwinden.

Plötzlich tippte mir jemand auf den Arm und mein Herz blieb stehen. Als ich mich umdrehte, stand vor mir ein kleiner Junge mit Brille.

»Schwester, hast du das fallen lassen?« fragte er und hielt mir eine goldene Glocke entgegen. Ich atmete aus und versuchte mich zu beruhigen. Für eine Sekunde hatte ich wirklich geglaubt, es wäre Toprak. Was habe ich mir dabei gedacht?! Of, Züleyha.

»Gehört er dir?« wiederholte der Junge noch einmal, als ich nicht antwortete.
»Oh, ehm. Ja, danke. Das ist mein Anhänger.«
»Bist du taub? Ich klingle dir seit einer Minute hinterher, du hast überhaupt nicht reagiert« lachte er und verschwand aus dem Laden.

*

Erst als ich wieder zuhause war, hatte sich mein Herz beruhigt. Ich zog meine Schuhe aus und betrat unsere klimatisierte Wohnung.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now