Kapitel 7

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Stört es dich, dass ich taub bin?
*

Nachdem ich einige Schritte zu Toprak vortrat, erkannte ich die Blutergüsse an seinen Augenringen. Der Schlag von Ünal hatte ihn direkt auf seine Nase getroffen. Dafür musste ich mich sofort entschuldigen, aber noch wichtiger war es, mich erst einmal zu bedanken. Aber wie mache ich das? Er konnte mich doch gar nicht hören.

Zögernd gab ich ihm ein leichtes Lächeln und er nickte mir zurück. Seine Ruhe war irgendwie ansteckend und ich bewegte mich automatisch bewusster und überlegter. Dann streckte ich ihm die Tüte mit seiner Jacke aus. Allmählich kam er auch auf mich zu und nahm die Tüte mit seinen weißen Händen entgegen. Vermutlich war er gerade dabei, mit weißem Ton zu arbeiten.

Langsam hob er seinen Zeigefinger und richtete ihn auf mich. Gleich danach zeigte er seinen Daumen hoch und sah mich fragend an. Ich nahm an, dass er wissen wollte, ob es mir gut geht.

Ohne es zu wollen, entwich mir ein Grinsen und ich machte auch meinen Daumen hoch. Als ich dann auf ihn deutete und ihn fragend ansah, nickte er auch lächelnd und zeigte somit seine Grübchen.

»Darf ich reinkommen?« fragte ich ihn, da ich wusste, dass er meine Lippen lesen konnte. Sofort machte er mir Platz und bat mich hinein. Der Laden war aufgeräumt und von gestern war nichts zu erkennen. Es kam mir erst in diesem Moment in den Sinn und ich drehte mich zu Toprak, um zu fragen »Wo ist Roland? Geht es ihm gut?«

Toprak schloss seine Augen und machte eine Gestik, als ob er Schlafen würde. Ich verstand.

Er sah mir nicht direkt in meine Augen, sondern irgendwie auf meinen Mund. Es schien mir so, als ob er jede Sekunde bereit dafür sein wollte, etwas von meinen Lippen zu lesen. Ich wollte ihn nicht länger warten lassen, denn ich hatte eigentlich nichts mehr zu sagen, also wandte ich mich ab und tat so, als ob ich mich umsah.

Auf der Arbeitplatte herrschte ein Chaos, aber gleich daneben war eine runde Platte mit einer weißen Kugel drauf. Toprak bemerkte, dass es mich interessierte und er gab mir ein kurzes Nicken. Er setzte sich auf einen kleinen Hocker und zog einen weiteren Hocker neben sich. Ich setzte mich auf den quietschenden Holzklotz und beobachtete leise, was er vorhatte.

Nachdem er seine Hände in einen Eimer voll Wasser getunkt hatte, trat er mit seinem Fuß einen Pedal unter dem Tisch, sodass die Platte sich nun drehte. Mit vorsichtigen Bewegungen legte er seine Hände an. Der weiße Tonblock formte sich und tat, was Topraks Finger wollten. Nach und nach trat er wieder auf das Pedal und beschleunigte die Platte, sodass er weiter arbeiten konnte.

Nicht einmal für einen kurzen Moment, wich sein Blick von seinem Werk. Hin und wieder huschten meine Augen auf sein konzentriertes Gesicht und seine langen Wimpern, welche kaum blinzelten. Vorsichtig formte er mit seinen Fingern intensiv weiter und bewegte sonst nichts.

Nun verlangsamte sich die Platte und Toprak fügte achtsam ein, zwei Korrekturen hinzu. Dann stand er auf und strich einige Stellen glatt. Er war fertig. Es war ein Krug.

»Fantastisch!« sagte ich und klatschte lachend in die Hände, aber ich stoppte abrupt. Toprak hatte weder meinen Lob, noch mein Lachen, noch mein Klatschen gehört. Erst, als er sich hinstellte und mich anlächelte, konnte ich sicher sein, dass er mich bemerkte.

»Sehr schön« lobte ich ihn erneut und er las meine Lippen.

Toprak legte seine weiße Hand senkrecht an sein Kinn und öffnete seine Handfläche nach vorne, als ob er mir ein Küsschen pusten würde. Er zeigte lächelnd seine Zähne und hoffte wahrscheinlich, dass ich es verstand.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now