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Arion erwachte von einem Kribbeln in seinen Füßen. Verschlafen setzte er sich auf. Das Feuer war herunter gebrannt, es rauchte nur noch ein kleines bisschen. Es war auch nicht mehr so hell wie vorhin, als er eingeschlafen war. Die Dämmerung war hereingebrochen. Wo heute Morgen noch alles in zartem Rosa glänzte, so schien jetzt orangenes Licht durch die Äste. Sammy schlief noch.

Nacheinander streckte Arion seinen Körper. Erst die Arme nach oben, dann seinen Kopf, seine Hände. Als er jedoch seine Zehen bewegen wollte, stockte er. Er fühlte seine Zehen am linken Fuß nicht mehr. Das war gar nicht gut. Hastig stieg Arion aus seinem Schlafsack und stand auf. Als er seinen Fuß und insbesondere die Zehen belastete, spürte er immer noch nichts. Es kribbelte nur leicht. Das durfte nicht wahr sein! Er hatte doch sowieso schon nur noch acht Zehen. Noch ein paar weniger wären jetzt gar nicht gut. Das konnte er nicht gebrauchen.

Er musste etwas tun. Das Erste, was ihm in den Sinn kam, war zwar unangenehm, aber es war die einzige Möglichkeit, die er hier draußen hatte. Urda hatte im Dorf eine besondere Salbe aus Kräutern und Fischöl, die das Gefühl in kalte Gliedmaßen zurück bringen konnte. Aber Arion hatte hier keine Wundersalbe. Kurzerhand zog er also seinen Stiefel aus. Die drei Paar Socken, die er darunter trug, folgten. Unangenehm eiskalte Luft drang an seine Zehen. Drei Stück waren schon leicht blau angelaufen. Arion nahm sich eine Hand voll Schnee und drückte es auf seinen Fuß. Dann rieb er kräftig, sodass die Schneekristalle an seiner Haut kratzten. Es tat weh. Die Kälte und die leichten Stiche, die der Schnee verursachte, ließen Arion aufstöhnen. Er biss die Zähne zusammen und wiederholte den Vorgang einige Male.

Sammy war von seinen Lauten wach geworden und hob interessiert seinen Kopf.

Langsam kehrte Blut in seine Zehen zurück. Arion spürte, wie sie begannen zu pochen und warm zu werden. Schnell zog er nun die Socken, Schicht um Schicht, wieder an und den Stiefel darüber. Er hatte vermutlich gerade noch einmal Glück gehabt. Hätte er es zu spät bemerkt, wären ihm seine Zehen vielleicht abgefroren. Wieder einmal musste Arion sich selbst bestätigen, dass die Kälte kein Spaß war. Und sie verschonte auch niemanden.

Da sein ganzer Körper etwas ausgekühlt war, entfachte er das Feuer neu. Er holte einen Scheit neues Holz vom Schlitten, als er etwas Höchsterfreuliches sah. In seiner Falle lag tatsächlich ein Schneehase. Kein wirklich großer, aber immerhin. Das wurde sein Frühstück.

Am Baum gegenüber entdeckte er noch Moos, dass er von der Rinde abkratzte und es Sammy hinwarf. Rentiere aßen manchmal Moos, damit ihnen das Blut in den Adern nicht gefror. Das hatte Arion mal irgendwo aufgeschnappt, aber er hatte nicht verstanden, wie das funktionieren sollte. Ein bisschen Unkraut und man gefror nicht zu einem Eisblock. Seltsam. Sollte er das vielleicht auch mal ausprobieren? Besser nicht...

Arion befreite den Hasen aus der Seilschlinge. Er atmete noch ganz leicht, anscheinend hatte er vergeblich und mit aller Kraft versucht, aus der Schlinge zu entkommen. Arion hatte ein bisschen Mitleid mit dem Tier. Aber sein Magen knurrte schon wieder, als wollte er ihn warnen, den Hasen bloß nicht laufen zu lassen. Wohl oder übel musste Arion das kleine Tier schlachten. Er holte das Messer, dass er aus der Küche seiner Mutter geklaut hatte, hervor. Dann ging er etwas abseits. Er wollte eigentlich nicht hinsehen, wenn er es tat. Zwar hatte er schon ein paar Mal ein Tier umgebracht und es noch öfter mitangesehen, aber es machte ihm noch lange keinen Spaß. Er setzte das Messer an die Kehle des Hasen und schloss die Augen. Plötzlich begann das Tier zu quietschen und sich zu bewegen, als spürte es, was ihm gleich bevor stand. Bevor es sich Arions Griff entwinden konnte, zog er das Messer einmal durch. Blut tropfte auf den Boden und färbte den Schnee. Arion hielt den Blick abgewendet. So schnell wie möglich bereitete er das Tier dann essbar zu. Das hatte er von seiner Mutter gelernt. Obwohl kochen nicht die Aufgabe der Männer war, war seine Mutter immer der Überzeugung, dass auch ein Mann für den Fall der Fälle kochen können sollte. Man wusste ja nie, was der Winter so für Überraschungen bereit hielt.

Erwachen des FrühlingsWhere stories live. Discover now