15. Die Lüge

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Heftig atmend keuchte er, Kälte fraß sich in seine Glieder, zitternd und energielos lag er auf dem Rücken, unfähig sich zu bewegen, zu atmen, etwas zu sagen. Ein Schmerz durchzuckte ihn, Worte hallten in seinem Kopf wieder.

„Du warst mir ein treuer Diener, Severus."

Die Stimme jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Angsterfüllt starrte er mit seinen dunklen, tiefschwarzen Augen an die Decke und erkannte das Bootshaus von Hogwarts. Hölzerne, dicke Balken zierten das Dach, Wasser tropfte von oben hinunter in sein Gesicht. Seine Kleidung war völlig durchnässt, er wollte aufstehen und weglaufen, verschwinden, fort von diesem Ort, diesem unheimlichen, schmerzerfüllten Ort. Er wollte zu ihr. Wo war sie? Wieso ließ sie ihn alleine? Wieso?

Mit aller Kraft versuchte er aufzustehen, doch mit jedem Versuch sich zu bewegen, zuckten höllische Schmerzen durch seinen Körper. Etwas an seinem Hals kribbelte, nicht schmerzhaft, sondern weich und angenehm. Er wollte es dennoch berühren, seinen Hals, seine Wunde, sie spüren, er wusste, wenn er seine Hand auf seinen Hals presste, dann würden die Schmerzen schlimmer werden, sie würden stärker werden, er wusste nicht wieso, aber er wusste es.

Wo war sie? Er vermisste sie so sehnlichst. Er wollte bloß zu ihr, sie in den Arm nehmen, er wollte ihren Kopf auf seine Brust legen, dann wäre alles gut, dann würden die Schmerzen für immer verschwinden, er wäre glücklich, er könnte Leben, atmen, sie an sich pressen und auf Vergebung hoffen. Sie hatte ihm verziehen. Er hatte Albus getötet, doch sie verzieh ihm. Er hatte Menschen gequält und ermordet, doch sie verzieh ihm. Er hatte Lily verraten, doch sie verzieh ihm. Er hatte sie jahrelang ignoriert, tyrannisiert und ihr das Leben schwer gemacht, doch sie verzieh ihm. Sie sah etwas in ihm, dass er längst aufgegeben hatte. Wo war sie nur? Er wusste, sie war hier, irgendwo, aber er konnte sie nicht finden, es war so dunkel, seine Konzentration schwand, sein Bewusstsein rang nach Atem, sein Kopf fühlte sich leer an und pochte unaufhaltsam. Alles, was er wollte, war, sie in den Arm zu nehmen, ihr über den Kopf zu streicheln, sie zu spüren, zu riechen – alles an ihr in sich aufzusaugen und sie nie wieder loszulassen.

Die Worte hallten erneut in seinem Kopf wieder.

„Aber du weißt, nur ich kann ewig leben."

Er wusste, jetzt würde es passieren, er würde sterben. Ohne sie zu sehen. Ohne ihr ein letztes Mal in die Augen zu blicken, ihre bernsteinfarbenen, neugierigen, liebevollen Augen. Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, durchzuckten ihn wahnsinnige Schmerzen und er fiel in eine tiefe, dunkle Schlucht, immer tiefer und tiefer.

Keuchend riss Snape seine Augen auf, starrte mit zitterndem, bebendem Körper an die Decke seines Bettes und setzte sich ruckartig auf. Sein Bewusstsein wollte nicht in der Realität ankommen, zu intensiv war dieser Traum gewesen. Er konnte nicht einordnen, ob es ein Alptraum oder ein Traum gewesen war. Heftig atmend stierte er auf seinen Kleiderschrank, der am Ende seines Bettes stand und legte eine Hand auf seine Brust, um seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Alles in ihm schrie danach aufzuspringen und Hermine zu suchen. Doch er war noch nicht vollkommen in der realen Welt angekommen, sein keuchender Atem durchschnitt die Stille seines Schlafzimmers. Erst nach wenigen Augenblicken bemerkte Snape, dass die Sonne schon hell am Himmel stand. Sein Kopf wanderte langsam zu einem kleinen Kellerfenster und ruhte auf den Wäldern von Hogwarts.

Er war definitiv nicht mehr zurechnungsfähig. Egal, was im Moment auch mit ihm passieren mochte, er war nicht mehr zurechnungsfähig. Die Bilder hämmerten in seinem Kopf, was war er nur für ein rücksichtloser Mensch gewesen. Wieso hatte er sich auf sie eingelassen?

War das jetzt die Strafe dafür? Wieso konnte er sich nicht an diese gemeinsame Nacht erinnern? Es war zum Verrücktwerden!

Kein einziger Moment, kein Gefühl – nichts!

AlpträumeWhere stories live. Discover now