Aussprache

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Anton war merkwürdig anhänglich in den folgenden Tagen. Harry freute sich zwar, doch es verwirrte ihn auch. Zwar war er es gewohnt, von seinem Freund bekuschelt zu werden, doch in den zwei Tage bis Weihnachten war es extrem.

Anton hatte schon Urlaub und erwartete Harry jeden Abend sehnsüchtig zuhause. Meist hatte er etwas gekocht oder sich sonst eine Überraschung einfallen lassen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde Harry denken, sein Freund hatte ein schlechtes Gewissen.

Am Tag vor Heiligabend hatte er ihn am oberen Treppenabsatz erwartet und in einen so intensiven Kuss gezogen, als sei Harry gerade aus dem Krieg heimgekehrt. Sie hatten es nicht einmal bis ins Schlafzimmer geschafft und stattdessen auf dem Wohnzimmerteppich miteinander geschlafen. „Was ist nur los mit dir?", hatte Harry keuchend gefragt, die Arme um Anton geschlungen und kurz in der Bewegung innegehalten. „Ich liebe dich. Darf ich das denn nicht?", war die Antwort gewesen und bevor Harry noch etwas hatte sagen können hatte sich Anton wieder auf ihn sinken lassen und er war verstummt. Stattdessen hatte er sich in einen Kuss verwickeln lassen und die Nähe genossen.

Wenn er daran dachte, kribbelte sein Nacken noch immer angenehm. Er war wieder im Krankenhaus und gerade dabei seinen Schreibtisch aufzuräumen. Heute hatte er die letzte Spätschicht und danach fuhren sie nach Holmes Chapel. Es würde also ein langer Tag werden.

Es klopfte an der Tür und Valentina kam herein. Natürlich hatte sie nicht darauf gewartet, dass Harry sie eingelassen hatte, denn das tat sie nie. „Dr Styles, ich habe jetzt Feierabend", verkündete sie und sah ihn erwartungsvoll an. „Sie haben Feierabend, wenn ich es Ihnen sage", korrigierte Harry sie trocken und reichte ihr einen Stapel Papier. „Das muss noch runter ins Archiv. Danach können Sie gehen." - „Aber ich bin zum Abendessen verabredet", protestierte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, ohne die Unterlagen entgegen zu nehmen. Harry seufzte und legte die Sachen wieder auf dem Schreibtisch ab: „Ihnen ist schon klar, dass man sich, wenn man den Beruf des Arztes ergreift, damit abfinden muss, nicht immer pünktlich aus dem Krankenhaus herauszukommen, oder? Die Krankheiten der Leute kennen keinen Feierabend oder Wochenende." - „Aber das hier sind Unterlagen", warf sie ein und Harry hob eine Augenbraue: „Richtig erkannt. Und ich bin Ihr Chef. Sie tun, was man Ihnen sagt, oder Sie können gehen. Dann brauchen Sie aber auch nicht wieder zu kommen. Ihre Arbeitsmoral reicht mir langsam." Die junge Frau schnappte entrüstet nach Luft, als hätte sie sich verhört und sagte dann ziemlich hochnäsig: „Gut, dann gehe ich." - „Fröhliche Weihnachten." Ungläubig schüttelte Harry den Kopf. Valentina hatte gerade tatsächlich ihre wichtige Assistentenstelle gekündigt, nur um pünktlich Feierabend machen zu können. Traurig war er über ihren Abgang jedoch nicht. Die junge Frau war nicht für den Beruf geeignet gewesen und wenn Harry von nun an eben keinen Assistenten mehr hatte, war ihm das nur recht.

Sie hatte dir Tür hinter sich offen gelassen und war abgerauscht. Harry steckte die Unterlagen selbst ein und verließ das Büro.

Mit dem Mantel und den Akten in der einen und der Tasche in der anderen Hand, ging Harry den langen Flur entlang. Im Krankenhaus war es still und er genoss es, alleine zu sein. Nachdem er seinen Kittel in den Spind im Aufenthaltsraum gehängt hatte, gab er die Unterlagen noch bei einer Kollegin im Archiv ab, dann ging es endlich nach Hause.

Die Koffer hatten sie schon gepackt und somit musste nur noch alles ins Auto bevor sie losfahren konnten. „Ich hab uns noch Sandwiches für unterwegs gemacht", sagte Anton nachdem sie endlich auf dem Weg waren und kramte in seiner Tasche. Er zog zwei in Alufolie gepackte Brote hervor und wickelte sie aus: „Ich habe einmal Käse und Avocado und einmal Humus und Kresse. Welches magst du?" - „Klingen beide gut. Gib mir einfach von beidem etwas", entschied Harry und Anton lachte: „Und wie soll ich die jetzt hier teilen? Das gibt ne riesige Sauerei." - „Dann esse ich einfach von einem die Hälfte." Er streckte die Hand aus und Anton reichte ihm ein Brötchen.

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt