Tag der Abreise

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Dass sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, änderte etwas in ihrem Inneren. Harry kam sich nun mit Louis auf eine ganz andere Art und Weise verbunden vor und dem schien es genauso zu gehen. Abends schliefen sie eng aneinander gekuschelt ein und auch, wenn Louis nachts nicht kuscheln konnte, weil ihm dann zu warm war, berührte er Harry immer irgendwo. Und wenn es nur eine Fingerspitze war, die Harrys Arm streifte. Sie hatten sich schnell an die Nähe des anderen gewöhnt und als der Tag kam, an dem Louis zurück nach London musste, waren sie beide nicht sonderlich glücklich. Die OP war mittlerweile fünf Tage her und Harry hatte die Krücken endgültig in die Ecke gestellt. Auch die Nähte waren schon soweit verheilt, dass Louis ihm gestattete, in die Dusche zu gehen, ohne das Bein vorher in Folie wickeln zu müssen, damit es trocken blieb.

Harry kam also jetzt ganz gut allein in seiner Wohnung zurecht und wäre ohne Louis zumindest nicht aufgeschmissen. Trotzdem wollte er gerne, dass er blieb, denn er hatte sich so an ihn gewöhnt.

„Sobald ich in der Klinik bin, schaue ich auf den Dienstplan und sage dir Bescheid, wann ich frei habe, dann sehen wir uns", versicherte Louis ihm am Morgen seiner Abreise zum gefühlten hundertsten mal. „Ja, ich weiß das hast du schon gesagt. Trotzdem wird es erstmal eine Fernbeziehung." Harry seufzte und lehnte sich mit seiner Kaffeetasse gegen die Spüle. Louis packte seinen Koffer und Harry würde ihn zum Bahnhof bringen. Der Zug ging um 11:36 Uhr und Harry wurde mit jeder Minute, die verstrich mürrischer. Er hasste Abschiede. Louis bemerkte seinen Blick, klappte den Koffer zu und kam zu ihm. „Ich kann doch nichts dafür, jetzt guck bitte nicht so, als würdest du gleich jemanden erwürgen wollen." - „Will ich aber", motzte Harry, stellte die Tasse ab, die klappernd in der Spüle landete und schlang die Arme um Louis: „Ich hab dich gerade erst wieder und jetzt bist du schon wieder weg. Ich weiß ja, dass es bis April nur noch sechs Wochen sind, aber trotzdem." Louis hob den Kopf, legte das Kinn gegen Harry und sah ihn an: „Nutz die sechs Wochen. Du wirst noch nicht Vollzeit arbeiten können. Geh zu Liam und mach so viel Krankengymnastik, wie möglich. Je eher dein Bein wieder alle Muskeln hat und beweglich ist, desto schneller bist du einsetzbar. Und davon hast du ja auch was." - „Ja du hast ja recht", gab Harry zu und wunderte sich, wieso er sich in seinem Alter nicht besser im Griff haben konnte. Doch Louis war ihm einfach wichtig. Er liebte ihn und die Vorstellung, ihm heute Auf Wiedersehen sagen zu müssen, war grauselig. „Wollen wir wenigstens noch zusammen frühstücken?", fragte Louis und Harry zuckte die Schultern: „Ich hab keinen Hunger. Außerdem reicht die Zeit sowieso nur noch für eine Tasse Tee. Wir müssen den Bus nehmen und der fährt in 20 Minuten."

Da das operierte Bein das linke war und Harry keinen Automatik Wagen besaß, konnte er nicht kuppeln und das Auto musste in der Garage stehen. „Willst du dich nicht noch von Niall verabschieden?" - „Nein, mit dem Skype ich einmal die Woche, das passt schon", sagte Louis und setzte Wasser auf. Harry sah ihm dabei zu und wollte sich gar nicht ausmalen, wie es war, wenn er wieder alleine in der Wohnung war. Wie still es hier sein würde. Wie schnell man sich an Gesellschaft gewöhnte.

Louis Tee war gerade abgekühlt, als es Zeit war zu gehen. Er verdrehte die Augen, trank ihn auf ex und ging dann zur Garderobe, um sich die Jacke anzuziehen. Harry folgte, schlüpfte in den dunklen Mantel und band sich einen Schal um den Hals. „Nein, du trägst den Koffer nicht", warnte Louis, als Harry danach greifen wollte und ging vor ihm her die Treppe hinunter.

Draußen blies ihnen ein kalter Wind entgegen und Harry kniff die Augen zusammen. Der Bürgersteig war etwas nass und Harry legte einen Arm um Louis Schultern, um ein wenig stabiler gehen zu können. „Du weißt, dass es ganz schön gefährlich ist, wenn du jetzt zurück fährst", fing er an, als sie das Bushäuschen erreicht hatten und sich setzten. „Wieso?" - „Weil ich dann niemanden mehr habe, an dem ich mich festhalten kann und wenn ich dann hinfalle und das Band wieder durch ist, dann ist das deine Schuld." - „Dafür hast du deine Krücken, du Dickkopf", lachte Louis und küsste ihn amüsiert darüber, weil Harry einen Grund nach dem anderen suchte, um ihn hier behalten zu können. „Ich komme dich besuchen oder du kommst mal nach London. Man Harry, glaubst du mir fällt es leicht zu gehen? Am liebsten würde ich sofort hier bleiben, aber ich habe in London auch noch einige Formalitäten zu klären." Harry seufzte und lehnte sich in dem harten Plastiksitz zurück: „Ja du hast ja recht."

Der Bus kam pünktlich und brachte sie an den geschäftigen Bahnhof von Birmingham. Louis kaufte seine Fahrkarte und musste sich dann in der Bahnhofshalle von Harry verabschieden, denn das Gleis konnte man nur betreten, wenn man eine Karte hatte. Sie umarmten sich und Harry küsste ihn mehrmals. „Gute Fahrt und ich freu mich, wenn du wieder da bist." - „Ich mich auch. Versprich mir, dass du dein Bein schonst und dich an die Anweisungen von Liam hältst, ja?" Er nickte und Louis lächelte. „Ich liebe dich." - „Ich liebe dich. Schön, dass ich dich endlich bei mir habe." - „Harry, werde jetzt bitte nicht schnulzig", lachte Louis und Harry sah ihn gespielt irritiert an: „Ich bin nicht schnulzig, das ist die Wahrheit." Sie küssten sich noch einmal, dann musste Louis los. Er passierte das Drehkreuz und sah sich noch einmal um, hob die Hand und winkte. Harry gab sich viel Mühe, unbeschwert zurückzuwinken, doch sein Lächeln kam ihm selbst nicht ganz authentisch vor. Auch in Louis Augen lag eine gewisse Traurigkeit, das sah er sogar von weitem.

Doch es waren ja nur sechs Wochen und dann hatten sie einander dauerhaft wieder.

3 Years • Part IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt