Kapitel 1

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Verdammt, schon wieder eine Nachricht von ihr. Hätte ich mein Handy nicht auf Vibration gestellt, hätte ich es bei der Lautstärke überhaupt nicht bemerkt. Diese ganzen kreischenden Fangirls machten es einem nicht gerade einfach, etwas zu verstehen, geschweige denn, eine vernünftige Unterhaltung zu führen, wenn man nicht schreien wollte. Aber was hatte ich erwartet? Eine lange geordnete Schlange ruhig wartender Menschen, die nur auf die Ankunft ihrer Filmstars warten, um Autogramme zu ergattern und danach den Film zu genießen? Bei der Premiere von The Maze Runner – Scorch Trials? In London, in den Osterferien? Niemals!

Ich zog mein Handy aus der Jackentasche und schaute auf den Display; vier verpasste Anrufe von meiner Mutter und drei Nachrichten, dass ich sie gefälligst zurückrufen soll.

Ich ließ den Blick über die Menschenmasse schweifen und überlegte, ob ich es nach vorne zum Roten Teppich schaffen könnte, um dem Maze Runner Cast wenigstens ein bisschen näher zu kommen. So schnell wie er gekommen war, verschwand mein kleiner Hoffnungsschimmer auch gleich wieder, als ich die vielen Menschen vor mir sah. All diesen sich aneinander drängenden, schwitzenden, Andere wegschubsenden Körper wollte ich dann doch nicht zu nah kommen. So wichtig war es mir dann auch nicht, die Schauspieler vor dem Film zu sehen. Klar, das ein oder andere Autogramm oder ein Foto mit einem der Schauspieler wäre schon ziemlich cool gewesen, aber ich stand noch nie auf Gruppenkuscheln und vermied so gut es ging jeden Körperkontakt mit fremden Menschen.

Ich war ziemlich überrascht, als meine Oma mir letzte Woche die Kinokarte in die Hand drückte und meinte, ich solle mich amüsieren. Sie wusste nicht einmal, dass ich den Film unbedient sehen wollte. Aber ich wette, sie hatte mir nur irgendetwas schenken wollen, um mich ein wenig aufzumuntern. Wie sehr ich sie liebte. Wie sie allerdings an die Karte gekommen war, war mir immer noch ein Rätsel.

Ich lebte erst seit einem Monat bei ihr, nachdem ich meine gesamte Kindheit in Berlin in Deutschland verbracht hatte und nach der Trennung meiner Eltern wieder zurück in mein Geburtsland gezogen bin. Hier wohnte meine Oma und ich war wirklich froh, dass ich bei ihr wohnen durfte. Meine Mutter kam zwar mit zurück nach London, aber da sie so viel arbeiten musste, hatte sie kaum Zeit für mich und unser Verhältnis war auch nicht das Beste.

Auf einmal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Stars wurden angekündigt und plötzlich schwoll das Gekreische der Fans so stark an, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. So große Menschenansammlungen waren noch nie mein Ding gewesen. Ich versuchte, einen Blick auf die Jungs zu erhaschen, was mit meinen 1,63 m und den riesigen Leuten vor mir leider nicht mit Erfolg gekrönt war. Ein bisschen enttäuscht gab ich es schließlich auf und dachte daran, dass es nach der Vorstellung noch ein Q&A geben würde. Vielleicht hatte ich ja dort die Chance, einen der Hauptgründe für mein Kommen und meine Begeisterung für den Film zu sehen: Thomas Brodie-Sangster. Für mich war er einer der Faktoren, weshalb der erste Film so ein Erfolg war und mein Interesse am Zweiten Teil geweckt worden ist. Er in der Rolle des Newts.... einfach großartig. Und ich spreche hier nicht nur vom äußerlichen Erscheinungsbild, wobei das natürlich ein wesentlicher Pluspunkt ist.

Plötzlich wurde ich das zweite Mal an diesem Tag aus meiner Gedankenwelt geholt. Jetzt war es das unaufhörliche Vibrieren meines Handys in meiner Hand. Ein Anruf. Meine Mutter. Nicht schon wieder. In diesem Moment wollte ich nun wirklich nicht über schulische Angelegenheiten mit ihr reden. Das hatte eh noch bis zum Ende der Ferien Zeit. Genervt drückte ich den grünen Hörer: „Ja? Was ist denn? Ich hatte dir doch gesagt, dass ich bei der Filmpremiere bin und wir morgen alles Wichtige besprechen können." Sie erwiderte irgendetwas, was ich nicht verstand. Es war einfach zu laut. Ich schrie ins Telefon, sie solle warten und dass ich ein ruhigeres Plätzchen suchen würde. Ich drehte mich einmal im Kreis und suchte einen Ort, an dem man ungestört telefonieren konnte. Mein Blick fiel auf eine Tür am anderen Ende des Vorraums, wo sich keine Fans aufhielten und auf der „Zutritt nur für Personal" stand. „Perfekt" dachte ich. „Die sind jetzt sowieso alle mit etwas anderem beschäftigt." Hatte ich das jetzt laut gesagt? Egal. Noch ein prüfender Blick, ob jemand vom Personal in der Nähe war und mich beobachtete, dann schlich ich mich zu dem Raum und schlüpfte durch die Tür. Beim Schließen der Tür hörte ich noch, wie auf einmal ein paar der Fans verwundert aufschrien, doch im Moment hatte ich andere Sorgen. Sollte es wichtig sein, würde ich es schon früher oder später mitbekommen.

In dem Raum herrschte völlige Stille. Solch eine Schalldichte hatte ich auch noch nie erlebt. Kein einziges Geräusch von Außen drang herein und ich erkannte, dass der Raum, in dem ich mich befand, eine Art Gemeinschaftsraum zum Entspannen für die Mitarbeiter sein musste. Die Wände des länglichen Raums waren in einem dunklem bordeaux-rot gestrichen und in der Ecke gegenüber der Tür stand ein riesiges, sehr gemütlich aussehendes, dunkelblaues Sofa. Davor war ein kleiner Couchtisch mit einer Glasplatte platziert, auf dem noch zwei leeren Kaffeetassen standen. Auf der anderen Seite entdeckte ich drei Sessel in demselben gemütlichen Design wie das Sofa und an den Wänden hingen einige Filmposter von Filmen, die in diesem Kino schon ihre Premiere gefeiert haben. Richtig heimelig. Hier konnte man wirklich entspannen.

Ich riss mich von dem einladenden Anblick los und ging zu dem Sofa, wo ich mich auf die Armlehne setzte und das Gespräch mit meiner Mutter fortsetzte: „Okay jetzt können wir reden. Was ist denn so wichtig, dass du mich jetzt anrufen musst? Beeil dich, der Film wird gleich vorgestellt. Ich will nichts verpassen."

„Dir auch einen wundervollen Morgen, bzw. Mittag. Tut mir Leid, dass ich dich bei dieser höchst wichtigen Angelegenheit störe, aber vielleicht wärst du trotzdem so gütig und verrätst mir, wo du die Anmeldeformulare für die Schule versteckt hast? Du weißt, dass ich die am Donnerstag abgeben muss und ich keine Zeit hab, sie bei Oma in deinem Chaos zu suchen." Ihre Ironie war kaum zu überhören. Wie nervig.

„Es ist nur so chaotisch, weil noch nicht alle meine Sachen aus Berlin angekommen sind, worum DU dich kümmern wolltest. Aber egal. Die Zettel sind irgendwo in einer der zwei Schreibtischschubladen in meinem Zimmer."

Ich konnte förmlich ihr entrüstetes Gesicht sehen, als sie laut schnaubte und erwiderte: „Du weist genau wie viel Zeit und Anstrengungen mich der Umzug gekostet hat. Also hör gefälligst auf, mir hier irgendwelche Vorwürfe zu machen. Die Sachen kommen im Laufe der Woche an. Denkst du etwa, mir macht das alles Spaß?"

Es war mir egal. Wegen ihr wurde ich in eine mir unbekannte Stadt verfrachtet, ohne Freunde, ohne Orientierung. Ich hatte hier niemanden außer meiner Oma und der englischen Sprache, die ich glücklicherweise mein ganzes Leben lang gelernt hatte. Fast hätte ich das alles laut gesagt. Langsam wurde ich etwas sauer.

„Du wolltest unbedingt zurück nach London. Papa und du hätten es wenigstens noch einmal versuchen können und nicht gleich die Scheidung einreichen sollen."

„Du hast keine Ahnung ,wie oft wir es versucht haben. Es ging einfach nicht mehr. Und jetzt hör verdammt noch mal auf, mir deswegen ständig Vorwürfe zu machen. Ich muss mir von einer 18 Jährigen nichts vorschreiben lassen!"

„Ihr habt es ja noch nicht einmal probiert, mir zu erklären, was ihr für Gründe hattet!" Ich war lauter geworden, als ich eigentlich wollte, aber es war mir in dem Moment egal. Sollte sie doch mitbekommen, wie verletzt, enttäuscht und angepisst ich war. Scheinbar war sie für einen Moment sprachlos, denn sie antwortete nicht sofort.

Gerade als sie zu einer Antwort ansetzte, wurde ich durch das Öffnen der Zimmertür aufgeschreckt. Jemand stürmte in den Raum, schmiss die Tür hinter sich zu und ließ sich, scheinbar erleichtert, mit dem Rücken gegen die Tür gedrückt, langsam zu Boden sinken.

Mein Herz blieb kurz stehen und meine Finger krallten sich augenblicklich in die Armlehne des Sofas. Zuerst dachte ich, dass es jemand vom Personal sein musste und machte mich schon darauf gefasst, gleich mächtig Ärger zu bekommen. Doch dann sah ich noch einmal genauer hin. Die Person hockte mit gesenktem Kopf auf dem Boden und hatte mich scheinbar noch gar nicht bemerkt. Langsam entspannte ich mich wieder ein wenig. Es war ein junger Mann mit verwuschelten, dunkelblonden Haaren.

Plötzlich hob er den Kopf und blickte in meine Richtung. Mit einem Mal stockte mir der Atem und ich hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen. Der kleine Augenblick der Entspannung war sofort wieder verflogen.

Der Typ, der mich geschockt anstarrte, war niemand anderes als Thomas Brodie-Sangster....


Do you trust me? (Thomas Brodie-Sangster FF)Where stories live. Discover now