Kapitel 4

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Sein Blick, irgendwie... keine Ahnung... unbeschreiblich. Es schien als fixierte er mich oder zumindest die Umgebung um mich herum. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn anstarren. Das Gequieke der Mädchen neben mir nahm ich kaum noch wahr. Er stützte seinen linken Arm auf der Armlehne seines Stuhls ab. Seine rechte Hand ruht mit seinem Mikrophone auf seinem linken Fußknöcheln, den er auf seinem rechten Knie abgelegt hatte. Obwohl er seine linke Hand leicht vor den Mund hielt, konnte man ein kleines Lächeln erkennen. Wem oder was es wohl galt? Ich wusste es nicht, konnte mich aber in diesem Moment auch nur schwer konzentrieren, eine Antwort darauf zu finden. Plötzlich senkte er langsam seinen Blick auf den Bühnenboden und schüttelte kaum merklich seinen Kopf. Das Lächeln behielt er noch einen Moment bei. Ich bin zwar der Meinung, dass ich nicht besonders gut im Lesen von Mimik und Gestik bin, aber ich hätte schwören können, dass er in diesem Moment über sich selbst lachte. Vielleicht erinnerte er sich aber auch nur an eine lustige Situation aus seiner Vergangenheit. Ich würde es wohl nie erfahren.
Auf einmal stupste Dylan Thomas leicht von der Seite an. „Was meinst du dazu, Thomas? Denkst du, man kann das so sagen?", sagte er dabei in sein Mikrophone. Thomas blickte ihn kurz verwirrt an und erwiderte dann: „Ähm... Sorry, ich war gerade irgendwie in Gedanken. Worum ging es noch gleich?" Er setzte eine unschuldige Miene auf und Dylan musste lachen.
„Wir wurden gefragt, wer von uns allen in den Drehpausen am meisten Blödsinn am Set gemacht hat und ich meinte, das wärst du gewesen. Stimmt doch, oder?" Dylan lächelte Thomas verschmitzt an. Natürlich wussten die meisten Anwesenden im Kinosaal, dass so etwas eher Dylan zuzutrauen wäre, immerhin gab es diesbezüglich genügend Videobeweise im Internet. Aber er schien bemerkt zu haben, dass sein Kumpel nicht ganz bei der Sache war und nutzte die Situation einfach mal schamlos aus. Eigentlich hätte Thomas die offensichtliche Ironie Dylans Aussage entnehmen können. Wohl immer noch keinen klaren Gedanken fassen könnend antwortete er allerdings: „Ja das kann sein." Aus dem Augenwinkel hatte ich beobachtet, wie die restlichen Darsteller auf der Bühne sich ihr Lachen verkniffen hatten. Durch Thomas' Worte konnten sie jetzt allerdings nicht mehr an sich halten und brachen allesamt in schallendes Gelächter aus. Selbst der Moderator musste mitlachen, ebenso wie die meisten Leute aus dem Publikum. Thomas schien langsam zu bemerken, was er da gerade gesagt hatte und lachte einfach peinlich berührt mit.
Neben mir vernahm ich plötzlich zwei mir mittlerweile bekannte Stimmen. „Oh mein Gott, Ashley... Sieh nur wie süß er lacht. Ich kann es kaum glauben. Er war abgelenkt. Von uns. Er hat uns gesehen und musste die ganze Zeit an uns denken. Verdammt, er sieht soooo süß aus!"
„ Sarah, ja, du hast recht. Wir haben ihn voll beeindruckt. Er konnte an nichts anderes denken als an uns. Hoffentlich spricht er uns an und nimmt uns mit zur Party, die für den Cast nachher noch steigt. Ich will unbedingt seine Nummer haben. Kannst du dir vorstellen, wie geil das wäre, wenn wir ihn treffen könnten?"
„ Oh mein Gott, dann hätte ich mein Lebensziel erreicht und könnte glücklich sterben. Das wäre so genial!!"
Genervt von so viel Fanliebe verdrehte ich die Augen und bekam gerade noch mit, dass der Moderator sich wieder gefangen hatte und eine kurze Pause des Q&A ankündigte, damit sich alle wieder ein bisschen beruhigen konnten.
Wieso mussten gerade die beiden neben mir sitzen? Oder besser: warum konnte ich diese Nervensägen nicht einfach ignorieren? Im Grunde konnte konnte ich die Situation eh nicht ändern, aber vielleicht hätte man sie besser gestalten können. Na ja, jetzt war es sowieso zu spät. Ich saß jetzt hier und nicht woanders. Und die beiden Quietscheenten musste ich nun leider ertragen.
Durch plötzliche Rufe von Fans aus der ersten Reihe wurde meine Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne gerichtet, beziehungsweise auf die Sitzreihen direkt davor. Die Darsteller nutzten die kurze Pause, um noch ein paar Autogramme zu schreiben und ihren Fans die Chance für ein oder zwei Fotos zu geben. Obwohl ich nicht vorhatte, ihn zu suchen, hielt ich unwillkürlich Ausschau nach Thomas. Mir fiel auf, dass er nicht bei seinen Freunden und den Fans stand. Ich ließ meine Blicke über den vorderen Teil des Kinosaals schweifen und entdeckte ihn schließlich in der hinteren Ecke der Bühne zusammen mit einem großen, komplett in schwarz gekleideten Typen. Ich konnte ihn aufgrund der Entfernung nicht genau erkennen, da er im Schatten eines großen Lautsprechers stand, war mir aber ziemlich sicher, dass es derselbe Mann war, der mich von den Nervensägen befreit hatte. Er stand mit dem Rücken zum Publikum und redete mit Thomas. Nein, eigentlich hörte er nur zu und nickte, wenn Thomas ihm etwas sagte. Dabei blickte Thomas gefühlt immer wieder kurz in meine Richtung. Ich konnte mich auch täuschen, aber spürte irgendwie immer wieder seine Blicke. Hoffentlich war es nichts Schlimmes. Was, wenn er ihm von unserem Zusammentreffen vorhin erzählte? Hatte ich jetzt ein Problem? Verdammt, warum musste auch ausgerechnet mir so etwas passieren? Hatte ich nicht schon genug andere Sorgen?
Mit einem Mal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als sich der Moderator wieder zu Wort meldete. Wie hieß der überhaupt? Hatte er sich am Anfang vorgestellt? Wahrscheinlich schon und ich hatte es einfach mal wieder nicht mitbekommen. Na ja, jetzt war es sowieso egal. Die TMR-Stars begaben sich wieder zu ihren Stühlen und der Typ neben Thomas verließ die Bühne Richtung Ausgang. Auch der Moderator nahm wieder neben Wes Ball platz. Durch ihn erfuhren wir, dass nur noch 30 Minuten Zeit blieben, um weitere Fragen zu stellen. Sofort schossen die Hände der Fans in die Höhe und alle versuchten verzweifelt, noch ihre Frage stellen zu können. Ich versuchte, mich wieder auf sie zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht mehr. Meine Gedanken kreisten die gesamte Zeit um Thomas und was seine Blicke und das Gespräch mit seinem Bodyguard zu bedeuten hatte. Mittlerweile war ich mir ziemlich sicher, dass er sein Bodyguard war,da ich sein Gesicht beim Verlassen der Bühne kurz sehen konnte. Es war definitiv der selbe Mann, der zuvor Thomas und die anderen zur Bühne gebracht hatte.
Die 30 Minuten vergingen so schnell, dass ich fast zu spät bemerkte, dass der Moderator schon dabei war, den Schauspielern für ihre Zeit und den Fans für ihr Erscheinen zu danken. Er schüttelte allen Stars noch einmal die Hände und wünschte allen Anwesenden eine gute Heimfahrt. Dann verschwand er schnell von der Bühne, ebenso wie die Schauspieler. Das Licht, das die ganze Zeit nur auf halber Stärke geleuchtet hat, wurde nun wieder voll angemacht und die Zuschauer machten sich daran, ihre Sachen einzupacken und sich langsam Richtung Ausgang zu bewegen. Auch ich richtete mich langsam auf und stellte meine Tasche neben mich auf dem Boden in den Gang, um meinen Cardigan, den ich vor dem Start des Films abgelegt hatte, da mir zu warm geworden war, wieder anzuziehen. Dabei bemerkte ich nicht, wie sich mir von hinten jemand näherte. Erst als ich mich wieder umdrehen wollte, um den Massen nach draußen zu folgen, sah ich noch aus dem Augenwinkel, wie eine große, dunkel gekleidete Person in meine Richtung lief, dann plötzlich ins Straucheln geriet und auf meine Tasche stürzte. Geschockt dachte ich zuerst, jemand wolle meine Tasche klauen und machte mich schon innerlich bereit, zuzuschlagen. Die Person richtete sich umständlich wieder auf und hielt meine Tasche auch wirklich in der Hand. Allerdings erkannte ich schnell, dass es der Bodyguard von Thomas war, dem ich da gegenüberstand. Da er ungefähr vier Köpfe größer war als ich, dachte ich schon, er würde mich einfach zur Seite schieben und mit meiner Tasche verschwinden. Doch das tat er nicht. Stattdessen hielt er mir meine Tasche hin und meinte: „Das tut mir leid. Ich hoffe, es ist nichts kaputt gegangen." Verdattert starrte ich ihn mit großen Augen an und brachte nur ein hastiges „Nein, nein, heute hatte ich nichts Zerbrechliches dabei" heraus. Wie das wohl ausgesehen hatte. Aber darüber konnte ich auch noch später nachdenken. Mit den Worten „Na dann bin ich ja beruhigt. Hier, bitteschön. Einen schönen Abend noch" überreichte er mir meine Tasche und drängte sich entgegen des Stroms vorbei an den Kinobesuchern zurück in Richtung Bühne.
Verwirrt klammerte ich mich an meine Tasche und ließ mich von den Massen zu den Ausgängen treiben. Im Vorraum angekommen brauchte ich erst einmal einen Augenblick, um wieder klar zu denken. Ohne mich noch einmal umzudrehen lief ich nach draußen auf den Bürgersteig und weiter bis zur nächsten Straßenecke. Dort angekommen blieb ich endlich stehen und holte einmal tief Luft. Was war das denn gerade gewesen? Warum stand Thomas' Bodyguard so plötzlich vor mir? Und warum war er so nett? Fragen über Fragen. Und dann traf es mich wie der Blitz. Verdammt, war ich denn blöd? Ich hatte mich überhaupt nicht nach seinem Befinden erkundigt. Wie unhöflich war das denn bitte? Der Mann hätte sich verletzten können und ich kümmerte mich nur um meine Tasche und darum, ob er sie vielleicht klauen wollte. Oh Gott, Mila, was war bloß los mit dir? So hatten dich deine Eltern doch nicht erzogen. Junge, junge... ein Glück hatte das niemand wirklich mitbekommen. Langsam beruhigte ich mich wieder und bemerkte, dass meine Fingerknöchel von der Umklammerung meiner Tasche schon weiß hervortraten. Ich lockerte meinen Griff, holte noch ein weiteres Mal tief Luft und machte mich dann auf den Weg zum Haus meiner Oma.
Da es mittlerweile schon recht dunkel war, entschied ich mich, ein Taxi zu nehmen. Zum Glück fuhr gerade in diesem Moment ein leeres Taxi an mir vorbei. Durch Handzeichen machte ich den Fahrer auf mich aufmerksam und stieg ein. Ich nannte ihm die Adresse meiner Oma und lehnte mich erschöpft gegen die Rückwand des Taxisitzes.
Wir fuhren vorbei am Feierabendverkehr und nach kurzer Zeit ließen wir den Trubel von London City hinter uns. Wir fuhren entlang der Themse in eine ruhigere Gegend Londons, wo das Einfamilienhaus meiner Oma stand. Sie wohnte in Greenwich, einem der schönsten Bezirke Londons, wie ich fand. Vor ihrem Haus wühlte ich, ohne wirklich hinzusehen, in meiner Tasche nach meinem Portmonee. Zuerst dachte ich, es wäre weg, doch dann fand ich es, bezahlte die Fahrt und stieg aus. Sichtlich erschöpft ging ich ins Haus. Als ich am Wohnzimmer vorbei kam, sah ich meine Oma vor dem Fernseher sitzen. Müde streckte ich den Kopf zur Tür rein und begrüßte sie: „ Hallo Grandma. Du, ich erzähle dir morgen wie es war, in Ordnung? Ich bin echt hundemüde." Sie dreht sich zu mir um und lächelte. „ Alles klar, meine Kleine. Dann schlaf' gut und träum' was Schönes, ja?" „Danke Grandma. Du auch. Gute Nacht." Damit verabschiedete ich mich und ging in mein Zimmer. Da noch nicht alle meine Dinge aus Berlin angekommen waren, hatte ich auch noch keine Lust gehabt, mein Zimmer irgendwie herzurichten. Dementsprechend chaotisch sah es auch aus. Mein Bett stand einfach mitten im Raum und drum herum stapelten sich Umzugskartons. In einer Ecke stand mein Schreibtisch, dessen Schubladen weit aufgerissen waren. Scheinbar hatte meine Mutter gefunden, was sie brauchte. Aber in diesem Moment wollte ich nicht weiter darüber nachdenken. Wir stritten uns nur noch und ich war gerade echt zu müde, um darüber nachdenken zu wollen.
Ich schnappte mir meine Schlafsachen und huschte in mein eigenes Badezimmer, das ich jetzt besaß. Jawohl, ein eigenes Badezimmer nur für mich allein. Es war zwar nicht sonderlich groß, bot aber Platz für alles, was man so brauchte. Sogar eine Dusche fand in einer Ecke noch einen Platz. Ich putzte mir die Zähne und erledigte meine Abendroutine sehr viel schneller als sonst. Normalerweise nahm ich mir dafür immer mindestens eine halbe Stunde Zeit, aber heute wollte ich einfach nur noch schlafen. Endlich fertig fürs Bett ging ich zurück in mein Zimmer. Dort schnappte ich mir noch einmal meine Tasche, setzte mich auf mein Bett und suchte mein Handy. Irgendwo in dieser verflixten Tasche musste es doch sein. Hoffentlich hatte es Thomas' Bodyguard nicht doch noch vorhin eingesteckt. Jetzt dachte ich schon wieder an ihn. In diesem Moment fand ich endlich mein Handy. Allerdings war das nicht das Einzige, was ich in meiner Tasche entdeckte. Ein kleiner Zettel lag zusammengefaltet und halb versteckt unter meinen Kopfhörern. Wo kam der denn plötzlich her? Meine Eintrittskarte konnte es nicht sein, die war erstens größer und zweitens lag sie schon auf einer Kiste, die ich zur Zeit noch als Nachttisch nutzte. Ich nahm den Zettel aus meiner Tasche und stellte diese neben mein Bett auf den Boden. Den Zettel in der Hand haltend, legte ich mich vollständig ins Bett und faltete ihn zögerlich auseinander. Mit großen Augen las ich das Geschriebene, um es gleich darauf noch einmal zu lesen. Und noch einmal. Ich konnte es nicht glauben, was da geschrieben stand:

„Morgen Mittag, 11 Uhr Park Road ecke Baker Street
gegenüber vom Restaurant 'The Volunteer',
Komm allein, aber keine Angst, dir passiert nichts."


Der Tag wurde ja immer besser. Was sollte ich denn damit anfangen? Von wem kam der Zettel und warum befand er sich in meiner Tasche? Hatte Thomas' Bodyguard was damit zu tun? Vielleicht hatte er ihn auch einfach nur verloren, als er auf meine Tasche gefallen war. Obwohl... nein. Oh man, was sollte ich denn jetzt denken? Ich war so schockiert, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ich versuchte angestrengt, eine Erklärung für das alles zu finden. Aber es gelang mir nicht. Müde durch die Ereignissen des Tages und den neuen Fragen, die der Zettel aufwarf, wurden meine Augenlider immer schwerer und ich fiel schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Do you trust me? (Thomas Brodie-Sangster FF)Where stories live. Discover now