Kapitel 7

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Vor lauter Schreck, einen kleinen Schrei unterdrückend, drehte ich mich blitzschnell um. Und da waren sie wieder. Diese Augen. Sie hatten mich schon bei den letzten beiden Zusammentreffen fasziniert. Doch dieses Mal konnte ich mich nicht wirklich auf sie konzentrieren. Zu tief saß der Schock und die weiterhin vorhandenen Angst, dass gleich etwas Schlimmes passieren würde.
Langsam realisierte ich, dass da jemand vor mir stand und eine Antwort erwartete. Aber es war nicht irgendjemand. Es war Thomas. Wo kam der denn plötzlich her? Der Bus war doch leer gewesen, zumindest in dem Moment, als ich mich umgesehen hatte. War ich jetzt schon verrückt geworden? Ich trug zwar eine Brille, aber so blind war ich ganz sicher nicht. Oder vielleicht doch? Verdammt, Mila... mach was. Bewege dich. Sag doch irgendwas. Aber ich konnte einfach auf nichts reagieren. Die Lähmung, die ich vor dem Einsteigen in den Bus noch gespürt hatte, hatte sich mittlerweile in meinem gesamten Körper ausgebreitet und ließ mich total regungslos, mit offenen Mund und angsterfülltem Blick im Gang stehen. Thomas sah mich ein wenig ratlos an und wandte sich dann an seinen Bodyguard. „Ivan, Hast du ihr irgendetwas getan? Sie scheint ja komplett verstört..."
„Nein Mr. Sangster. Ich habe sie nur abgeholt und hergebracht, so wie Sie es gewünscht haben", ertönte es auf einmal hinter meinem Rücken. Es dauerte einen Moment, bis das Gefühl in meine Gliedmaßen zurückkehrte und mein Gehirn wieder soweit in der Lage war, relativ klare Gedanken zu fassen. Langsam schaute ich von Thomas zu seinem Bodyguard und wieder zurück. Ich konnte es immer noch nicht begreifen. Was ging hier vor? Warum wollte Thomas, dass ich hierher kam? Und was hatte sein Bodyguard damit zu tun? Fragen über Fragen. Meine Gedanken rasten. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, aus der ganzen Sachen unversehrt herauszukommen. Doch wie? Thomas schien bemerkt zu haben, dass ich langsam wieder zu mir fand und richtete seine nächsten Worte an mich: „Du fragst dich sicherlich, was das hier wird. Die ganze Heimlichtuerei mit dem Zettel, dem Bus usw. Keine Sorge, ich kann dir alles erklären. Na ja zumindest werde ich es versuchen..." Leicht verzweifelt sah er mich an. „Bitte sag doch irgendwas." Ich öffnete meinen Mund, als wollte ich zu einer Antwort ansetzen, schloss ihn aber auch gleich wieder, da ich keine Ahnung hatte, was ich fragen oder sagen sollte.
„Vielleicht sollten wir uns erst einmal setzten." Er deutete auf eine Reihe von Sitzen auf der rechten Busseite und trat zwei Schritte zur Seite, sodass ich an ihm vorbei zu dem mir angebotenen Platz gekommen wäre. Allerdings rührte ich mich keinen Zentimeter. Ich stand weiterhin wie angewurzelt an derselben Stelle. Offenbar wusste Thomas nicht genau, was er nun tun sollte, denn er ließ sich einfach mit einem erschöpften Seufzen direkt auf den Platz hinter ihm fallen und starrte zu Boden. Erst jetzt kam Bewegung in meine Beine. Zögernd und wie automatisiert ging ich auf den Sitzplatz ihm gegenüber zu und ließ mich langsam in den Sitz sinken. Thomas' Bodyguard hatte es sich in der Zwischenzeit hinter dem Lenkrad bequem gemacht und sah aus dem Fenster.
Was genau erwartete man jetzt von mir? Unsicher blickte ich zwischen Thomas und der Fahrzeugtür hin und her. Konnte ich es riskieren, zur Tür zu rennen und zu verschwinden? Wohl eher nicht. Vermutlich war sie von innen verschlossen und außerdem hätte ich dann an 'Ivan' vorbei gemusst. Das wäre bestimmt mein Todesurteil gewesen, denn auch wenn er über und über mit Muskeln bepackt war, hatte er bestimmt auch Reflexe wie ein Leopard. Meine Finger suchten wieder den Reißverschluss meiner Jacke und spielten nervös an ihm herum. Da ich nicht wusste, wo ich nun hinschauen sollte, tat ich es Thomas gleich und betrachtete eingehend den Boden des Fahrzeugs. Ein stinknormaler Fahrzeugboden. Nichts besonderes. Graues Material, das leicht zu reinigen war, vermutlich. Wobei... Eine Reinigung hätte der Boden dringend nötig gehabt. Sah schon recht mistig aus. Na ja, ein Fahrzeugboden halt. Mein Gott, daran war doch nun wirklich nichts Interessantes. Warum konnte ich mich nicht wie ein normaler Mensch verhalten? Fand ich jetzt wirklich den Boden eines Touristenbusses interessanter als das, was mir ein ziemlich bekannter Schauspieler zu sagen hatte? So tief war ich also schon gesunken. Beinahe hätte ich über mich selbst gelacht. Mila, wo sollte das nur hinführen?
Thomas hatte sich die gesamte Zeit nicht gerührt, doch jetzt hob er leicht seinen Kopf und starrte mich an. Zwar sah ich ihn nur aus dem Augenwinkel, da ich weiterhin den Boden mit meinen Blicken durchlöcherte, dennoch spürte ich seinen Blick auf meinem Gesicht. Trotzdem konnte ich mich in diesem Moment nicht dazu durchringen, ihn direkt anzusehen. Die Stille im Bus wurde immer erdrückender. Ich beschloss, den Versuch, abzuhauen, zu wagen, wenn sich in den nächsten zwei Minuten nichts täte. Koste es, was es wolle. Innerlich machte ich mich schon für einen Sprint zur Fahrzeugtür bereit, als Thomas plötzlich das Wort ergriff.
„Es tut mir leid." Wow, das war alles? Vielleicht ging es auch etwas präziser? Was genau tat ihm leid? Und warum? Ich warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Er sah mich immer noch direkt an. Konnte er bitte weiter reden? Ich wusste nämlich überhaupt nichts darauf zu antworten. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sprach er weiter. „Es tut mir echt leid. Die Geschichte im Kino bei der Premiere, die Heimlichtuerei mit der Zettelnachricht, die ganze Situation jetzt... einfach alles. Wahrscheinlich musst du jetzt wer-weiß-was von mir denken..." Toll, das half mir jetzt auch nicht wirklich. Ich wusste weiterhin nicht, was ich sagen sollte. Wenn ihm das alles so leid tat, warum hatte er dann so gehandelt? Klar, niemand sollte erfahren, dass es ihm nicht sonderlich gut ging, vor allem die Fans nicht, aber warum hatte er sich dann mir anvertraut und das Ganze hier inszeniert? Langsam bekam ich das Bedürfnis, auch etwas zu sagen, um diese ganzen Fragen in meinem Kopf vielleicht irgendwie ordnen zu können.
Okay Mila, überlege dir jetzt gut, was du sagen wolltest. Nicht dass du am Ende vor Peinlichkeit am liebsten im Boden versinken würdest. Ich nahm meinen Mut zusammen und sagte: „Ich.... Warum...?" Das war alles. Mehr brachte ich nicht zustande. Eigentlich krächzte ich es mehr, als dass ich es sagte. Bravo Mila, du hattest dich damit offiziell zum Depp gemacht. Dem Schauspieler huschte ein leichtes Lächeln über die Lippen. „Du kannst ja doch noch sprechen." War das gerade sein Ernst? Natürlich konnte ich noch reden, aber was sollte ich ihm bitte sagen? Wahrscheinlich hätte er in meiner Situation genauso wenig zu sagen gehabt. Obwohl... vermutlich hätte er genau gewusst, was zu sagen wäre. Bestimmt würde er nicht einmal in solch eine Situation geraten. Schließlich war er Thomas Brodie-Sangster. Schauspieler mit einem Monstrum als Bodyguard, der ihn vor allem und jedem beschützte.
Da ich keine Reaktion zeigte, fügte er leiser hinzu: „Sorry, scheinbar sind Witze gerade nicht so angebracht..." Verlegen blickte er zur Seite, was ich allerdings nur sehen konnte, da ich nach seinem Kommentar endlich in der Lage war, meinen Kopf zu heben und ihn anzusehen.
„Warum bin ich hier?" Wow, mein erster vollständiger Satz seit einer gefühlten Ewigkeit. Und meine Stimmer hatte nicht einmal gezittert. Ich war irgendwie stolz auf mich. Keine Ahnung, warum. Das war schließlich keine riesige Leistung. Egal... Thomas hatte seinen rechten Arm auf der Rückenlehne seines Sitzes abgelegt und hielt seine Hand wie bei der Premiere vor seinen Mund. Sein Blick hatte etwas Nachdenkliches, als er mich betrachtete. Was überlegte er so lange? Wollte er mir nicht alles erklären? Oder wie er es ausgedrückt hatte: zumindest versuchen?
Auf einmal meldete sich sein Bodyguard zu Wort. „Ich möchte mich ja nicht einmischen Mr. Sangster, aber ich glaube, die Dame wartet auf eine Antwort von Ihnen." Danke, Ivan. Das tat ich tatsächlich. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie kam mir dieser Mann plötzlich gar nicht mehr so bedrohlich vor. Er hatte während der gesamten Zeit, die bis jetzt vergangen war, auf seinem Platz hinter dem Lenkrad gesessen und ein Buch gelesen. Außerdem fiel mir erst in diesem Moment auf, dass er sich bis jetzt immer sehr höflich ausgedrückt und mich nicht ein einziges Mal grob angefasst hatte. Eigentlich hatte er mich bis jetzt noch nicht einmal berührt. So gesehen also eine sehr zurückhaltende Persönlichkeit, die nur durch ihre bloße Erscheinung diese enorme Kraft ausstrahlte und einem Angst einjagen konnte. Möglicherweise konnte er auch genauso stark und bedrohlich sein, wie er auf den ersten Blick wirkte, jedoch konnte ich nicht weiter darüber nachdenken, denn Thomas wusste nun scheinbar wieder, was er sagen wollte. „Ähm, ja... natürlich wartest du auf eine Antwort. Tja, also: warum bist du hier? Zuerst einmal weil hier keine Menschen sind, die einen die ganze Zeit beobachten und mir dazwischen funken könnten." Verwirrt sah ich mich um. Ein Bus mit großen Fenstern, an denen etliche Menschen vorbei liefen, empfand er als einen Ort, an dem einen niemand beobachten konnte? Doch mit einem Mal erkannte ich, was er gemeint hatte. Es war mir vorher nicht aufgefallen, da ich nicht darauf geachtet hatte, aber alle Fenster bis auf die Windschutzscheibe waren dunkel getönt, sodass man von Außen kaum etwas von Innen erkennen konnte. Leichtes Entsetzen machte sich in mir breit und Thomas schien das zu bemerken, denn er erwiderte schnell: „Sorry, so war das nicht gemeint. Ich wollte nur damit sagen, dass hier keine Fans hinter irgendeiner Ecke hervorspringen und uns belagern. Tut mir leid, wenn das jetzt falsch rüberkam." Mein Herzschlag beruhigte sich wieder allmählich und ließ es zu, dass ich ihm direkt in die Augen blicken konnte. „Und was ist der andere Grund, weshalb ich hier bin? Also nicht hier, sondern wozu dieses Treffen?" Was redete ich da schon wieder? Klare Formulierungen waren wohl nicht so meine Stärke in Situationen wie diesen. Thomas hatte mich wohl trotzdem verstanden. Er antwortete: „Wie gesagt: ich wollte mich bei dir entschuldigen. Dass ich mich bei dir ausgeheult habe, dass Monica und James so unfreundlich zu dir waren... Einfach alles." Ah ja, und warum genau das alles? Ich hatte dich doch nach deinem Befinden gefragt. Am liebsten hätte ich ihm genau das gesagt. Stattdessen fragte ich nur: „Wer sind Monica und James?" Im selben Moment fiel mir wieder ein, wen er meinte, aber er setzte schon zu einer Antwort an. „Monica Simons und James Garfield – meine Agentin und ihr Assistent. Sie waren ziemlich aufgewühlt, als ich plötzlich nicht mehr da war."
„Ah ja." Wow, ich war ja echt sehr wortgewandt. Um nicht ganz so abweisend zu klingen, setzte ich noch hinterher: „Und warum genau warst du plötzlich weg bzw. nicht mehr bei ihnen?"
„Hatte ich dir doch erzählt... es wurde mir einfach alles zu viel. Das Gedränge und Gekreische... Ich meine, ich liebe meine Fans, aber manche sind echt verrückt. Privatsphäre kennen einige von ihnen wohl gar nicht."
„Das stimmt wohl. Und Rücksicht auf andere nehmen sie anscheinend auch nicht." Eigentlich hatte ich die Worte nur leise vor mich hin gemurmelt, Thomas hatte sie aber trotzdem gehört. Plötzlich lächelte er und meinte: „Ivan hat dich da gestern wohl echt gerettet. Diese zwei Mädchen habe ich schon bei mehreren Veranstaltungen gesehen. Die machen vor niemandem halt." Sein Lächeln wich einem traurigem Blick, der von einem ratlosen Schulterzucken begleitet wurde.
„Ganz richtig im Kopf sind die dann aber auch nicht, oder? Wie kann man nur so verrückt sein?"
„Tja, einige zeigen ihre Liebe und Zuneigung so und manche halt anders." Wieder dieses ratlose Schulterzucken.
„Das ist doch keine Liebe. Das ist einfach nur krank. Punkt." Verständnislos schüttelte ich meinen Kopf und verschränkte meine Arme vor der Brust. Thomas erwiderte nichts, sondern musterte mich von oben bis unten. Sein Blick. Ich konnte ihn nicht genau deuten. Irgendwie lag etwas Unergründliches in ihm. Wachsamkeit? Neugier? Unsicherheit? Ich wusste es nicht. Um mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, wich ich seinem Blick aus und sah mir den Bus ein wenig genauer an. Hinter dem Fahrersitz führte eine kleine Treppe ins obere Stockwerk, wo sich weitere Sitzmöglichkeiten befanden. Die Sitze hier unten waren allesamt rot gepolstert, immer zwei Sitze nebeneinander auf jeder Seite, bestimmt jeweils 10 oder 11 solcher Reihen auf beiden Seiten hintereinander gereiht. Im hinteren Teil des Busses führte zusätzlich eine weitere Treppe vom oberen Stockwerk nach unten, allerdings gab es dort keinen Ausgang. Wer den Bus verlassen wollte, musste am Fahrer vorbei und dieser Platz wurde derzeitig immer noch von Ivan besetzt. Der schien nichts von dem Gespräch zwischen Thomas und mir mitzubekommen, so vertieft wie er wieder in sein Buch war. Zumindest schien es so. Mein Blick wanderte zurück zu Thomas. Er hatte mich die ganze Zeit beobachtet. Sein Stirn lag in Falten und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, voran er gerade dachte.
Gerade überlegte ich, was ich zu ihm sagen konnte, als sein Blick an mir vorbei nach draußen glitt und er plötzlich zusammenzuckte. „Schnell Mila, duck dich!" Hä, was war denn jetzt los? Hatte er einen Anfall oder wie? Oder hatte er draußen vor dem Bus etwas gesehen? Ich wollte mich gerade umdrehen, als Thomas rief: „ Ivan, Code: rosa! Los, nichts wie weg hier! Mila, bitte duck dich!" Was zur Hölle war hier los? Thomas hatte sich inzwischen selbst zwischen der Sitzreihe versteckt und blickte mich flehend an, es ihm gleich zu tun. Ivan fragte erst gar nicht, warum Thomas plötzlich so abging, sondern startete einfach den Motor und gab Gas. Weil ich nicht wusste, was hier gerade passierte, rutschte ich langsam von meinem Sitz auf den Boden und suchte Thomas Blick. „Verdammt noch mal, was ist denn los?" Von meiner Position aus versuchte ich, nach draußen zu schauen, doch durch die getönten Scheiben konnte ich nichts erkennen und verrenkte mir meinen Hals umsonst.
Thomas hatte scheinbar seine Sprache wieder gefunden und deutete mir mit der Hand, unten zu bleiben.
„Mila, bitte verstecke dich zwischen den Sitzen. Ivan macht das schon. Ich erkläre es dir sobald wir hier weg sind. Bitte Mila, vertraust du mir?"

Do you trust me? (Thomas Brodie-Sangster FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt