Kapitel 4

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Luna schlägt die Eingangsplane eines Zeltes zu Seite. Zuerst waren mir noch ein paar Skeptiker misstrauisch durch die Hüttensiedlung gefolgt, aber allmählich hatte sich die Menschenansammlung rund um mich vollständig aufgelöst und so hatte Luna mich noch in Ruhe etwas in der Halle herumgeführt, bis wir schließlich vor diesem Zelt stehengeblieben waren. Mein Blick fällt in den kleinen Raum des Zeltes. Die Decke ist so niedrig, dass sich fast jeder den Kopf stoßen würde, wenn er aufrecht stehen würde, und auch so bietet das Zelt nur dem Nötigsten Platz. Auf der rechten Seite steht ein Feldbett, was augenscheinlich auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Matratze ist alt, durchgelegen und wenn ich mich nicht irre, hat sich da gerade eine Kakerlake aus dem Staub gemacht. Dem gegenüber stehen ein kleiner Klapptisch, wie man sie auch zum Camping benutzt, sowie der dazugehörige Stuhl. An der Rückwand stapeln sie viele alte Umzugskartons, zumindest sagt das der verblichene Schriftzug auf der vergilbten Pappe. Von der Decke hängt eine alte nackte Glühbirne, die durch ihr dämmriges Licht den Raum nur noch kleiner wirken lässt.

Zögerlich betrete ich den Raum. Luna drängelt sich ungeduldig an mir vorbei. „So, Al möchte, dass du etwas zum Anziehen bekommst. Das ist die Hütte eines alten Freundes von ihm. Gehe also äußerst vorsichtig mit allem um! Dahinten in den Kisten findest du alles, was du brauchst." Damit verlässt sie das Zelt wieder. Ich setze mich erschöpft auf das Bett. Was für ein Tag!

Eine lange Zeit liege ich nur stumm da und betrachte die Decke. Dann stehe ich auf und ziehen den ersten Karton vom Stapel. In einer geschwungenen Handschrift steht dort der Name >Ky<. Ich öffne ihn nach einigem Zögern.

Ganz obenan liegt ein alter zerbrochener Spiegel. Ich betrachte stumm das Bild, was er wiedergibt. Ein Junge maximal 20 Jahre alt. Mittellange weiß-blonde Haare, eine helle Haut und blassblaue Augen. „Das bin also ich.", sage ich leise. Ich lächle traurig. Schon krass, denke ich. Nicht mal mein eigenes Aussehen war mir noch bekannt. Was ist nur mit mir passiert?

Ich lege die Scherben behutsam bei Seite. Dann streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht und untersuche den restlichen Inhalt des Kartons.

Schließlich entscheide ich mich für eine graue Hose und ein weißes Hemd. Ich ziehe die schwarzen Lederstiefel an, die in einer Ecke standen und will gerade wieder hinausgehen, als Al ins Zimmer tritt. Er blickt sich kurz um und ich kann für einen Moment einen traurigen Ausdruck in seinen Augen erkennen. Dann blickt er mich an und zwingt sich zu einem Lächeln. Er mustert die Klamotten und nickt kurz, als ein Zeichen von Zustimmung. „Hier" Al tritt an mir vorbei und greift unter das Bett. Er holt eine schwarzschillernde Weste heraus und reicht sie mir. „Die schützt dich zumindest etwas vor den Taserwaffen der Polizisten oder den der O-F-U-A." Er richtet sich wieder auf, geht zum Eingang des Zeltes, schlägt die Plane zurück und sieht stumm lächelnd auf die sich vor ihm erstreckende kleine unterirdische Stadt. Ich betrachte dagegen schweigend die Weste in meinen Händen. Ich klopfe leicht dagegen. Sie wirkt sehr stabil, ist aber trotzdem sehr leicht. „Einfach über den normalen Klamotten tragen.", sagt Al ohne sich zu mir umzudrehen. „Sie kann dir das Leben retten, wenn die O-F-U-A hinter dir her ist. Glaube mir! Ich spreche aus Erfahrung." Er dreht mir den Kopf zu und lächelt. „Die O-F-U-A ...", hebe ich leise an, ohne meinen Blick von der Weste in meiner Hand zu lösen. „... was genau ist das, die O-F-U-A?" Ich blicke schüchtern zu Al auf. Dieser blickt mich einen Moment überrascht an. Dann dreht er sich wieder zu mir um und mustert mich eindringlich. „Du hast also auch keinerlei Erinnerungen mehr?" Ich blicke ihn verwirrt an. „Nein. Ich bin in einem Krankenhaus aufgewacht. Woher soll ich wissen, warum die alle hinter mir her sind? Und wieso überhaupt "auch"? Al fängt an zu grinsen und hebt entschuldigend die Hände. "Alles gut mein Lieber. Ich hatte nur mal einen Freund, der ganz ähnliche Sachen durchgemacht hat, wie du." "Achso", murmle ich leise zu mir selbst. Ich wende meinen Blick ab. „Sollte ich denn eine Ahnung haben, was das Ganze mit mir und der O-F-U-A auf sich hat, meine ich?", frage ich ihn schüchtern. „Nein, aber simple gesagt zieht ihr sie an, wie Motten das Licht." Er schmunzelt. „Na gut, dann werde ich es dir erklären." Er setzt sich auf das Bett. „Also, ich werde ganz am Anfang anfangen, die O-F-U-A ist das Akronym für die „Organization for unauthorized Affairs". Also eine Einheit, die sich darauf spezialisiert hat, sogenannte Errors, wie auch du einer zu sein scheinst, aufzuspüren und zu eliminieren. Keine Ahnung wer ihnen diese Aufgabe übertragen hat, aber wenn du mich fragst, dann sind sie nichts weiter als ein Haufen von Mördern und seelenlosen Monstern. Und dieser Roy, dem du auch schon begegnet bist, ist der Schlimmste von allen." Al blickt finster zu Boden. „Ähm ... und was genau ... ist jetzt so ein Error?", frage ich schüchtern.  Al blickt mich erstaunt an. „Oh, hat Roy das nicht rausposaunt? Eigentlich musste sich das bisher jeder anhören, der ihm begegnet ist." "Doch die vielen Explosionen ist er bestimmt nicht mehr dazu gekommen.", sage ich trocken, worauf Al lauthals an zu lachen anfängt und mir anerkennend auf die Schulter klopft. "Ja, das kann schon sein." Sein Lachen verstummt, als er merkt, wie ernst ich gucke. Er räuspert sich kurz. "Aber nun zu deiner Frage. Wir leben in einer Zeit der kompletten Überwachung. Die Bevölkerung muss sich den menschenfeindlichen Regeln und Gesetzen beugen, die ihr irgendjemand auferlegt hat. Mit der Zeit hat sich ein Gerücht in der Bevölkerung verbreitet. Es soll sich eine Gruppe gebildet haben, welche besonders vom System gefürchtet wird. Das erzählt man sich zumindest. Was genau sie sind, weiß keiner. Die Furcht vor ihnen war so groß, dass eine eigene Abteilung eingerichtet wurde, um sie zu vernichten, die O-F-U-A. Aber keine Sorge, wir hatten hier bereits schon einmal einen Error. Wir wissen, dass ihr nichts Böses wollt. Ich war damals sehr gut mit ihm befreundet." Er lässt seinen Blick kurz durch das Zelt schweifen. „Sein Name war Ky." Der Name, der auf der Kiste steht, denke ich. Al beobachtet mit traurigem Blick, wie eine kleine Kakerlake zwischen seinen Stiefeln hin und her läuft. „Was ist mit ihm geschehen?", frage ich vorsichtig.

„Er ist gestorben." Er wirft mir einen kurzen Blick zu. „Auch er kam damals ohne Erinnerungen zu uns, als er vor der O-F-U-A geflohen war. Ich habe ihn in unsere Gruppe aufgenommen und habe mich schnell mit ihm angefreundet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch keiner von uns jemals einen, von diesen sagenumwogenden Errors gesehen, aber er ich habe schnell erkannt, dass ich, mit ihm an meiner Seite deutlich größere Chancen habe, zu gewinnen. Er war scharfsinnig und hilfsbereit zu jedem. Mit diesen Eigenschaften hat er mir öfter mal das Leben gerettet. Aber nicht nur mir, uns alle hat er gerettet. Die O-F-U-A sind uns nach einer missglückten Mission in der Innenstadt in die Kanalisation gefolgt. Sie überfielen unser Lager gerade als unsere stärksten Kämpfer noch in der Stadt mit sich selbst zu tun hatten. Somit war keiner da, um die Lager Verbliebenen zu beschützen. Sie haben uns eingekesselt, aber anstatt alle zu töten wollten sie nur den Error haben. Die O-F-U-A hat angeboten, die übrigen Menschen am Leben zu lassen, wenn Ky sich für sie opfern würde. Und wie nicht anders von ihm zu erwarten, hat Ky sich darauf eingelassen und hat somit das Leben der anderen gerettet." Al schüttelt seinen Kopf, als versuche er damit die traurigen Bilder aus seinem Gedächtnis schütteln.

Ich mustere ihn nachdenklich. Er ballt seine Hand zu Faust. Plötzlich steht er ruckartig auf. „Na gut, dann ..." Er sieht mich an und nickt kurz. Dann verlässt er hastig das Zelt. "Hey warte!", rufe ich ihm nach und laufe zum Eingang, wo die Plane noch hin und her schwingt. Ich blicke ihm nach. Er geht wieder zurück zu seinem Zelt.

„Interessant." Ich schrecke zusammen. Luna steht neben mir, lässig ans Zelt gelehnt. „Er redet sehr selten und ungern über die Sache mit Ky und wenn doch, dann nur so, dass er keine Gefühle zeigen muss. So angreifbar, wie gerade eben, zeigt er sich sonst bei niemandem." Sie stellt sich mir gegenüber und funkelt mich böse an. „Kleiner Tipp von mir, halt dich von ihm fern, klar! Wir alle überleben hier nur noch, weil wir einen starken Anführer haben. Aber wenn du weiter in seiner Vergangenheit herumstocherst, schwächst ihn. Al ist wie ein Bruder für mich, also halt dich von ihm fern, denn wenn du ihn verletzt, bekommst du es mit mir zu tun!" Sie dreht sich wieder weg. Wenn ich mich nicht, irre, dann zittert ihre Stimme.

„Nicht einmal bei mir hat er sich so geöffnet."

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