Kapitel 15

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Ich spüre, wie mich jemand am Arm packt und mit einem Ruck wieder an die Oberfläche zieht. Ich spucke blind einen Schwall Dreckwasser aus. „Festhalten, ok?" Al treibt vor mir im Wasser und hält mich am Kragen fest. Ich starre ihn benommen an. Dann nicke ich schwach und halte mich an seiner Schulter fest. „Ok, dann los." Al dreht sich um und schwimmt mit kräftigen Zügen zu einer dicht bewachsenen Uferböschung. Das überschüssige Regenwasser wird also durch die Kanalisation direkt in einen Fluss geleitet. Am Ufer wartet bereits der Rest der Gruppe. Soweit ich das mitbekomme scheint es allen anderen soweit gut zu gehen. Luna springt ebenfalls ins Wasser und greift mir unter die Arme. Al steigt ans Ufer und zieht mich anschließend am Kragen mit an Land. Ich breche hustend vor ihn zusammen. „Danke", keuche ich. Al mustert mich kurz. „Keine Ursache Zero. Ich lasse hier niemanden so einfach sterben!" Er lächelt und geht hinüber zu Mitch, der versucht bei seinen Zigaretten zu retten, was noch zu retten ist.  Ich blicke hinauf in den weiten Himmel. Die Regenwolken haben sich zwar verzogen, die Luft sich aber immer noch sehr feucht und regnerisch an. Außerdem setzt bereits die Dämmerung ein. „Kommt Leute, ich will nicht so nah am Flussufer übernachten. Die Flutgates stehen jetzt offen und wenn's es noch mehr regnen sollte, wird hier wieder alles überflutet. Ein Stück weiter in den Wald müssen wir also noch." Al stampft durch das dichte Geäst. Die anderen kommen nach und nach auf die Beine und trotten schweigend hinter ihm her. Alle sehen sehr müde aus. Eine Mutter neben mir drückt ihr weinendes Kind erleichtert an sich. Sie haben alles verloren, denke ich. Ihr zu Hause, alle ihre Habseligkeiten. Die Mutter hebt ihr Kind hoch und wirft mir einen aufmunternden Blick zu. Wie schafft sie es in dieser Situation noch einen so optimistischen Eindruck zu vermitteln? „Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren.", sagt sie freundlich zu mir und reicht mir hilfsbereit die Hand entgegen. Ich sehe zu Mitch hinüber. Er stopft seine durchnässten Zigaretten sauer in seine Jackentasche und folgt Al. So ganz ohne Zigarette im Mund habe ich ihn noch gar nicht gesehen, denke ich. „Na, alles in Ordnung?" Neben mir steht Daisy. Ihre Klamotten sind zwar nass, aber sie sieht nicht mal ansatzweise so mitgenommen aus, wie der Rest des Zugs aus Menschen, die alle nur noch stumm Al durch den Wald hinterherstolpern. Wahrscheinlich alles nur zu Tarnung, denke ich. Bestimmt stand nur kurz unter einer Dusche um ihre Klamotten nass zu machen. Sie stinkt auch nicht wie diese eklige Pampe, durch die wir gespült wurden. „Hey!" Sie fuchtelt mit der Hand vor meinem Gesicht. „Ob mit dir alles in Ordnung ist, habe ich gefragt." „Was geht dich das denn an?", fragt Luna snippisch. „Wow so schlecht gelaunt?", fragt Daisy sie lächelnd. Luna dreht nur genervt mit den Augen. Dann zieht sie mich an ihre Seite. „Komm, folgen wir unserem Helden." Sie lächelt mich an. „Unserem Helden?", frage ich trocken. Luna mustert mich erstaunt. „Ja, natürlich. Al ist doch ein Held." „Ist er das?" „Na aber hör mal!" Luna baut sich vor mir auf und stemmt protestierend die Arme in die Seite. „Wer hat dich denn bitte gerade aus dem strömenden Fluss gerettet? Al ist sofort ins Wasser gesprungen, als du vorbeigetrieben bist. So schnell hätte kein anderer von uns reagieren können. Also ja, Al ist ein Held!" Ich lächle amüsiert. „Rege dich wieder ab Pumuckl. Ich sage doch gar nichts mehr." Sie greift nach meiner Hand und zieht mich in den Wald. Bald haben wir Al eingeholt, der grimmig dreinblickend, sich neben Mitch seinen Weg durch das dicht verwucherte Unterholz sucht.

Wir kommen auf eine kleine Lichtung, umringt von großen Eichen und Buchen. „Al, lass uns doch hierbleiben. Guck dir diese großen Bäume an. Selbst wenn jetzt noch einmal regnen sollte, bieten Sie uns genug Schutz." Ich werfe Daisy einen misstrauischen Blick zu. Was hat sie vor? Al sieht sie kurz an. „Ist gut.", antwortet er dann und lässt sich unter einen Baum fallen. Erschöpft lehnt er seinen Kopf gegen den Stamm. „Es reicht. Hier bleiben wir."

Ich setze mich unter eine knorrige Weide, etwas weiter entfernt von der Masse. „Na? Wofür hast du dich entschieden?" Daisy setzt sich neben mich. „Wie, wofür ich mich entschieden habe?" „Na das Ding hier." Sie hält den Stab in die Luft, den Roy mir gegeben hat. „Woher hast d ..." Ich will danach greifen, aber Daisy zieht ihren Arm weg. „Ich habe ihn vorhin am Flussufer gefunden. Du musst ihn wohl verloren haben. Du solltest besser darauf aufpassen!" Damit schnippt sie ihn in die Luft und sieht amüsiert dabei zu, wie ich ihn versuche zu erreichen. Sie lächelt. „Was denkst du jetzt gerade über Al?" Ich sehe sie fragend an. Sie deutet mit einem Kopfnicken in seine Richtung. Er sitzt drüben in einer Gruppe von Leuten und unterhält sich lächelnd. „Was soll ich denn von ihm halten?", frage ich Daisy. „Naja, er hat zugesehen, wie Mitch dich durchs Zelt geschleudert hat. Dabei hättest du dich auch verletzten können. Er hat nichts dagegen unternommen. Aber trotzdem hat er dich dann höchstpersönlich aus dem Fluss gezogen. Wie passt das zusammen?" Ich schweige. „Ach komm schon!" Sie stupst mir in die Seite. „Du musst doch irgendwas über diesen Verbrecher da drüben denken." Dann wende ich ihr langsam den Kopf zu. „Weißt du was? Halt doch einfach mal deine Klappe! Ich habe keine Lust mehr darauf, dass du mir dauerhaft beide Seiten von Al vor Augen hältst. Ich habe es mittlerweile kapiert, ok? Al's Charakter hat mehrere Facetten und ich muss mich entscheiden ob ich ihm vertraue oder nicht. Wie oft willst du mir das noch sagen? Merkst du das nicht? Wir drehen uns im Kreis. Also ziehe endlich Leine! Ich will jetzt meine Ruhe haben." Daisy mustert mich abfällig. „Du wirst schon noch sehen, was du davon hast.", murmelt sie im Gehen.

Ich betrachte stumm den Stab mit dem leuchtend roten Knopf in meiner Hand.

„Entscheide dich und dann drücke diesen Knopf in einer passenden Situation"

„Hey, was hast du denn da?" Ich drehe mich erstarrt um. Timo hängt hinter mir im Baum. Auch die Köpfe von Konrad und Luki tauchen hinter ihm auf. „Was ist das da Zero?" Er deutet auf meine Hand. „Das? Das ...ähm ...das ist nichts!" Sie suche panisch nach einer Erklärung. Sie sehen mich erwartungsvoll an. Na gut, denke ich, dann halt der Klassiker. „Guckt mal da! Was ist das denn?" Ich deute hinauf in den Baum. Die drei Jungen folgen meinem Blick. In dem Moment drehe ich mich um und werfe den Stab in hohem Bogen in den Wald. „Hast du da wirklich was gesehen Zero?" Der Köpfe der Jungen erscheinen wieder über mir. „Ja, ich bin mir sicher da war irgendwas." Timo kneift die Augen zusammen. „Versuchst du uns auf den Baum zu jagen?" „Ähm nein. Warum sollte ich das denn tun?" Ich lächle unsicher zu ihm hinauf. „Lügst du?" Timo kopiert mein schiefes Lächeln. „Nein, tue ich nicht.", antworte ich ihm. Timo fängt an breit zu grinsen. Dann macht er Schweinebaumeln an einem Ast. „Dann ist ja gut. Luna hat uns erklärt, dass man nicht lügen darf. Sie hasst Lügner." „Ja, das ist auch richtig so.", antworte ich ihm. Ich bemerke, wie sich Jean aus der Gruppe rund um Al löst und zu uns herüberkommt. „Ich denke ihr müsst los.", sage ich zu den Kleinen. „Kommst du nicht mit?", fragt mich Konrad erstaunt. „Nein, lass mal. Ich bin schon zu müde." „Abmarsch Männer!" Jean tritt an meine Seite und pflückt den am Ast hängenden Timo vom Baum. „Und du ruhst dich aus, verstanden?" Er deutet warnend mit dem Zeigefinger auf mich. Ich nicke kurz. „Ich pass schon darauf auf, dass er sich ausruht." Luna tritt lächelnd zu uns.

Wir blicken Jean und den Kleinen hinterher, wie sie in der Dunkelheit verschwinden. Luna nimmt meine Hand. „Komm, wie setzen uns zu den anderen." Sie zieht mich rüber zur Gruppe. Al verstummt kurz als wir uns zu ihnen setzen. Dann lächelt er. „Na, alles wieder ok?" Ich nicke. „Dann ist ja gut." Er verschränkt lässig die Arme hinter dem Kopf. „Wir sollten uns jetzt alle ausruhen. Das war ein anstrengender Tag für uns alle." Die anderen legen sich rund um ein kleines Lagerfeuer. „Ich halte Wache.", meldet sich Daisy. „Ich auch.", meldet sich Taju. „Ist gut. Zwei Wachen sollten reichen." „Aber vielleicht sollte ich auch ...", hebe ich unsicher an. „Er sagte doch, dass zwei ausreichen. Und vor allem du solltest dich jetzt ausruhen.", sagt Luna bestimmt. Ich blicke zu Daisy hinüber. Die lächelt mich nur triumphierend an. „Jetzt komm schon, leg dich hin" Luna schubst mich sanft nach hinten. Dann legt sie sich neben mich. Sie lächelt und blickt in den dunklen Nachthimmel über uns.

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