Kapitel 13

85 3 17
                                    


Daisy zieht mich bis zur Mitte der Höhle hinter sich her. „Sag mal, was denkst du dir eigentlich dabei, so mit den Beiden zu reden, wenn du ganz alleine bist? Ich habe dir doch gesagt, dass sie gefährlich sind." Sie stößt mich vor sich her in Richtung Ausgang und klettert hinter mir die Wand hoch. Oben bleibe ich atemlos stehen. „Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt bitte machen?", frage ich sie. Daisy blickt hinunter zu meinem Zelt, wo Al und Mitch jetzt stehen und misstrauisch anstarren. Sie wendet sich mir wieder zu. „Ich denke, es ist besser, wenn du erst einmal gehst. Vertritt dir ein bisschen die Beine in den Tunneln, bis sich die beiden da unten wieder beruhigt haben." Sie stößt mich in den dunklen Tunnel. Ich stolpere rückwärts. „Was soll denn das?", frage ich verärgert und stehe aus dem dreckigen Wasser auf. Doch Daisy ist bereits wieder verschwunden.

Ich laufe eine Weile durch die dunklen Gänge, die ich bereits vorhin mit Jean und den Kleinen erkundet habe. Was würde ich jetzt dafür geben, wenn sie hier wären. So ganz allein sind die endlosen finsteren Tunnel noch unheimlicher. Nicht mal meine Taschenlampe habe ich dabei. Die liegt sicher in meinem Schlafsack im Lager. Also Taste ich mich langsam an der Wand entlang, bis ich zu einer Abzweigung komme. Wenn ich mich recht erinnere, kommt man hier durch zum Tunnel unter der Versorgungssäule, bei der ich mit Luna war. Das Wasser steht mir hier bis über die Knie. Es muss seit meinem letzten Aufenthalt hier angestiegen sein, denke ich. Mitch hatte etwas von starken Regenfällen erzählt. Bestimmt leiten sie ihr Regenwasser hier runter in die Kanalisation, schlussfolgere ich. Blind wate ich weiter durch das stinkende Wasser. Mein Fuß bleibt an einem Rohr hängen, was am Grund des Wassers verläuft und ich schlage der Länge nach in die miefende Brühe. Fluchend komme ich wieder auf die Beine und versuche meine Augen von dem Dreckwasser zu reinigen.

„Na?" Ich drehe mich erstarrt um und blicke in den funkelnden Lauf einer Taserwaffe. Erschrocken stolpere ich wieder zu Boden. Roy grinst breit. Ich starre ihn panisch an. Genugtuung steht in seinem Gesicht, was sich im schwachen Licht seiner Waffe geradeso erahnen lässt. „Wenn du jetzt laut nach Hilfe rufst erschieße ich dich sofort." Ich versuche zu schlucken. Ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet. Also bleibe ich wie erstarrt im Wasser sitzen und beobachte panisch jede kleine Bewegung seiner Waffe. „Ist das nicht sehr gefährlich hier auf mich zu schießen, mit einer Taserwaffe, wo sie doch selber im Wasser stehen?", frage ich ängstlich. Er schaltet gelassen eine Taschenlampe ein. „Wir sind weitaus besser ausgerüstet als ihr Kleiner." Er leuchtet auf seine Hose. „Die Klamotten sind alle nichtleitend, verstanden?" Hinter Roy tauchen währenddessen die anderen Mitglieder der OFUA auf. Mein Blick huscht panisch zwischen ihnen hin und her. Es müssen mindestens ein Dutzend sein, die ich in der Dunkelheit ausmachen kann, aber ich bin mir sicher, dass sich dahinter noch weitere befinden. Ich rutsche weiter von Ihnen weg, bis ich mit dem Rücken an die kalte Wand stoße. „Was habt ihr ...? Wie ... wie habt ihr ...", stammle ich. „... euch gefunden?", beendet Roy meinen Satz. „Ach, das war ganz leicht." Er beugt sich zu mir runter und leuchtet mit einer Taschenlampe direkt ins Gesicht. „Hör mir mal zu Kleiner! Ich bin gerade eigentlich nicht darauf aus dich zu töten. Deine Ergreifung ist für uns gerade zweitrangig. Im Moment bin ich hinter jemand anderem her." „Und hinter wem?" Ich halte mir schützend die Hände vor die Augen, um nicht weiter geblendet zu werden. „Nun, zurzeit lautet mein Befehl der örtlichen Kriminalpolizei bei der Ergreifung eines bestimmten Flüchtigen zu helfen." Er richtet sich wieder auf und lässt seine Taschenlampe über die dreckigen alten Fliesen an den Wänden schweifen. Dann mustert er mich. „Na, ich denke du weißt wen ich suche." Ich blicke ihn unsicher an. „Pass mal auf Kleiner!" Er legt mir kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. „Da kannst du uns doch sicherlich unterstützen oder?" Ich mustere ihn unsicher. „Ich werde meine Freunde nicht verraten, wenn sie das von mir wollen." „Freunde?" Roy sieht mich an, als hätte er das Wort noch nie gehört. „Sind sie das wirklich für dich?" Ich erstarre. „Ich meine, du kennst sie doch gerade mal ein paar Wochen. Wie kannst du sie bereits als Freunde bezeichnen? Weiß du überhaupt, was sie alles in ihrer Vergangenheit gemacht haben?" Er sieht mich erwartungsvoll an. Ich betrachte stumm meine Hände. „Nein, das weiß ich nicht.", antworte ich leise. Er fängt wieder breit an zu grinsen. „Vielleicht sollte es dir mal jemand erzählen. Weißt du Kleiner ..." Mir läuft ein Schauder über den Rücken. Kleiner... Irgendwo in meinem Kopf verbinde ich etwas mit diesem Wort. Mein Gefühl sagt mir aber, dass es keine gute Erinnerung ist. „Bitte, nennen sie mich nicht die ganze Zeit "Kleiner"! Mein Name ist Zero!" Roy mustert mich streng, scheinbar erstaunt darüber, dass Ich es gewagt habe ihn zu unterbrechen. „Ok, Zero, weißt du, es ist mittlerweile zwei Jahre her. Diese Gruppe von Rechtslosen war damals noch um einiges überschaubarer. Trotzdem war Al schon immer ein Dorn im Auge der Regierung. Deshalb fingen sie an Spione auszubilden, um sie in seine Gruppe einzuschleusen. Sie wählten zwei junge Kinder, denen sie diese Aufgabe anvertrauten. Ein Junge und ein Mädchen, 12 und 10 Jahre alt, als sie ihre Ausbildung begannen. Naja, wie dem auch sei, der Junge wurde mit 17 Jahren in die Rebellengruppe eingeschleust und wenig später dann auch das Mädchen. Keiner sollte wissen, dass sie sich bereits gut kannten und zusammenarbeiteten. Das hätte ihre Identität auffliegen lassen können. Das Ganze ging eine Zeit lang gut und wir konnten viel über die Pläne der Rebellengruppe herausfinden. Doch dann hat Al die Identität des Jungen aufgedeckt und ihn, ja sagen wir mal, aus dem Weg geschafft. Damit setzte er sich direkt an die Spitze auf unserer Liste der Meistgesuchtesten. Aber, wie sich bereits bisher gezeigt hatte, ist er ziemlich geschickt und sehr intelligent. Daher macht er es uns immer wieder sehr schwer ihn zu verhaften. Aber eine offensichtliche Schwäche hat er dann doch." Ich sehe ihn fragend an und er grinst mit einem bösen Funkeln in den Augen zurück. „Er hat einfach ein zu großes Herz. Er nimmt einfach alles und jeden in seine Gruppe auf, obwohl er sich bewusst ist, dass ihm das früher oder später zum Verhängnis werden könnte. Nach einer Zeit bringt er allen Vertrauen entgegen. Genau da müssen wir ansetzen. Hier." Er reicht mir einen kleinen dünnen Stab mit einem roten Knopf. „Wenn du denkst, dass die Situation "angemessen" ist, drückst du auf diesen Knopf. Das sendet dann sofort ein Signal mit deinem genauen Standpunkt an alle Beamten der OFUA. Kann ich mich da auf dich verlassen?"

Er sieht mich fragend an. Ich betrachte stumm den Stab in meiner Hand. „Nennen sie mir einen guten Grund, warum ich Ihnen helfen sollte! Sie haben immerhin auch versucht mich zu töten. Warum also sollte ich Ihnen jetzt auch nur ein kleines bisschen vertrauen?" Ich funkele ihn herausfordernd an. Er lächelt kurz. „Ich kann mir sehr gut vorstellen wie du dich gerade fühlst. Wenn man einfach nicht weiß, wem man noch trauen kann. Aber naja, das musst du für dich selber herausfinden." Damit erhebt er sich wieder und verschwindet mit den Anderen in der Dunkelheit. Ich blicke ihnen nach, bis auch letzte Schein ihrer Taserwaffen von der Finsternis verschluckt wurde.

Wieder in der Höhle spüre ich sofort die brodelnde Anspannung, die kurz vorm Überkochen zu sein scheint. Alle blicken zu mir hinauf, als sie mich auf der Anhöhe entdecken. Al sitzt in der Mitte des Lagers und verfolgt meinen Abstieg. Seine Augen sind zu misstrauischen Schlitzen verengt. Mitch lehnt hinter ihm an einem Zelt und beobachtet, wie die Asche seiner Zigarette langsam auf seine Schuhe rieselt. Daisy steht im Eingang ihres Zeltes und lächelt mir zu. Ich laufe schweigend an Mitch vorbei, der mit seiner halb abgebrannten Zigarette im Mund nur kurz aufblickt, um mir einen feindseligen Blick zu zuwerfen. Luna stellt sich mir in den Weg. „Zero, was ist denn los mit dir?" Sie sieht mich besorgt an. Ich weiche ihr aus. „Gar nichts ist los!" Ich lasse sie stehen und verschwinde wieder in meinem Zelt.

Drinnen lasse ich mich auf meinen Schlafsack fallen und blicke an die Decke. Was hat dieser Typ nur damit gemeint, mit einer "angemessenen Situation"?

System errorWhere stories live. Discover now