Kapitel 6

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„Kleine Schwester? Al und Luna sind Geschwister?" Ich sehe Taju erstaunt an. Dieser wendet seinen Blick vom Tunnel ab und sieht mich amüsiert an. „Oh nein, da verstehst du etwas falsch. Al und Luna sind nicht blutsverwandt. Es ist nur so, dass sie beide zusammen aufgewachsen sind und ihre gemeinsame Kindheit alles andere als leicht war. Aus diesem Grund machen sie sich auch sehr schnell Sorgen umeinander. Wenn sich einer merkwürdig verhält, merkt es der andere sofort." „Aber was ist den beiden denn passiert?", frage ich unsicher.

„Ihre Eltern sind bei der großen Pandemie gestorben." Ich sehe Taju entschuldigend an. „Das klingt vielleicht komisch, aber von welcher Pandemie reden wir?" Taju zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. „Stimmt ja, Al erwähnte das mit deinem Gedächtnisverlust. Dann werde ich es dir so erklären, wie ich es auch bei den vielen Kindern mache, die wir mit der Zeit aufgenommen haben. Al möchte, dass jeder hier über die damaligen Geschehnisse Bescheid weiß. So möchte er die Erinnerungen erhalten. Fangen wir also ganz von Anfang an. Du hast ja schon die verfallenen Gebäude in der Stadt gesehen, oder? Vor einigen Jahren gab es urplötzlich eine große Pandemie, an welcher fast ein Drittel der Weltbevölkerung gestorben ist. Es gab keine Möglichkeit die Krankheit zu bekämpfen. Sie galt als einer der tödlichsten Krankheiten aller Zeiten und keinem Arzt gelang es ein Heilmittel zu finden. Selbst die Umwelt wurde verseucht, weshalb es bald kaum noch sichere Abschnitte der Welt gab. Die Pandemie klang mit der Zeit ab, aber die verseuchten Abschnitte blieben. Zu wenig Platz, für die restlichen überlebenden Menschen. Auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Im Anschluss an die Pandemie gab es daher zahlreiche Kriege um die verbliebenen Ressourcen und Gebiete. Daher stammt auch die Verwüstung in den Städten. Die großen Kriege sind beendet, aber so schnell kommt die Welt noch nicht zur Ruhe. Auch heute gelten noch etwa 90% des Planeten als unbewohnbar. Hast du schon etwas von den gesperrten Zonen gehört?" Ich schüttele den Kopf.

„Die gesperrten Zonen sind große Gebiete, in denen die Belastung der Erreger in der Luft und im Boden immer noch so hoch ist, dass man es den Menschen verboten hat, diese Gebiete zu betreten, aus Angst vor einem erneuten Ausbruch der Krankheit. Durch das Dasein dieser gesperrten Zonen werden die bewohnbaren Safezones eingeschränkt und verhindern, dass sich die Menschheit wieder weiter ausbreiten kann. Naja, wie dem auch sei, Al und Lunas Familien starben damals an der Krankheit und die beiden kamen danach in das gleiche Heim. Ich vermute, dass es dort ziemlich schlimm gewesen sein muss, nach der Pandemie und den Kriegen. Beide reden nie über diese Zeit. Aber das ist zumindest einer der Gründe weshalb die beiden so gut zusammenhalten. Aber hier endet die Geschichte noch nicht. Als Folge der vielen Kämpfe waren die verblieben Lebensräume zerstört. Es herrschten keine Lebenswürdigen Zustände. Allmählich brach Panik unter den Überlebenden aus. Es gab Aufstände, Plünderungen, Straßenkriege, Morde. Die Welt drohte unter zu gehen. Doch eines Tages tauchte, wie aus dem Nichts, eine neue Regierung auf, keiner hatte sie gewählt, keiner wusste woher sie kamen. Bis heute weiß niemand, wer genau dieses Land überhaupt regiert. Die Regierung führte eine strenge Überwachung der Bevölkerung ein, die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern über die sogenannten Versorgungssäulen oder die vielen Lichtschranken, die anschlagen sobald ein Krimineller sie durchquert. Aber das schien ihnen noch nicht zu reichen. Sie schickten ihre Truppen in dem gewaltsamen Kampf gegen die aufgebrachte Bevölkerung. Die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen und es kehrte eine gezwungene Ruhe ein, welcher nur durch die bewaffnete Übermacht der Regierung aufrechterhalten werden konnte. Sie kontrollieren alles. Auch mehr als zehn Jahre nach der Pandemie und den Kriegen gibt es immer noch eine weitreichende Nahrungsmittelknappheit oder besser gesagt ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der lebensnotwendigen Güter. Der Innenbezirk lebt in übermäßigen Reichtum, während hier draußen alle Menschen langsam aber sicher verhungern. Aus der Not der Menschen resultierten erneute Aufstände gegen die Regierung. Es war vor allem die junge Generation, die sich den Aufständischen anschlossen. In Folge dessen ist auch Al zu einem Rebellen geworden, um gegen die Ungerechtigkeit der Welt zu kämpfen und Luna ist ihm gefolgt. Und so ist es dann letztlich hierzu gekommen." Er wendet sich wieder in dem Tunnelausgang zu. Ich folge schweigend seinem Blick.


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