Kapitel 26

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„Und jetzt sitzt du da rum und bemitleidest dich selber? So habe ich dich bestimmt nicht erzogen." Der Alte steht immer noch an den Gitterstäben und mustert Mitch kühl. „Du hast doch rein gar keine Ahnung, du Mistkerl. Sitzt hier schon seit Jahren rum und glaubst wirklich mich jetzt noch zu kennen." Der Alte muss schmunzeln, dann wird er wieder ernst und sieht ihn streng an. „Glaubst du wirklich, dass du dich so sehr verändert hast? Wenn ich dich da so ansehe, sehe ich immer noch den kleinen rotznasigen Jungen, der nicht weiß zu wem er gehören will." Einen Moment lang sieht Mitch still seine Hände an, dann steht er auf und tritt wieder an die Gitterstäbe. Er erwidert lässig den Blick des Alten. „Früher war das vielleicht mal so, aber jetzt weiß ich zu wem ich gehöre und du kannst mir glauben, ich werde alles tun, um ihn da wieder rauszuholen."

Vor 15 Jahre

Regungslos starrt Mitch die dicken Eisenketten an, die ihn an einen dicken Holzstamm fesseln. Von seinem Platz aus kann Mitch das aufgeregte Publikum sehen. Ungeduldig unterhalten sich die Menschen miteinander, gespannt wann es endlich losgeht. Mitchs Vater steht mit Tränen in den Augen regungslos in der Mitte und sieht ihn an.

„Nun, dann lasst uns beginnen.", verkündet der lilagekleidete Mann übertrieben fröhlich. „Heute haben wir wieder viele grandiose Angebote für Sie zusammengesammelt, also kommen Sie her, treten Sie näher. Wir beginnen gleich mit einer wunderschönen jungen Dame. Sie ist 16 Jahre jung. Sie kann kochen, waschen und putzen, die perfekten Hausfrau Qualitäten. Und eine gute Tänzerin ist sie auch noch." Neben Mitch wird ein weinendes Mädchen in Richtung Bühne gezogen. Panisch klammert sie sich an den Holzpfahl, an den sie gerade noch gefesselt war. „Los, jetzt hör schon auf dich zu wehren!", sagt einer der Männer genervt. „Hey, lasst sie gefälligst los! Ihr seht doch, dass sie das nicht will!" Der eine Mann lässt das Mädchen los und dreht sich langsam zu Mitch um. „Hä? Was willst du denn jetzt Kleiner? Du kommst schon noch dran, aber warte gefälligst, bist du an der Reihe bist." Er stößt Mitch grob zurück gegen den Pfahl. Dann packt er das Mädchen und zieht sie unter lautem Protest auf die Bühne.

Nach und nach werden auch die anderen Menschen auf die Bühne geschleift. Einer muss sogar bewusstlos geschlagen werden, damit er sich nicht mehr wehren kann. Immer wieder ertönt das Gejohle des Publikums und die aufgedrehte Stimme des Moderators. Mitch lässt seinen Blick über die versammelten Menschenmassen schweifen. Viele von ihnen scheinen nicht von hier zukommen. Das erkennt er an der Kleidung. Die Bauern hier tragen höchstens wenn sie einmal in die Kirche gehen so teure Klamotten, aber ein paar dieser Leute laufen mit hochwertig aussehenden Pelzmänteln herum. Die Anwohner wären froh, wenn sie sich so etwas leisten könnten, denkt Mitch. Er versucht seinen Vater in der Masse zu finden, will zu ihm laufen und fragen, was hier eigentlich los ist. „Das ist doch alles nur ein böser Traum.", sagt Mitch und schließt die Augen, in der schwachen Hoffnung gleich zu Hause auf dem weichen Heuboden aufzuwachen, wenn er die Augen wieder öffnet. Aber nichts passiert. Egal wie oft Mitch die Augen auch schließt und wieder öffnet, dass jubelnde Publikum und der Mann im lila Anzug wollen einfach nicht verschwinden. Stattdessen ertönt wieder die Stimme des Moderators über die Lautsprecher. „Und kommen wir nun zu unserem letzten Angebot des Tages. Er ist zwar noch sehr jung, aber sein Vater persönlich hat mir versichert, dass er schon gut mitanpacken kann." Die zwei Männer kommen nun auf Mitch zu. Er starrt sie finster an. Der eine öffnet das Schloss, das Mitchs Ketten um den Holzpfahl gebunden haben. „Abmarsch Kleiner!", sagt er und schleift Mitch an den Ketten hinter sich her. Der Mann zieht Mitch grob über die Stufen auf die Bühne. „Und da ist er auch schon." Der Moderator deutet aufgeregt in seine Richtung. Der Mann schleift ihn noch bis zur Mitte der Bühne. Dann lässt er die Ketten los, sodass Mitch sich zumindest hinknieen kann. Der Moderator heizt währenddessen das Publikum noch einmal ordentlich an. „Was soll das? Macht mich gefälligst los! Ich stehe nicht zum Verkauf! ICH WILL NACH HAUSE!" Der Moderator wendet sich vom Publikum ab und sieht ihn streng an. „Und etwas aufmüpfig ist er auch noch.", sagt er mit einer bedrohlichen Ruhe in der Stimme. Er packt Mitch fest am Kragen und fixiert ihn so, dann beugt er sich zu ihm herunter. „Halt gefälligst die Klappe, du Rotznase!", raunt er ihm ins Ohr. „Und hoffe lieber darauf, dass du nach der Aktion gerade eben noch Gebote bekommst. Ansonsten kann das ziemlich grausam für dich ausgehen." Die Menschen im Publikum mustern Mitch skeptisch. Keiner möchte einen Sklaven haben, der sich andauernd nur widersetzt. Mitchs Blick fällt auf den Mann, der vorhin bewusstlos verkauft wurde. Er sitzt auf einem Pferdewagen und sieht das Publikum mit leeren Augen an. Selbst er hat aufgegeben, denkt Mitch. „Ich empfange nun ihre Gebote.", sagt der Moderator und sieht sich erwartungsvoll um. Keiner im Publikum meldet sich. Der Moderator sieht sich noch einmal gründlich in der Masse um. „Das hast du wohl versaut Junge.", sagt er und stößt Mitch wieder in Richtung seiner beiden Handlanger. „Schafft ihn weg! Wir nehmen ihn mit zum Endlager, die können sich um ihn kümmern." Die Männer schleifen den protestierenden Mitch hinter sich her. „Halt gefälligst still, du Rotznase oder wir können es auch gleich hier und jetzt mit dir beenden.", droht einer von ihnen.

„Einen Moment bitte.", ertönt es von weiterhin aus dem Publikum. Die Moderator hebt den Arm und die Männer halten sofort inne. „Ich würde mir den Jungen gerne etwas genauer ansehen." Die Masse teilt sich und gibt den Blick frei auf einen Mann in einem schwarzen Anzug und einem schwarzen Cowboyhut, den er tief ins Gesicht gezogen hat. Mitch starrt ihn sauer an. Alle Menschen starren irritiert den schwarzgekleideten Mann an. Scheinbar hat es sogar dem Moderator die Sprache verschlagen. Alle scheinen komplett sprachlos zu sein, dass dieser Mann noch Interesse zu haben scheint, nach allem, was Mitch gerade gemacht hat. Auch die beiden Männer des Moderators starren den Mann an, unschlüssig, was sie jetzt mit Mitch tun sollen. Das ist meine Chance! Mitch nutzt diesen Moment der Unaufmerksamkeit und reist den Männern seine Ketten aus der Hand. Er drückt sie fest an sich, um bloß nicht darüber zu stolpern und rennt auf das Ende der Bühne zu. „Hey!", rufen die beiden Männer, doch bekommen ihn nicht mehr zu fassen. „STEHENBLEIBEN!!!", schreit der Moderator und seine Stimme scheint gleich drei Oktaven höher zu rutschen. Er greift nach seiner Waffe und zielt auf den weglaufenden Jungen. Mitch schreit laut auf, als die Kugel von hinten sein Bein streift. Unter lautem Klirren seiner Ketten bricht Mitch vor den Füßen des schwarzgekleideten Mannes zusammen. Panisch dreht er sich zu dem Moderator um, der gerade seine Waffe nachlädt um erneut auf ihn zu schießen. Abwehrend hebt Mitch seine Arme vor sein Gesicht. „Hm", sagt der Schwarzgekleidete laut. Der Moderator hält inne. Mitch lässt langsam seine Arme sinken und dreht sich zögernd zu dem Mann hinter sich um. Der hat sich etwas zu ihm heruntergebeugt und mustert ihn einen Moment lang skeptisch. Dann fängt er laut an zu lachen.

„Ich nehme ihn.", grölt er schließlich laut.

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