Der wunderschöne Fremde

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Es war einer dieser schlaflosen Nächte. Ich lag in meinem Bett, starrte stur auf die Decke und konnte einfach nicht einschlafen. Die Regentropfen schlugen hart gegen die Scheibe. Der ein oder andere Blitz tauchte auf, worauf ein lautes Donnern folgte. Ich hatte diesmal meine Vorhänge nicht zugezogen, denn ich wollte das der Mond, der teilweise von den schwarzen Wolken bedeckt worden ist, auf mich hinab schien. Ich machte mir über alles mögliche Gedanken. Zum Beispiel, ob ich in meinem Beruf als Bankkaufmann zufrieden war. Der Job war nicht aufregend. Eher brachte er mies gelaunte Kunden zum Vorschein, langweilige Sitzungen oder man verbrachte seinen halben Tag auf Bürostühlen um irgendwelche Unterlagen einzusortieren. Manche nannten mich auch schon Sesselpfurzer, doch ich musste immer nur darüber lachen. Die Bezahlung ist nicht schlecht, da ich mir definitiv sehr teure Sachen kaufen könnte was andere in einem anderen Beruf nicht können. Ebenfalls hatte ich manchmal meinen Spaß, da mich einige Mitarbeiter- oder innen anflirteten und ich mit ihnen halt schlief. Ich hob meine Decke an, setzte mich aufrecht an die Kante des Bettes und dachte weiter nach. In Wirklichkeit sehnte ich mich nach Liebe. Ich wollte eine Person, die mich hielt, wenn ich falle. Die mich auffängt, wenn ich gestürzt bin. Jemanden bei dem ich weinen kann ohne blöd angeschaut zu werden. Einfach in den Armen liegen und die Stille genießen. Geborgenheit, Vertrauen, Glückseligkeit. Jemanden dem ich blind folgen konnte. Jemanden mit dem ich in der warmen Abendsonne spazieren gehen konnte. Jedoch war dieses Glück irgendwo und wollte nicht zu mir. Ich rappelte mich auf meine Beine und ging zum Fenster. Die Fensterbank war groß, deshalb setzte ich mich auf sie und blickte verträumt auf die leere Straße. Meine Wohnung war groß für einen Alleinlebender, doch ich kaufte mir diese Immobilie nicht ohne Hintergedanken. Ich wollte das dort drin einmal meine Familie wohnt, das meine Kinder, ob adoptiert oder nicht, dort drinnen spielen würden. Gemütliche Abend vor dem Fernseher verbringen und vieles mehr. Es war zwar ein wenig einsam, aber meine zwei besten Freunde Pidge und Hunk waren oft zu Besuch und wir alberten viel herum. Einmal haben wir eine komplette Serie durch geschaut ohne jeglicher Pause. Wir fieberten mit und das in einer Lautstärke, die man kaum überhören konnte. Pidge nahm auch oft ihren Bruder Matt mit und zusammen spielten wir mehrere Runden Mensch-Ärger-dich-nicht und tranken dabei einige alkoholische Getränke. Als ich einmal im Urlaub war hatte ich Hunk meinen Hausschlüssel gegeben, schlussendlich hatte er sein erstes und wundervolles Date mit Shay in meinem Haus gehabt. Jetzt sind sie bereits verlobt. Ich habe mich so sehr für ihn gefreut, dass ich eine kleine Party schmiss. Ein etwas lauter Donner holte mich aus den Gedanken. Mein Blick wurde wieder klarer und ich sah eine Gestalt an meinem Gartenzaun lehnen. Im stürmischen Regen und das mitten in der Nacht lief ein Mann durch die Stadt? Niemals! Ich beobachtete ihn eine Zeit lang und dann sank er zu Boden. Er raufte sich durch seine Haare und schien aufzuschluchzen, als würde er weinen. Er konnte doch nicht dort einfach sitzen bleiben. Ich ging aus meinem Zimmer, den Gang entlang und zur Haustür, dabei schaltete ich überall das Licht an. Nebenbei schnappte ich mir noch einen Regenschirm, damit ich nicht nass werde. Ich hatte zwar nur eine Pyjamahose an, aber das war mir egal. Ich riss die Tür auf und sofort kam eine kühle Luft entgegen. Sie bereitete mir Gänsehaut und ich hatte das Gefühl, das sie mir zeigen wollte, dass man nicht rausgehen sollte bei so einem Wetter. Ich zog mir schnell meine Schuhe an und lief nach außen. Ich öffnete mein Gartenzauntor und blieb bei dem Mann stehen. Ich ging in die Hocke und hielt den Schirm etwas über ihm, aber so das ich auch noch etwas bedeckt war. Sanft sprach ich ihn an: „Hallo, sie können hier nicht im Regen sitzen. Wollen sie vielleicht mit in mein Haus?" Stumm nickte der Mann vor mir, machte jedoch keine Andeutung aufzustehen. Mir blieb nichts anderes übrig als auf ihn einzureden. „Ich bin Lance und möchte dir gerne helfen, aber dazu müssten wir erst einmal aus dem Regen, also würdest du mit mir kommen? In meinem Haus ist es warm. Du kannst auch etwas zum Trinken und Essen haben." Wieder sprach er nicht, aber diesmal stand er auf. Er drohte wieder in sich zu sacken, aber ich hielt ihn fest. Der Fremde konnte kaum stehen und er war auch ein wenig schwer, wenn ich ihn mit einem Arm halten sollte. Ich ließ den Schirm fallen und schlang beide Arme um ihn. Mit Müh half ich ihm in mein Haus. Mit einem Fußtritt schloss ich die Tür hinter mir, kurz darauf lehnte ich ihn gegen die Haustür. Noch immer sah er auf den Boden und sagte nichts. Ich bekam nicht einmal sein Gesicht zu sehen. Ich zog ihm die Jacke aus, dann die Schuhe, auch ich zog meine Schuhe aus. Ich nahm den Mann an die Hand und er folgte mir wortlos. Ich brachte ihn ins Wohnzimmer auf die Couch. Danach rannte ich in mein Zimmer zog mir kurz etwas trockenes an und nahm dabei Sachen für ihn mit, schnell huschte ich noch ins Bad für ein Handtuch. Als ich im Wohnzimmer ankam saß der Mann auf dem Sofa total zusammen gekauert. Ich nahm das große Handtuch und legte es um seine Schultern. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und rieb ein wenig das Handtuch runter und hoch. „Ich habe dir Wechselsachen von mir mitgebracht, wenn das in Ordnung ist." Stumm nickte er, dabei hob er seine Arme hoch. Verwundert sah ich ihn an, aber kurz darauf verstand ich was er wollte. Ich stand wieder auf und zog sein Oberteil aus. Seine Haut war blass und von Narben überzogen. Paar kleine blaue Flecke, sowie neue Wunden zierten den Oberkörper. Mit dem Handtuch trocknete ich ihn ein wenig ab und zog ihm danach meinen Pulli an. Er war leider etwas groß, aber es sah niedlich aus. „Ähm, deine Hose sollten wir auch wechseln." Er stand auf, öffnete seine Jeans und ließ sie an seinen Beinen hinab gleiten, ohne das ich sie abtrocknen konnte zog er sich meine Jogginghose an. Zufrieden lächelte ich und strubbelte mit dem Handtuch durch seine Haare, damit diese auch etwas trocken wurden. „Verratest du mir deinen Namen?" Ich wartete, aber nichts kam. Ich seufzte und schlenderte in die Küche. Ich ließ Wasser in den Wasserkocher fließen und schaltete ihn an. Kurz darauf war es bereits warm und ich konnte es in eine Tasse mit einem Teebeutel gießen. Es dauerte ein wenig bis er durch gezogen war, danach konnte ich den Beutel entsorgen und die warme Tasse dem Mann geben. Still setzte ich mich neben ihn und wartete. Es war anscheint zu lange still, denn er fing zum weinen an. Ganz erschrocken zog ich ihn in meine Arme. „Hey, alles gut. Ich bin bei dir und beschütze dich. Du bist nicht alleine", flüsterte ich und strich dabei durch seine Haare. Diese waren Schwarz, etwas länger und weich. Ich würde sie am liebsten die ganze Zeit berühren. Er versteckte seinen Kopf in meiner Brust und klammerte sich an mich, als wäre ich der letzte Halt. Wir saßen locker zehn Minuten so dort bis er sich wieder beruhigt hatte. Zum ersten Mal hob er seinen Kopf an und ich konnte in sein Gesicht schauen. Es sah wunderschön aus. Ruhige und sanfte Gesichtszüge, rosane Lippen und eine leichte Röte war in seinem Gesicht zu erkennen. Seine Augen waren rot unterlaufen, aber diese Mischung aus Blau und Grau faszinierte mich sofort und zogen mich in ihren Bann. „Geht es wieder ein wenig?" Er antwortete nur mit einem Nicken. Er machte es mir definitiv nicht leicht. „Na gut, wenn du nicht reden willst, deine Entscheidung." Stumm senkte er seinen Blick auf den Boden, als würde es ihm leid tun. Er nahm einen Schluck vom Tee und genoss die Wärme, die dabei in seiner Kehle hinab floss. „Hast du Hunger? Ich habe noch bisschen Pizza übrig." Ein Nicken seiner Seite bestätigte meine Frage, also stand ich auf und lief mit ihm in die Küche. Ich steckte die Pizza in die Mikrowelle und er setzte sich auf einen Tresen. Geduldig wartete ich bis sie fertig war, als sie es war reichte ich den Fremden den Teller. Während er aß brachte ich seine nasse Kleidung zur Waschmaschine. Ich kramte kurz durch seine Taschen, damit nichts wichtiges mit gewaschen wird. Ich fand sein Portmonee und ein Handy, danach steckte ich sie in die Trommel und machte die Waschmaschine an. Seine Utensilien nahm ich mit in die Küche. Ich wollte nicht unhöflich sein, deshalb durchsuchte ich es nicht und hoffte weiter darauf, dass er mir aus freien Stücken etwas erzählte. Vom Aussehen sah er nicht viel jünger wie ich aus, aber sein Verhalten kam mir komisch vor. Er glich einem kleinen hilflosen Jungen, der wegen einem Streit abgehauen war. Seine Stille, genauso sein Körper hatte meine Interesse geweckt. Ich wollte dem Mann helfen, koste was es wolle. Er tat mir leid, wie er so alleine und verloren vor meinem Haus saß, wie er sich an mich klammerte, als er Tränen vergoßen hat. In der Küche angekommen hatte er bereits die Reste der Pizza gegessen und starrte verträumt aus den Küchenfenster. Ich räusperte mich kurz, daraufhin lag seine ganze Aufmerksamkeit auf mir. „Geht es dir besser?" Er nickte. „Dann zum eigentlichen Thema. Weshalb warst du vor meinem Gartenzaun so ganz alleine gesessen? Wie ist überhaupt dein Name?" Stumm senkte er seinen Blick zum Boden. Er wollte schon wieder nicht mit der Sprache heraus rücken. „Na gut. Vielleicht redest du morgen mit mir. Du kannst in meinem Bett schlafen, ich nehme die Couch." Er nickte wieder. Ich gab ihm ein Zeichen, dass er mir folgen sollte. Ich zeigte ihm das Bad, danach mein Schlafzimmer. Ich ging zum Bett und zeigte darauf: „Heute kannst du darin schlafen, ok?" Wieder ein Nicken. Er kam auf mich zu, legte sich ins Bett und blickte mich Stumm an. Ich seufzte, nahm die Decke und zog sie weiter hoch. Kurz strich ich mit meiner Hand über seinen Kopf. „Wenn etwas ist kommst du ins Wohnzimmer zu mir, ok? Du bist nicht alleine. Gute Nacht." Ich streckte mich kurz und wollte zur Tür gehen, als ich am Handgelenk festgehalten worden bin. Verwirrt sah ich zu dem Schwarzhaarigen. „Was ist? Soll ich hier bleiben bis du eingeschlafen bist?" Er schüttelte den Kopf. „Was dann?" Er klopfte neben sich und hob mit einer Hand die Decke an. „Ah, du willst das ich bei dir schlafe?" Er nickte. „Ok, ausnahmsweise." Ich krabbelte also unter die Decke und legte mich mit dem Blick zur Zimmerdecke hin. „Ich muss noch das Licht ausmachen, danach komm ich wieder." Ich rappelte mich wieder auf und bin durch das Haus gelaufen um die Lichter auszumachen. Als ich wieder zurück kam starrte er gespannt auf die Tür durch die  ich gerade herein kam. Ein kleines Lächeln zierte sein Gesicht und es war wundervoll. Es erhellte das ganze Zimmer. Ich erwiderte es, dabei schaltete ich das Licht im Zimmer aus. Kurz darauf krabbelte ich unter die Bettdecke. Ich merkte, wie er versuchte sich an mich zu kuscheln. Ich öffnete meine Arme, zog ihn zu mir und drückte ihn an mich. Ich weiß, andere Leute würden mich jetzt für verrückt halten, aber dieser Junge tat mir unglaublich leid. Er war alleine und ich konnte ihm halt schenken. Ich kannte seine Lage. In meiner Jugend hatte ich einmal so eine ähnliche Phase, daher weiß ich, dass man sich nichts sehnlicher wünscht als eine Person, die einen im Arm hält. Ich fand es auch nicht komisch, dass er sich an mich kuschelte. Ganz im Gegenteil, ich genoss die Wärme. Ich konnte mich um jemanden kümmern, der mir gleichzeitig auch half ohne es zu wissen. Ich glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick, aber er vermittelte mir dieses Gefühl. Als ich vorhin in sein Gesicht sah war ich hin und weg. Alles interessierte mich an ihm. Seine stille Art war mehr als nur mysteriös. Sie hatte ein Geheimnis, dass ich erfahren wollte. Diese Art zeigte eine Wand, die er versuchte auf zu bauen, damit er nicht mehr verletzt werden würde. Seine Augen zeigten das Gegenteil, sie übermittelten mir das Verlangen nach Geborgenheit. Sie funkelten wie Sterne, als sie auf meine trafen. Meine Fürsorglichkeit für einen Fremden zerbrach seine Mauer, daher hielt er an mir. Ich war gerade sein Fels in der Brandung. Mit friedlichen Gedanken schlief ich ein.

Klance Oneshots/KurzgeschichtenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora