Kapitel 10 | Bitte

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|Bitte|

In Gedanken versunken bemerkte ich den Lärm überhaupt nicht. Erst als viele Füße die Treppenstufen empor trampelten sodass es im ganzen Treppenhaus wiederhalte, schreckte ich auf. Ich rutschte mit bösen Vorgedanken im Kopf von der Wand zum Geländer und spähte nach unten. Mehrere Mädchen rannten hastig die Treppen nach oben und kreischten sich immer wieder euphorisch etwas zu. Eines zeigte plötzlich nach oben. Erschrocken wich ich zurück. Das waren bestimmt 20 oder 30 Mädchen. Sofort ging mein Atem schneller. Trotzdem lehnte ich mich erneut vor und beobachtete die Gruppe deren Gesichter schon deutlich erkennbarer geworden waren. Langsam hatte ich das Gefühl keine Luft zu bekommen und legte die Fingerspitzen auf mein Herz. Zitternd versuchte ich aufzustehen, aber als ich die Knie belastete durchfuhr mich stechender Schmerz. Mit zusammen gebissenen Zähnen harkte ich meinen nicht gebrochenen Arm im Geländer ein und zog mich hoch. Angestrengt schloss ich die Augen.

"Hey! Hey du!", rief jemand. Ich ignorierte es. "Bist du diese Bitch die sich von Harry umher getragen lassen hat?" Ihre Stimme klang vorwurfsvoll und nicht mehr all zu weit entfernt. Erkannten die mich etwa? Woher, bitteschön? Und wie waren die hier rein gekommen? "Ich habe mich nicht umhertragen lassen.", hauchte ich mit brüchiger Stimme die durch den Hall gespenstig klang und versuchte ruhig ein und aus zu atmen. Langsam öffnete ich die Augen. Noch eine Etage entfernt. Plötzliches kreischen. Mein Blickfeld verschwomm und meine Beine knickten weg. Ich erwartete einen harten Aufprall, landete jedoch weich. Schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen und ich konnte oben nicht von unten entscheiden. Der Boden entglit mir und es wurde schwarz.

Als ich erneut zu mir kam, wusste ich zunächst nicht wo ich war. Langsam schwappten Geräusche und Gefühle über mich und ich konnte gedämpfte Schreie, irgendein Klopfen und schnelle Schritte hören. Außerdem befand ich mich definitiv nicht auf festem Boden. Zaghaft öffnete ich die Augen und blickte direkt auf Blumen. Blumen? Ich drehte ein wenig meinen Kopf, sodass der Blick für ein markantes Kinn frei wurde. Harry trug mich mit schnellen Schritten den Flur entlang zu meinem Zimmer. Dort angekommen legte er mich vorsichtig auf dem Bett ab. "Alles gut?", fragte er mit besorgtem Blick. "Es ge-", wollte ich antworten, vernahm aber wieder heftiges Kreischen sodass ich von negativen Erinnerung überflutet wurde und meine Atmung wieder unregelmäßiger ging. "Schhh, Melina. Es ist okay. Schau mich an. Schau mir in die Augen.", flüsterte Harry, beugte sich zu mir und strich mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht. Ich tat wie geheißen und fokusierte mich voll und ganz auf das Grün seiner Augen. Grün wie eine Wiese. Grün wie ein Wald. Grün wie Hoffnung. Unendliches Grün. Die Panik verblasste und ihr wich ein Gefühl von Ausgeglichenheit. Ich fühlte mich komplett.

Harry war der Erste, der sich nach viel zu kurzer Zeit wieder entriss und mir dafür jedoch ein aufmunterndes und ehrliches Lächeln schenkte. Mein Herz klopfte viel zu schnell als dass es gut sein konnte. Keinen Augenblick später trat jedoch ein ernster Ausdruck auf sein Gesicht. "Ich habe keine Ahnung wie die hier hin gekommen sind, aber glaube mir, ich werde dafür sorgen das meinem Sicherheitspersonal nie wieder so ein Fehler unterläuft. Nie wieder!" Ich konnte definitiv Wut in seinen Gesichtszügen aus machen. "Ich rede jetzt mit Mick. Vielleicht weis er schon etwas...", meinte der Lockenkopf und rauschte aus dem Zimmer. Mick? Wer war Mick? Wahrscheinlich sein Bodyguard. (A/N: Ne weißte, seine Oma.) Schon jetzt hatte ich wieder tausende Fragen. Wie schlimm ist die Situation für Harry wirklich? Kann ich ihm vertrauen? Interessiert er sich für mich, oder braucht er nur eine Ablenkung? Werden wir uns noch öfter sehen? Werde ich jedesmal in Panik geraten wenn ich Fans sehe? Oder was ist das überhaupt was mir bis jetzt jedesmal geschehen ist? Was ist mit meinen Gefühlen für Joshua? Mag ich ihn oder Harry lieber?

All das schwirrte in meinem Kopf umher, als der brünette Sänger den Raum betrat. Ich richtete mich auf. Er hatte sein Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt und gestikulierte wild in der Luft herum, während Mick sein Bodyguard, ihm in angemessenen Abstand folgte. "Nein. Nein! Ich muss zum Hotel! Wir haben nicht genug Personal da um die Fans zurückzuhalten. ... Es sind jetzt mehr geworden. Circa 50. ... Ja, die Türen des Ganges sind geschlossen und George bewacht die eine, Lester die andere. ... Mick ist bei mir. ... Mehr Personschützer habe ich nicht dabei Jeff! Ich muss irgendwie unbemerkt raus kommen. Ich werde das Personal fragen. Und sie muss mit! ..." Ich zog die Augenbrauen hoch, als Harry bei "sie" zu mir sah und das Wort extra betonte. "Natürlich sind schon welche aufgetaucht. Nur die von Donnerstag in der Bank, oder auch der Rest?" , fragte Harry mir besorgter Miene und warf immer wieder ein Blick zu mir. Welche was? "... Also weiß noch niemand ihren Namen? ... Natürlich weiß ich, dass sich das schnell ändern kann! Aber sie soll solange wie möglich ihre Ruhe haben. Ich bereue es schon sie mit reingezogen zu haben. ... Ja, sie ist noch im Krankenhaus und ja, ihr geht's nicht gut." Ich wollte meinen Mund schon zum Protest öffnen, aber Harrys eindringlicher Blick gab mir zu verstehen, dass ich nicht mitzureden hatte.

" ... Ich kann sie ja doch nicht einfach hier lassen, was wenn d- ... Nein, für einen offenen Abgang habe ich zu wenig Personal , welches schicken dauert zu lange, bis dahin rennen die Fans uns die Türen ein und wenn ein Undercover Transport gelingt, bleiben alle hier und sie ist weiter in Gefahr. Ich muss sie mitnehmen! ... ... Gut, so machen wir's Jeff , danke!" Mit diesen Worten wandte Harry sich ganz zu mir. Ein bittender Ausdruck lag in seinen Augen als er fragte: "Kommst du mit? Wir fahren erst ins Hotel und dann kann ich dich nach Hause bringen. Also wenn es dir gut genug geht. Es wäre zur deiner Sicherheit." Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. "Warte, warte, warte. Ich komme nicht ganz mit." , meinte ich unsicher. Gott, hoffentlich hielt er mich nicht komplett für dumm. "Ich kann dir das alles erklären. Aber bitte, bitte komm' mit ins Hotel, da kann ich dir alles erklären und da sind auch keine Fans. " , beteuerte er schon fast verzweifelt.

Unentschlossen wich ich seinem intensiven Blick aus. Er trat zu mir ans Bett und nahm meine Hand vorsichtig in seine. Sie war warm und hätte er keine Ringe getragen, die kühl auf meiner Haut lagen, hätte ich mich höchstwahrscheinlich verbrannt. Als er sich dann auch noch vorlehnte und "Bitte" in mein Ohr hauchte und er mir so nah war, dass ich sein Aftershave riechen konnte, war ich geschlagen. Unfähr! Bestechung! Mit klopfendem Herzen schloss ich die Augen und versuchte mir das Gefühl seines warmen Atems an meinem Hals einzuprägen. Mir war bewusst, dass ich am liebsten meine Arme, egal ob gebrochen oder nicht, um seinen Hals geschlungen und seine verdammt schönen Lippen geküsst hätte, aber stattdessen biss ich auf meine Lippe und krächzte ein "Okay".

Honey - Never lie || h.s.Where stories live. Discover now