Kapitel 40 | Unter Beobachtung

161 11 5
                                    

|Unter Beobachtung|
Am nächsten Tag checkte ich bereits nach dem Frühstück aus, um nicht nach dem letzten Meeting nochmal hierher zu müssen, sondern direkt zum Flughafen zu können. Mein Koffer würde ich dort schon irgendwo untergebracht bekommen.

Der Himmel war in zarten rosa und lila Tönen der aufgehenden Sonne gehüllt, als ich aus dem Hotel auf den Gehweg trat, weshalb ich einen Moment innehielt, um die Schönheit zu betrachten. „Melina Harris?" Verwirrt drehte ich mich zu der Stimme um. Ein Mann mit breitgebauten Schultern und einem schwarzen Anzug kam auf mich zu. „Ähm...George?" Sein Mundwinkel zuckte kurz nach oben, dann deutete er auf ein Auto mit getönten Scheiben, das am Straßenrand stand. „Ich bin Lester. Mr Styles lädt Sie ein es sich anders zu überlegen und ebenfalls nach Australien zu fliegen. Dieser Wagen würde Sie sofort zum Flughafen bringen, wo Sie mit einem Privatjet direkt in Richtung Sydney abheben würden. Er erwartet Sie bereits zu der Preisverleihung."

Überfordert sah ich zwischen dem Personenschützer und dem Wagen hin und her. „Oh wow ich...ich fühle mich echt geehrt und alles, aber es geht nicht und das weiß Harry auch." Er nickte grimmig, aber ich verstand nicht genau wieso. „Überlegen Sie es sich einfach nochmal", sagte er und stieg in den Wagen. Immer noch etwas verwirrt setzte ich mich langsam wieder in Bewegung. Wieso betätigte Harry so ein riesengroßen Aufwand, um mich nach Sydney zu bekommen? Wir hatten das gemeinsam geklärt und er hatte es akzeptiert. Natürlich wäre ich auch lieber bei ihm, aber es ging nun mal nicht. Schluss, Ende, Aus. Das Auto mit den getönten Scheiben startete hinter mir den Motor und rollte schleichend in meine Richtung. Mein kleiner Reisekoffer ratterte das Kopfsteinpflaster hinter mir her, als ich meine Schritte beschleunigte. Resigniert schloss ich kurz die Augen und atmete einmal tief durch. Dann blieb ich ruckartig stehen, fuhr herum und marschierte auf den mir folgenden Wagen zu. Das Fenster fuhr herunter und ich zog meine Augenbrauen hoch, als ich in das völlig teilnahmslose Gesicht von Lester schaute. „Was wird das?", fragte ich bemüht ruhig. „Wollen Sie doch mitfahren?", kam prompt die dreiste Gegenfrage. „Nein!", rief ich und stemmte die Hände in die Hüfte. „Wieso verfolgen Sie mich?!" Er zuckte, immer noch mit gleichgültigem Ausdruck im Gesicht, mit den Schultern. „Tu nur meinen Job. Anordnung vom Klienten: ich soll Sie zum Flughafen bringen."

„Ich werde aber nicht kommen, das können Sie Ihrem Klienten gerne ausrichten, obwohl er das natürlich weis. Vielleicht kapiert er es einfach nicht!" Mit diesen Worten wandte ich mich ab und verschwand in einer Seitengasse, wo mich der Personenschützer nicht verfolgen konnte. Dadurch verlief ich mich zwar und kam zu spät, aber in dem Moment war es mir egal.

„Creepy", murmelte ich und fixierte den Wagen, der auf der anderen Straßenseite vor dem Fenster des Tagungsraumes stand. „Wie bitte?", fragte Mr Chase, der gerade einen Vortrag hielt und ich kapierte erst, dass ich angesprochen war, als ich die Blicke aller Anwesenden auf mir spürte. Peinlich berührt wandte ich meinen Blick vom Fenster ab und schenkte Mr Chase meine volle Aufmerksamkeit. „Alles gut", beteuerte ich räuspernd und schaffte es sogar ein Lächeln anzuhängen. Nach einem kritischen Blick fuhr der weit über 50 jährige, Gott sei dank, fort. Die nächste halbe Stunde verstrich im Schneckentempo, obwohl ich ernsthaft versuchte mich auf die Worte zu konzentrieren. Immer wieder schielte ich nach draußen und jedesmal stand der Wagen unbewegt da.

Sobald die zehnminütige Kaffeepause anbrach entfernte ich mich so weit wie es eben ging von dem Fenster und zückte mein Mobiltelefon. 'Ruf verdammt nochmal deinen Bodyguard zurück, ich komme nicht nach Sydney!'

Sobald ich die Nachricht an Harry abschickte hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm so anfuhr, doch daraus ging noch ein anderes Gefühl hervor. Wut. Er wollte mich quasi dazu zwingen. Allein aus Prinzip würde ich hierbleiben. Es konnte doch nicht sein, dass er mal wieder das bekam was er wollte. Doch ein anderer, tief unter der Schutzschicht verborgener Teil in mir, wollte aufspringen, nach draußen rennen und zum Flughafen fahren. Die Tatsache, dass ich Niemanden hier leiden konnte, keiner mich und alles hier einfach öde war, bestärkte nur das Verlangen zu Harry zu entfliehen.

Plötzlich setzten sich die Leute im Raum in Bewegung und strömten zur Tür. Schnell steckte ich mein Handy weg und tat so als wüsste ich was vor sich ging. „Wie genau wird das ablaufen?", fragte ich den Typen neben mir und hoffte er würde nicht bemerken, dass ich bluffte. Er runzelte die Stirn. „Wir stellen uns draußen vor dem Gebäude auf und machen das Foto." Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. „Ich dachte das machen wir erst am Ende?"

„Es soll nachher regnen, deshalb jetzt. Äh, geht es Ihnen gut? Sie sehen auf einmal sehr blass aus." Ich wirkte ihn mit einer Ausrede ab und wollte schnell in Richtung Toilette verschwinden, aber Mr Chase persönlich fing mich ab. Er legte mir eine Hand auf den Rücken und bugsierte mich nach draußen. Ich versuchte mir Ekel sowohl Angst nicht anmerken zu lassen. Die anderen hatten sich schon in Reihen aufgestellt, als ich genau in die Mitte geschoben wurde. Sofort bereute ich die Wahl meines hellblauen Hosenanzugs, denn bei den Herren war ein grauer Anzug schon auffällig.

Ziemlich genau auf der anderen Straßenseite stieg Lester aus dem parkendem Auto aus, lehnte ich daran und fixierte mich mit starrem Blick. Nervös versuchte ich trotzdem in die Kamera zu lächeln. Danach, als die Augen des Personenschützers immer noch auf mir ruhten, konzentrierte ich mich auf Mr Chase der den weiteren Tagesverlauf erläuterte. Unglaubwürdig verglich ich dessen Worte mit den Themen, die im Interesse meines Vaters lagen. Es gab keine mehr, das alles hatten wir gestern durchgekaut.

Spontan vereinte sich der Zwiespalt in mir und bildete eine klare Priorität: der Dummkopf der mich gruseliger Weise verfolgen ließ. Ich verließ zur Verwunderung der Umstehenden meine Positionen und ging schnellen Schrittes auf den Wagen zu. "Sagen Sie, dass mein Großonkel gestorben ist", murmelte ich und war froh, dass Lester immer so gleichgültig guckte. "Wie bitte?", fragte er ohne einen Muskel zu verziehen.

Honey - Never lie || h.s.Where stories live. Discover now