Prolog - Esther

3.4K 109 9
                                    

Gebannt starre ich aus dem Fenster. Die Kutsche, ein edles Gefährt mit großen Rädern und in den Farben Calias, Blau und Gold gehalten, scheint wie aus einer fremden Welt zu kommen. Wir wohnen zwar nicht weit von der Palastmauer entfernt, aber den Reichtum des Königshauses aus der Nähe statt aus der Ferne zu sehen, ist ein Unterschied. Ich beobachte genau, wie die beiden Lakaien auf den matschigen Weg vor unserem Haus treten und für die Person, die sich im Inneren der Kutsche befindet, die Trittstufen ausklappen. Wer auch immer im Inneren sein mag. Wer auch immer sich die Mühe machen sollte, uns aufzusuchen.

Wir sind nicht arm. Ich bin sogar alt und aufmerksam genug um zu wissen, dass wir uns einen weit komfortableren Lebensstil leisten könnten als das kleine, schlichte Haus ohne Vorgarten und gepflasterte Zufahrt. Auch wenn ich nicht lesen kann und somit nicht genau weiß, was Vater monatlich in sein Haushaltsbuch schreibt, so bin ich mir doch im Klaren, dass die Zahlen mit der Zeit länger werden. Ich habe mir immer gewünscht, mehr zu gelten, einen Platz im Leben zu haben. Aber aus einem kleinen Haus an der Schlossmauer als Tochter des wenig ambitionierten Hofschreibers hat man diesbezüglich wenig Möglichkeiten.

Henna tritt neben mich ans Fenster. „Was machst du da, Esther?" Ich deute nach draußen. „Was meinst du, wer da zu uns kommt?", frage ich meine kleinere Schwester. „Vielleicht einer der königlichen Boten", meint sie unbekümmert. Ich schüttele den Kopf. „Nein, die Boten für Vater kommen immer zu Pferd", entgegne ich.

Die Lakaien öffnen die Tür der Kutsche und helfen einer Dame hinaus. Ich bestaune, wie schön sie aussieht. Ihr ausladendes, grün schillerndes Kleid scheint sie in keiner Weise zu behindern, im Gegenteil, sie trägt es, als sei sie hineingeboren worden. Die schwarzen Haare sind ihr kunstvoll und lockig hochgesteckt und sie strahlt eine Wärme und Freundlichkeit aus, die mich sofort in ihren Bann zieht. Es ist eine Dame, die ich schon sehr lange bewundere. Bei öffentlichen Zeremonien steht sie nur wenige Schritte hinter König und Königsfamilie.

„Wer ist denn das?", fragt Martha, meine kleinste Schwester, naserümpfend. Sie ist ebenfalls ans Fenster getreten und blickt hinaus. Ich runzele verärgert die Stirn. „Das ist Theodora von Mühlen, Dummkopf! Sie ist Hofdame am königlichen Hof von Calia." Martha würdigt die wunderschöne Dame keines zweiten Blickes. Mit einem „Ich sage Vati Bescheid" wuselt sie davon. Theodora ist inzwischen auf unseren dreckigen Weg getreten. Ich löse mich vom Fenster, um nicht beim Spionieren ertappt zu werden. Als unsere rostige Türklingel durch das Haus schrillt, eile ich zur Haustür und öffne.

„Willkommen, Edle Dame, bitte treten Sie doch ein", begrüße ich unseren hohen Gast, knickse und mache dann Platz, dass sie sich in ihrem weit schwingenden Kleid an mir vorbei schieben kann. Dabei lächelt mich die Hofdame freundlich an, mustert mich aber gleichzeitig auch aufmerksam. „Ich danke dir für den freundlichen Empfang, Fräulein Esther", sagt sie. Mir wird ganz warm und ich bin stolz, dass sie meinen Namen kennt. „Margot", rufe ich in das Haus hinein und kurz darauf erscheint das wie immer leicht zerzauste Hausmädchen und knickst tief. „Bereiten Sie der Edlen Dame einen Tee und bringen Sie ein paar von den Keksen", ordne ich an und wende mich dann Theodora zu. „Oder wünschen Sie etwas anderes?" Die Angesprochene lächelt. „Tee ist ganz wundervoll, vielen Dank." Ich führe sie in den kleinen, meiner Meinung nach zu kleinen, Salon und biete ihr den besten Platz auf der Chaiselongue an. Ich selbst lasse mich unruhig und aufgeregt zugleich auf der Kante eines Holzstuhles mit abgewetztem roten Samtbezug nieder. Margot serviert ungeschickt und klappernd den Tee, bevor sie eilig wieder verschwindet. Die Hofdame nippt damenhaft an ihrem Tee und mustert mich über den Tassenrand hinweg. Ich räuspere mich verlegen.

„Es tut mir leid, Edle Dame, dass mein Vater Ihnen bisher so wenig Aufmerksamkeit schenkt. Er ist ein recht zurückgezogener Mensch." Theodora stellt die Teetasse auf der Untertasse ab und ich ärgere mich, als ich sehe, dass Margot ausgerechnet das Service mit dem augenfälligen Sprung im Tassenrand ausgewählt hat, um unseren hohen Gast zu bewirten. Dieses Hausmädchen ist wirklich eine Katastrophe!

Die HofdameWhere stories live. Discover now