Kapitel 5 - Martha

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Als ich am nächsten Morgen erwache, spüre ich nicht zuerst die Freude über den hellen Raum und das Sonnenlicht, das die Schönheit vor meinem Fenster beleuchtet, sondern ich fühle mich verloren in diesem viel zu großen Schlafzimmer. Bereits der gestrige Tag beschwört furchtbares Heimweh in mir herauf. Ein Abend mit belanglosen Gesprächen als Tischdame des Prinzregenten. Dieser Sitzplatz hat dafür gesorgt, dass ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand und obwohl Prinz Korbinian es sichtlich genoss, ab und zu ein vernünftiges Wort mit mir wechseln zu können, so habe ich doch gemerkt, dass er mein Unwohlsein spüren konnte und dass es ihm leidtat.

Seufzend schwinge ich meine Beine aus dem Bett. Bettina hatte mich gestern noch gefragt, ob ich gerne von ihr geweckt werden würde oder ob ich nach ihr läuten wolle, sobald ich aufgestanden war. Ich hatte mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Zwar hasse ich die Vorstellung, diese nette junge Frau nach meiner Pfeife tanzen zu lassen, dass sie springen muss, sobald ich läute, ganz gleich, ob sie gerade isst oder sich nett unterhält oder einfach einen Moment für sich braucht, aber es ist die einzige Möglichkeit, früh einen Moment für mich zu haben. Und der ist leider unerlässlich, um weiterhin die Arbeit zu erledigen, der mein Vater nicht nachgehen kann.

Auf nackten Sohlen begebe ich mich zu der kleinen Kommode in meinem Schlafzimmer, dem einzigen Möbelstück, das die Höhe eines Schreibtisches besitzt und schiebe mir behelfsmäßig einen Stuhl zurecht. Als ich meine kleine Truhe öffne und mir der Geruch von Papier und Tinte in die Nase dringt, bin ich fest davon überzeugt, dass das Schreiben wohl mein festes Ritual am Morgen werden wird. Es bringt mein Zuhause wieder, es beruhigt mich und diese Ruhe kann ich gebrauchen, wenn ich so gelassen wie eben möglich in den Tag starten will. Die einzelnen Handgriffe sind mir vertraut, ich genieße es, die Feder über das Papier kratzen zu hören, den Sand vorsichtig zum Trocknen auf die Schriftstücke zu streuen, geschwungene Buchstaben zu sehen, das zu tun, was ich kann und was mich glücklich macht.

Ich bin so versunken in meine Arbeit, dass ich regelrecht zusammenschrecke, als es an der doppelflügeligen Tür zu meinen Gemächern klopft. „Marlene, bist du da?", lässt sich die sanfte Stimme von Henna vernehmen, gefolgt von Esthers patzig kommentiertem „Natürlich ist sie da." Hektisch springe ich auf, einen Moment überfordert mit all den Materialien, die auf meiner Kommode liegen, bis ich mich schließlich dazu besinnen kann, alles nacheinander in die Truhe zurückzuräumen. „Kleinen Moment!", rufe ich, so laut ich kann, klappe nach einer gefühlten Ewigkeit den Deckel der Kiste zu und verschließe ihn mit dem kleinen Schlüssel, den ich mir wieder um den Hals hänge. Dann streife ich schnell ein Paar seidene Handschuhe über – obwohl es vermutlich merkwürdig erscheinen wird, wenn ich nur in Nachthemd, aber mit Handschuhen vor meinen Schwestern stehe – hetzt durch den scheußlichen rosa Salon zur Tür und öffne sie außer Atem. Esther zieht leicht überrumpelt ihre Augenbrauen hoch.

„Also nach der Zeit, die du uns hier hast warten lassen wie den Postboten, hatte ich wenigstens erwartet, dich angekleidet zu sehen. Du trägst ja nicht einmal einen Morgenmantel. Du musst dringend etwas an deinem Comportement ändern." Ich nicke nur und nehme mir vor, nichts an mir zu ändern, was auch immer sie da gesagt hat. Ohne dass ich sie hereingebeten hätte, rauscht Esther an mir vorbei in den Salon. Von Henna bekomme ich immer hin ein freundliches „Guten Morgen" und ein Lächeln, bevor sie sich manierlich auf dem rosafarbenen Sofa niederlässt. Seufzend schließe ich die Tür hinter mir und stehe unschlüssig im Raum herum. Obwohl das hier meine Suite ist, fühle ich mich in meinem Nachthemd nur wie ein schäbiger Gast neben meinen Schwestern, die bereits komplett herausgeputzt und frisiert sind. Esther trägt sogar einen Hut. Ich blicke sie herausfordernd an.

„Wir sind hier, um dir freudig mitzuteilen, dass deine Person die volle Zustimmung des Prinzen und des Prinzregenten erlangen konnte. Prinz Korbinian hat sich sogar ausdrücklich für dich ausgesprochen, obwohl derlei Dinge ihm normalerweise egal sind." Meine älteste Schwester blick trotz ihrer Wortwahl ganz und gar nicht freudig, sondern eher verkniffen drein. „Du wirst ab heute Modell sitzen, damit nächste Woche vor dem Ball die große Enthüllung stattfinden kann." Ich runzele die Stirn. „Enthüllung?" Henna lächelt sanft. „Jede bedeutende Person bei Hofe wird portraitiert. Dein Portrait wird in der Galerie der Damen hängen, neben Ernestines und meinem. Nächste Woche wird es enthüllt werden vor dem offiziellen Ball, der dir zu Ehren gegeben wird." Ich verkneife mir einen Seufzer und stelle mir schon bildhaft endlose Stunden des Sitzens und der Langeweile vor. „War das alles?", frage ich nach ein paar Sekunden der Stille in den Raum hinein und zu meiner Überraschung ist es Henna, die mir zuerst antwortet und mal nicht nur die Anweisungen unserer Schwester präzisiert.

Die HofdameOnde histórias criam vida. Descubra agora