Kapitel 19 - Martha

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Die Gänge sind dunkel und zugig. Der Mond, der fahl durch die Bögen und Fenster dringt, schafft es nicht, gegen die Schatten anzukommen, welche die Rüstungen, die Säulen und der dunkle Stein werfen und die wenigen entzündeten Kerzen an den Wänden reichen nicht aus, um meinen Weg zu beleuchten. Ihr Licht wird von unzähligen Nischen und Biegungen verschluckt. Das Register schlägt mit den harten Kanten seines Einbands schmerzhaft gegen mein Bein. Irgendwo in den Tiefen meiner Garderobe habe ich einen Gürtel gefunden, der, so glaube ich, zu einem Reiterkostüm gehört. Ihn trage ich unter meiner Kleidung, daran befestigt ist der Beutel, in dem ich das Buch über die Familie von Kroesus bereits aus dem Studierzimmer von Prinz Eventus geschmuggelt habe. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh, dass die Kleider hier im Schloss so ausladend sind, denn sie verbergen alles, was unter den Röcken möglicherweise transportiert wird.

Ich fröstele in der Dunkelheit. Ein Palast bei Dunkelheit ist unheimlich. Ich richte den Schein meiner Laterne auf das Notizbuch von Adalmar und kontrolliere meine Position. Wie so oft in den letzten Minuten tue ich es nur, um mich von dem mulmigen Gefühl abzulenken. Ich weiß genau, wo ich mich befinde. Einmal um die nächste Biegung, ein paar Meter geradeaus und ich muss zu meiner Linken die Tür sehen, die in den Nordwest-Seitenbau führt, der recht klein ist und in dem, laut Adalmars Aufzeichnungen, sich nichts weiter befindet als die Räumlichkeiten, die Prinz Titus seit seiner Verurteilung bewohnt, und einer alten Hofschreiberstube.

Mein Herz schlägt schneller. Ich weiß nicht, worin meine Nervosität genau begründet liegt. Allein die Tatsache, dass ich verbotenerweise allein nachts durch das Schloss streife, ein geklautes Buch unter meinem Rock transportiere und eine Karte in den Händen halte, die offenbaren würde, dass ich lesen kann, ist schlimm genug. Doch nichts davon jagt mir so sehr Angst ein, wie die Aussicht, in ein paar Minuten in Titus Zimmer zu stehen, ihn womöglich wecken zu müssen. Wer weiß schon, wozu er im Halbschlaf fähig ist, wenn er schon bei Tageslicht nicht ganz Herr über sich ist? Eine Gänsehaut überzieht meinen gesamten Körper und ich versuche, diese absurden Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Es bringt absolut nichts, mir den Kopf zu zerbrechen. Denn insgeheim weiß ich doch, dass ich keine andere Wahl habe. Ich bin nicht der Typ Mensch, der mit einem geheimen Diebesgut in seinem Zimmer hockt und wartet, bis irgendetwas passiert. Diese ganze Verschwörung hat mich inzwischen genauso im Griff, wie die beiden Prinzen. Ich will endlich die Wahrheit wissen, nicht morgen oder nächste Woche, sondern noch in dieser Nacht!

Schemenhaft mache ich ein paar Meter vor mir die Biegung aus, hinter der irgendwo die Tür in den Nordwest-Bau liegen muss. Ich ignoriere mein unruhiges Zittern, werfe noch einen sinnlosen Blick auf die Karte und schaue ein weiteres Mal hinter mich, um auszuschließen, dass mir jemand folgt. Ich bin erleichtert, dass das nicht der Fall ist. Scheinbar hat Eventus wirklich keinen Verdacht geschöpft. Mit einem letzten Blick zurück, mit dem ich dieses beklemmende Gefühl abschütteln will, biege ich um die Ecke und stoße prompt mit einer Person zusammen. Mir bleibt beinahe das Herz stehen und ich muss mich hart zusammennehmen, um einen Schrei zu unterdrücken. Ich taumele erschrocken zurück, dabei stößt meine Laterne hart gegen die Steinwand. Es folgt ein Klirren und die Kerze im Inneren erlischt. Um mich herum ist es noch dunkler als ohnehin schon und ich kann den großgewachsenen Mann vor mir nur schemenhaft ausmachen. Vielleicht eine Palastwache? Das wäre dann allerdings mein Ende. Hätte ich bloß nach vorne geschaut!

Doch die Person, mit der ich zusammengestoßen bin, ist völlig unbeeindruckt von dieser nächtlichen Begegnung. „Passen Sie doch auf!", knurrt sie nur und will sich an mir vorbeischieben. Doch trotz dieser unhöflichen Reaktion werden meine Knie weich vor Erleichterung und ich muss mich erst einmal an die Wand lehnen, um den Schreck von eben zu verdauen. Denn ich kenne diese Stimme inzwischen: Mürrisch, tief und doch mit einer versteckten Wärme und Attraktivität darin. Langsam breitet sich auf meinen Lippen ein Lächeln aus. „Verzeihung, Hoheit", entschuldige ich mich und halte ihn mit diesen Worten zurück. Titus beginnt, mich eingehend zu mustern. Zwar trage ich noch das Kleid vom Tag, doch die Schminke und die Dutzenden an Haarnadeln habe ich längst von meinem Gesicht und aus meinen Haaren entfernt. Er ist nicht gewöhnt, mich so natürlich und mit einem einfachen Zopf zu sehen. Wahrscheinlich ist es meine Stimme, an der er mich erkennt, so wie auch ich ihn erkannt habe. Und das macht mich sogar ein bisschen stolz. Vor ein paar Tagen habe ich mir noch gewünscht, wir würden uns so wenig wie möglich kennen. Doch mittlerweile weiß ich, dass er im Grunde kein schlechter Mensch ist. Ich bin mir sicher, dass er mehr Achtung verdient und es steigert mein Selbstwertgefühl, dass er offenbar auch in mir eine Person entdeckt hat, die es sich lohnt, besser zu kennen. Tatsächlich hat seine Stimme etwas von dem abweisenden, unfreundlichen Ton eingebüßt und klingt schon fast zuvorkommend, als er sagt: „Ach, Sie sind das. Tut mir leid, aber ich habe zu dieser Zeit, an diesem Ort eher mit einem Dienstmädchen gerechnet als mit Ihnen, Fräulein Marlene." Ich räuspere mich. „Das freut mich zu hören, Hoheit. Es zeigt, dass ich mir Ihresgleichen gegenüber ein wenig von meiner Unberechenbarkeit bewahrt habe." „Meinesgleichen?", fragt er nach und ich nicke, obwohl ich nicht so recht weiß, ob er es überhaupt sieht. „Ja, gegenüber der höfischen Noblesse", konkretisiere ich und verwende absichtlich diesen leicht snobistischen Begriff, den Esther neulich gebraucht hat. Meine Laune ist in Höhenflügen und alle Anspannung endgültig von mir abgefallen. Irgendwie fühle ich mich in seiner Gegenwart in diesen dunklen Gängen um einiges sicherer.

Die HofdameNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ