Kapitel 20 - Titus

1.1K 78 2
                                    

Die Ränge sind brechend voll. Adlige in bunten Kleidern, Schaulustige mit Ferngläsern – die gesamte Palaststadt ist in der Arena. Auf der Tribüne in der Mitte thront Eventus und blickt auf mich herab. Ich stehe ihm zu Füßen, flankiert von zwei Wachen.

Die Menge jubelt. Mein Bruder bringt sie zum Schweigen. „Wir haben den Scheiterhaufen errichtet, damit die letzte Verleumdung meiner Königswürde in Flammen aufgeht!" Er reckt seinen Arm in die Höhe, in der Hand hält er das Adelsregister. Das Register! Wie kommt es zu ihm? Hat Marlene es nicht gut versteckt?

Eventus grinst auf mich herab. „Dieses Buch", fährt er ebenso laut fort, „hat viel zu lange meine Macht gefährdet! Jetzt wird es brennen und unwiderruflich verloren sein!" Die Schaulustigen steigern sich in ein Pfeifen und Grölen. Eventus steigt von seiner Tribüne herab und schreitet an mir vorbei zum Scheiterhaufen. Seit wann ist der hier? Er wird doch nicht wirklich das Adelsregister verbrennen! Das ist der letzte Beweis!

Entsetzt sehe ich zu, wie er die Seiten einzeln herausreißt und zwischen die Holzscheite stopft. Der Henker reicht ihm die Fackel und er legt persönlich Feuer. Der Rauch brennt in den Augen und mir kommen die Tränen. Jetzt ist alles verloren! Das Adelsregister war meine Rettung, meine Hoffnung.

Eventus wendet sich vom Feuer ab, kommt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. „Da geht er dahin, dein Beweis", raunt er hämisch. Ich bemühe mich um Fassung. „Bist du nun zufrieden?!", brülle ich ihn an. Er bleibt unbeeindruckt. Grinsend erwidert er: „Aber die Vollstreckung ist doch noch gar nicht zu Ende. Denkst du, ich habe Angst vor einem Buch?" Seine Miene verfinstert sich, seine Augen werden dunkel und gehässig. „Du bist die letzte Verleumdung meiner Königswürde, Titus. Und deshalb wirst du als nächster brennen." Die Wachen ziehen mich nach vorne. Dem Feuer entgegen. Ich spüre die Hitze, dann den Schmerz. Ich fange an zu schreien.

Keuchend, schwitzend und mit Herzrasen schrecke ich aus meinem Traum. Einen Moment lang weiß ich nicht, wo ich bin, so sehr hängt mir die Szene nach. Dann kann ich mich auf meine dunkle Umgebung konzentrieren und komme langsam zur Ruhe. Ich setze mich auf und vergrabe verzweifelt das Gesicht in meinen Händen. Mein Körper zittert. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich habe hingelebt auf einen Hoffnungsschimmer, auf einen Beweis, mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich meine Hoffnung auf ein Leben in Freiheit wiedererlangen kann. Doch seit dem Moment, an dem ich das Adelsregister in den Händen hielt, plagen mich Alpträume. Seit drei Nächten träume ich dieses Schreckensszenario. Immer wieder sehe ich den Scheiterhaufen, meinen Bruder und ja, manchmal auch die Hofdame. Einmal wird sie mit mir zum Feuer gezerrt, um an meiner Seite zu sterben.

Meine Nerven liegen blank, mein Bruder besetzt auch tagsüber meine Gedanken. Das Gericht ist informiert von dem letzten Freund, der seit Jahren zu mir steht. Aber die Richter lassen sich Zeit, während ich um meine Freiheit bange. Fahrig durchwühle ich meine Haare. Ich mache mir nicht nur Sorgen um mich selbst. Seit drei Tagen quäle ich mich mit dem Vorwurf herum, dass ich eine weitere Person in Gefahr gebracht habe. Immer wieder rede ich mir selbst gut zu. Sie ist eine erwachsene Frau, sie weiß, was sie tut. Sie hat aus freiem Entschluss gehandelt. Sie ist schlau genug, zu wissen, was sie mit dem Register anfängt. Aber mir geht nicht aus dem Kopf, wie sie gezögert hat, als ich sie darum bat, das Buch zu verwahren. Als stünde mehr auf dem Spiel als ihr guter Ruf. Als hätte sie noch ein weiteres Geheimnis.

Im Prinzip bin ich stets davon ausgegangen, dass ihre Hilfe absolut und bedingungslos ist. Doch welche Hofdame, welche unbeeinflusste Frau setzt für dieses gefährliche Unterfangen alles aufs Spiel? Ihr Gerechtigkeitssinn spricht im Grunde dafür, dass sie nicht dumm und gutgläubig ist. Und solche Menschen tragen meist mehr als eine Last mit sich herum. Eigene Geheimnisse oder die anderer, Prinzipien, die sie über alles stellen, Menschen, die sie lieben... Ich wüsste gerne, welche Priorität sie meinem Schicksal einräumt. Wie standhaft sie ist, wenn es hart auf hart kommt. Sie hat ihre Schwestern hier, bei Hofe. Und ich sollte nie unterschätzen, welchen Stellenwert ein intaktes Familienleben haben kann. Meine Familie ist zerbrochen, kaputtgegangen an Lügen, Intrigen und Verrat. Aber ihre besteht noch. Und ich weiß, dass ich niemals hätte von ihr verlangen sollen, dass sie all das aufs Spiel setzt, indem sie mir hilft.

Die HofdameWhere stories live. Discover now