Kapitel 39 - Titus

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Mit gemischten Gefühlen betrachte ich den Strom an größtenteils alten Herren, die in den kleinen Saal hineinströmen, der für die Ratskonferenzen bestimmt ist. Zu kaum einem von ihnen habe ich ein besonderes Verhältnis. Wie sollte es auch anders sein, schließlich bin ich in ihren Augen ein Verbrecher gewesen. Und doch sind es die Männer, denen mein Vater vertraut hat. Korbinian hat den Rat einfach so von ihm übernommen, er war noch nie der Typ Mensch, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, politisch zu verändern. Vor allem dann nicht, wenn er als Regent nur übergangsweise eingesetzt ist. Nun steht er neben mir an der Tür, begrüßt jeden einzelnen mit einem Nicken oder Händedruck und hat doch nur Augen für mich.

„Was immer du tun musst, tu es", raunt er mir zu, als würde er spüren, wie unbehaglich ich mich fühle. „Ich stehe an deiner Seite. Und es muss dir um keinen dieser Männer leidtun. Sie haben lange genug ihren Sitz im Rat gehabt und sie haben Eventus aus der Hand gefressen. Ich würde mich mit diesen Menschen auch nicht umgeben wollen." Ich nicke ihm dankbar zu.

Als letztes betritt Moritz den Raum. Er scheint guter Laune zu sein, denn er strahlt mir entgegen. Es ist so viel einfacher für ihn geworden, seit er seine Verlobung mit Martha gelöst hat. Jeden Tag führt er Henna aus. Seine Euphorie könnte mich fast nerven, wenn die aktuellen Entwicklungen nicht bedeuten würden, dass Martha ebenfalls wieder ungebunden ist. Leider habe ich sie die letzte Woche kaum gesehen. Die Vorbereitungen für die morgige Krönung haben mich beschäftigt und trotz der vielen Unterstützung durch meinen Onkel fühle ich die riesige Verantwortung, die auf mich zukommt. In wenigen Stunden werde ich Sorge tragen für ein ganzes Land.

Die Pagen schließen hinter Moritz die Tür. Der große Konferenztisch ist bis auf zwei Plätze voll besetzt und die Herren sind komplett in ihrem alten Trott gefangen. Sie ordnen Papiere, tauschen sich aus, putzen das Monokel, trinken einen Schluck Wasser, oder starren einfach ins Leere. Niemand denkt, dass sich etwas ändern könnte. Doch es wird sich etwas ändern. Definitiv.

„Ich freue mich, dass Sie alle, auch angesichts der bevorstehenden Krönung, die Zeit gefunden haben, diesen Termin wahrzunehmen", spricht Korbinian volltönend in den Raum hinein. „Das Datum wurde festgelegt an einem Tag, wo die derzeitige Situation nicht abzusehen war. Und doch finde ich es wichtig, dass wir heute hier sind. Da mein Neffe ab morgen das Land führen wird, halte ich es für außer Frage, den Vorsitz heute an ihn abzutreten."

Nun blicken die ersten Herrschaften verwirrt und teilweise auch schon unzufrieden auf. Wer kann es ihnen verdenken? Die meisten von ihnen sind doppelt bis dreimal so alt wie ich. Natürlich sind sie nicht damit zufrieden, dass ich den Ton angebe. Aber das ist mir in diesem Moment gleich.

Mein Onkel und ich nehmen unsere Plätze ein, ich an der Stirnseite, er zu meiner Linken.

„Auch ich danke Ihnen für Ihr Kommen, meine Herren. Es gab viel zu verdauen in den letzten Tagen, das will ich gar nicht bestreiten. Und doch hoffe ich, Sie haben sich nicht der Illusion hingegeben, dass von nun an alles so bleibt, wie es ist. Ich sehe es als meine Pflicht, das Land bestmöglich zu führen und ich bin gewillt, bereits heute die wichtigsten Änderungen vorzunehmen, damit ich nach meiner Krönung sofort arbeitsfähig bin. Ab sofort werde ich den Vorsitz übernehmen und als Stellvertreter benenne ich meinen Onkel."

Ein alter, weißhaariger Herr hebt zögerlich seine Hand. Ich runzele die Stirn und versuche mich, an seinen Namen zu erinnern, aber Korbinian springt ein und fordert ihn freundlich auf, zu sprechen. „Fürst von Auer, Sie haben eine Frage." Der Angesprochene nickt eifrig. „Königliche Hoheit, verzeihen Sie, dass ich einschreiten muss, aber ich hatte bisher den stellvertretenden Vorsitz inne." Ich seufze innerlich. Das ist wohl der Moment, in dem ich unangenehme Wahrheiten aussprechen muss.

„Ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber als ich sagte, es müsse sich etwas ändern, sprach ich vor allem von der personellen Besetzung des Rates. Ich brauche Menschen, denen ich vertrauen kann und es tut mir leid, es auszusprechen, aber die meisten von Ihnen kenne ich gar nicht. Es ist mir zudem unmöglich, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die vor einigen Wochen noch meiner Exekution zugestimmt haben." Kollektives Luftanhalten. „Ich bin dankbar für die Arbeit, die Sie alle bisher geleistet haben und hoffe, dass Sie für meine Entscheidungen Verständnis aufbringen können. Fürst von Auer, Sie haben sowohl meinem Onkel als auch meinem Vater mit Rat zur Seite gestanden. Aber ich glaube, es ist an der Zeit, Ihren Sitz einer anderen Person zu überlassen, die einen neuen Blick auf Dinge beweisen kann. Und es ist für Sie an der Zeit, sich mehr Ihrem Privatleben zu widmen."

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt