Kapitel 13 - Titus

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Der Pulk an Adligen ist gegangen, um sich mit kleinen Häppchen und alkoholischen Getränken vollzustopfen. Ich betrachte das Gemälde im Schein des Mondes, der durch die hohen Fenster der Galerie dringt. Wie kann so ein Bild, ein paar Pinselstriche auf einer Leinwand, nur solch ein Interesse unter den Höflingen hervorrufen? Letztendlich schaut Marlene nur steif auf den Betrachter herab, wie es all die anderen Damen tun. Ich habe nicht gelogen, als ich zu der neuen Hofdame sagte, ich würde das Portrait nicht mögen. Es ist dunkel und leblos. Der Maler hat ihren Gesichtsausdruck vollkommen verfehlt. Vermutlich, weil sie entweder offensichtlich gelangweilt auf die Tapete gestarrt oder all ihre Wut mir gegenüber zum Ausdruck gebracht hat. Keine sehr rühmlichen Mimiken.

Mein Blick wandert nach rechts zu den älteren Portraits. Henrietta ist wirklich sehr gut getroffen. Arglos und gut gelaunt. Ernestine ist... nun ja, ernst eben. Steif. Unnahbar. Aber so ist sie auch in Wirklichkeit. Die meisten Menschen scheint es nicht zu stören, solange sie sich korrekt verhält. Mir jedoch war sie von Anfang an nicht sympathisch.

Neben Ernestine hängt Theodora. Sie ist wohl die einzige Hofdame, zu der ich einst einen fast schon vertrauten Umgang pflegte. Sie erinnerte mich immer ein bisschen an meine Mutter. Diszipliniert, wenn es darauf ankam, bereit, sich in Strukturen einzufinden, aber innerlich stets ein Stück unkonventionell. Sie achtete die Menschen nicht ihres Standes wegen, sondern sie erkannte den Wert einer jeden Person. Und dann beging sie Verrat an mir. Fast mehr als das Urteil schmerzte es mich zu hören, dass sie mich verriet.

Ich wende mein Gesicht ab. Langsam setze ich mich in Bewegung. Ich werde langsam müde, die letzte Zeit hat meinen nachtaktiven Tagesrhythmus völlig durcheinandergebracht. Doch mein Kopf ist so voll, dass ich sowieso noch nicht schlafen kann. Seit diese Marlene da ist, dringt die Zeit meiner Verurteilung wieder in mein Bewusstsein. Ich spüre die Verletzung, als wäre sie frisch. Und der einzige Ort, der mich ablenkt, ein Ort, wo ich mich müde und stumpfsinnig arbeiten kann ist die Bibliothek.

Ich benutze die Dienstbotengänge, um zu der geschnitzten Tür zu gelangen. Oft habe ich das Gefühl, dass die Wege dadurch viel kürzer werden. Ich stoße beide Türflügel auf. Der Geruch nach süßem, schwerem Wachs liegt in der Luft, die Kerzen an den Leuchtern sind um diese Zeit fast vollständig heruntergebrannt. Die Schatten an den Wänden tanzen gemeinsam mit den flackernden Flammen. Ein Wunder, dass in all den Jahren bei der Verbindung von Feuer und Papier noch nichts passiert ist. Ich betrete den Mittelgang. Wo kann ich heute suchen? Die Rechtsabteilung ist so gut wie durchkämmt. Das Archiv ist bei dieser Dunkelheit zwecklos. Vielleicht findet sich etwas in den Geschichtsbüchern? Ich passiere fünf weitere Regale und biege dann nach links.

Urplötzlich sehe ich mich einer hageren, gebeugten Gestalt gegenüber. Mein Herz setzt einen Schlag aus und es dauert eine Weile, ehe ich mich wieder gefangen habe. Ich bin hier schon seit zwei Jahren niemandem mehr begegnet. Obwohl ich all die Zeit genau die Person gesucht habe, die nun vor mir steht. Ich könnte Adalmar so viel an den Kopf werfen. Ich könnte all meine Wut und Frustration rauslassen. Doch ich bleibe stumm. Mein Herz klopft erwartungsvoll. Ich wäre ihm nicht begegnet, wenn er es nicht so gewollt hätte.

„Warum fängt alle Welt an, in der Geschichte zu suchen, wenn Recht und Politik versagen?", lässt der Bibliothekar sich heiser vernehmen. Ich räuspere mich. Meine Stimme ist auf einmal ganz belegt. „Vielleicht, weil vieles, was geschieht, schon einmal geschehen ist? Geschichte kann uns Rat geben." Ich erkenne ein Schmunzeln auf seinem faltigen Gesicht. „Das ist nur eine Ausrede für die Menschen, die nicht imstande sind die Zeichen der Gegenwart zu erkennen. Die Geschichte sollte erst dann zurate gezogen werden, wenn alles andere versagt." „Bei mir hat alles andere versagt", reagiere ich heftig. Adalmar lässt das kalt. „Kommen Sie, Hoheit. Ich glaube, Sie können einen Cognac vertragen."

Die HofdameKde žijí příběhy. Začni objevovat