Kapitel 6 - Martha

1.3K 88 4
                                    

Und schon wieder Rosentapete. Nach meiner Ankunft ist heute der zweite Tag hier. Der zweite Tag, an dem ich in einem zu großen Zimmer erwacht bin, Verträge schreiben und verstecken musste, Maurice zum Rosensalon gefolgt bin, den ich beim besten Willen noch nicht selbst gefunden hätte, und an dem ich Modell sitze. Gestern, beim Abendessen mit meinen Schwestern, hatte Henna fast schon mitleidig vorgeschlagen, ich könne doch eine Stickerei beginnen, um mich abzulenken, aber Esther hatte sofort interveniert und gemeint, das könne der Ausstrahlung auf dem Bild schaden. Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, ob sticken so viel besser gewesen wäre als einfach nur dazusitzen.

Die Begegnung mit dem ehemaligen Kronprinzen hatte ich tunlichst verschwiegen. Es ist so ein Gefühl, dass meine Schwestern sich nur sorgen und meine sowieso schon aufgewühlten Gedanken nicht beruhigen, sondern nur noch mehr in Aufruhr bringen würden. Immer wieder reflektiere ich die gestrige Unterhaltung, wenn man es überhaupt als solche bezeichnen kann. Bin ich zu aufbrausend gewesen? Nein, definitiv nicht. Selbst wenn ich nichts von seiner Vergangenheit wüsste, hätte ich ihn verabscheut. Seine offenen Beleidigungen, die mein sowieso schon angeknackstes Selbstbewusstsein hier bei Hofe nur noch mehr schwinden lassen, sagen deutlich, was für ein schlechter Mensch er ist. Wäre er nicht unfreundlich, könnte er mir fast leidtun. Aber er ist unfreundlich. Und so tut er mir nicht leid.

Aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr. Langsam wende ich den Kopf und bin seltsamerweise nicht überrascht, ihn wieder da stehen zu sehen. Sein Auftreten hat sich zu gestern nicht verändert, nur seine Haare hängen ihm nicht mehr so ins Gesicht, sodass ich die Farbe seiner Augen sehen kann. Es ist ein tiefes, weiches Braun, das so gar nicht zu seinem abstoßenden Charakter passen will.

„Hoheit", grüße ich unfreundlich und neige den Kopf. Dann wende ich mich demonstrativ ab und schiebe stolz mein Kinn nach vorne, wie der Maler es eingefordert hat. Der Prinz betritt langsam den Raum, tritt hinter die Staffelei und mustert das Bild, das darauf entsteht. Der Künstler arbeitet nur unbeirrt weiter.

„Ich mag das Portrait nicht", kommentiert Prinz Titus. Ich bleibe unbeeindruckt. „Ich bezweifle, dass Sie überhaupt etwas mögen. Ganz sicher aber mögen Sie mich nicht und ich bin Gegenstand des Portraits." Zu meiner großen Überraschung sehe ich ein Schmunzeln in seinem Gesicht, ganz kurz nur, aber sehr sicher anwesend. „Ich sehe schon, Edle Dame, es war richtig, heute wiederzukommen, denn Sie sind das einzig annähernd Interessante, das in diesem Palast auffindbar ist. Also unterhalten Sie mich." Ich runzele die Stirn. „Ich bin nicht Ihr persönlicher Clown", gebe ich unwirsch zurück, bin jedoch weit entfernt davon, erneut aus dem Raum zu stürmen und vor seiner Anwesenheit zu fliehen. Denn tatsächlich ist seine Anwesenheit, sosehr ich ihn verabscheue, alles andere als langweilig, ganz anders als der restliche Alltag als Hofdame.

„Ach, sind Sie das nicht? Ich denke, das Leben bei Hofe ist ein einziger Zirkus und die Hofdamen sind die Clowns. Sie unterhalten uns, solange Sie interessant sind und wenn wir genug von Ihnen haben, wird irgendein Adliger aus dem Hut gezaubert, der Sie ehelicht und wir können uns eine neue Attraktion suchen." Nun grinst er höhnisch und beobachtet gespannt meine Reaktion. Doch ich bemühe mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Die Worte verletzen mich nicht, denn ich müsste meine Stellung lieben, um verletzt zu werden. Sie machen mich nur traurig. Und erinnern mich an meinen Vater, den ich schütze.

„Sie haben Recht", antworte ich schließlich zu seiner Überraschung und ein diabolisches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. „Und wenn die Clowns endgültig an Reiz verloren haben, dann schleift man den Dompteur in die Manege und lässt ihn von den Raubtieren zerfleischen." Er zieht verärgert seine Brauen zusammen und ich weiß, dass er die Anspielung auf seine Verurteilung verstanden hat.

„Wissen Sie, ich verstehe nun so einiges", beginnt er. „Zum Beispiel?", hake ich nach. „Zum Beispiel, warum mein Onkel Sie zur Tischdame wählt." Ich sollte mich wundern, woher er das weiß, doch eigentlich bin ich nicht überrascht davon, dass er das Geschehen im Auge behält. Ich erinnere mich an den Schatten auf der Empore und bin mir sicher, dass er nicht meiner Einbildung entsprungen sein kann, sondern dass Titus es gewesen sein muss.

Die HofdameWhere stories live. Discover now