Kapitel 3 - Martha

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Es ist kurz vor zwölf und ich bin leicht außer Atem. Dieser Palast hat sich bereits bei meinem ersten Eintreten und auf dem Weg zu meinem Zimmer vorhin als ein einziger riesiger Irrgarten herausgestellt. Doch jetzt, wo ich in ein enges Korsett geschnürt bin, das mir die Lunge abpresst und einen Reifrock trage, mit dem ich die Hälfte der Arbeitsstube meines Vaters ausfüllen könnte, kommt zu der Verwirrung noch die Kurzatmigkeit. „Ist es noch weit?", frage ich Maurice, der mich schon mindestens fünf Minuten durch dieses Labyrinth führt. Der Junge lächelt, was die Sommersprossen auf seinem Gesicht tanzen lässt. „Keine Sorge, Edle Dame, wir sind fast da."

Wie sich herausstellte, hat Esther nichts dem Zufall überlassen. Nachdem ich meine Räumlichkeiten bezogen hatte – eine Suite mit einem Schlafzimmer inklusive riesigem Himmelbett, einem Salon mit furchtbaren rosafarbenen Polstern und einem Badezimmer mit einer Badewanne aus Marmor – bekam ich tatsächlich Besuch von Timo. Der knappen Vorstellung seiner Person konnte ich entnehmen, dass er Experte für Mode und Etikette ist. Eigentlich hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass meine Schwester nicht auf meine Fähigkeiten vertrauen würde. Dafür ist die eigene Stellung ihr viel zu heilig. Der groß gewachsene junge Mann war zu meiner Überraschung eine überaus schlichte Erscheinung in dunklen Kleidern und mit kurzen, rabenschwarzen Haaren. In einer Ruhe und Effizienz hatte er mir wesentliche Verhaltensregeln nahegebracht und blieb völlig wertungsfrei in Mimik und Kommentaren, auch angesichts meiner Unwissenheit.

„Wir sind da, Edle Dame", reißt Maurice mich aus meinen Gedanken. Vor mir sehe ich eine doppelflügelige, weiße Tür mit goldenen Ornamenten, die von zwei Lakaien flankiert wird. Sie verneigen sich vor mir. Ich schenke meinem Pagen ein Lächeln. „Danke, Maurice. Du kannst jetzt gehen." Der schlaksige Junge verbeugt sich ebenfalls und huscht dann davon.

Die Lakaien lassen mir keine Zeit, mich zu sammeln. Vollkommen synchron greifen sie nach den Türknäufen und geben den Blick frei auf einen großen Raum mit bequem aussehenden, dunkelgrünen Sitzmöbeln, einer cremefarbenen Tapete und ohne viel Schmuck, mit Ausnahme eines großen Kristallkronleuchters, an dessen Facetten sich das Licht bricht, welches durch die raumhohen, schmalen Fenster fällt.

„Ich verkünde die Ankunft der Edlen Dame Marlene", schnarrt neben mir eine wohlbekannte Stimme und ich zucke zusammen, weil ich nicht erwartet habe, angekündigt zu werden. Herr von Kämmerlich wuselt davon und ich stelle nicht ohne Erheiterung fest, dass er sich nur für diesen kurzen Auftritt mit seiner Kleidung an die Farbe des Raumes angepasst hat.

Meine Nervosität steigt, als ich die Personen wahrnehme, die bereits anwesend sind. Esther und Henna haben sich ebenfalls umgezogen und erscheinen schlicht und elegant. Bei ihnen an der Fensterfront stehen zudem zwei Herren. Der ältere von beiden ist etwa Mitte fünfzig und allem Anschein nach der Prinzregent Korbinian von Calia. Seiner Erscheinung nach würde ich ihn eher auf einem Handelsschiff vermuten als auf dem Thron. Er trägt einen dichten grauen Bart und kurzgeschorenes Haar. Seine Kleidung ist robust und hebt sich deutlich von den bunten, verzierten Roben ab, welche die meisten Adligen spazieren tragen. Sein Blick streift mich flüchtig, doch ich merke schnell, dass er mich anhand meines Auftretens nicht beurteilt. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er sich ein Urteil über mich bilden wird, das allein von der Art abhängt, was ich sage und tue.

Der zweite Herr ist das komplette Gegenteil. Prinz Eventus ist sehr jung – Anfang zwanzig – und äußerst gut aussehend. Sein braunes Haar hat genau die richtige Länge, ist ordentlich und gepflegt. Die Kleidung, die er trägt, ist eine stilvolle Mischung aus einer schlichten Hose und einem weißen Hemd, kombiniert mit einer goldfarbenen Weste, verziert mit roten Applikationen und einem roten Mantel, dessen Manschetten von tropfenförmigen Goldknöpfen verziert werden. Alles an ihm erscheint mir nahe der Perfektion, ohne wirklich perfekt zu sein. Eventus ist mir sympathisch, doch er ist nicht greifbar für mich. Ich kann mir keine Meinung über ihn bilden.

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt