Kapitel 15 - Martha

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Der Abend ist schon fortgeschritten und ich bin gerade unendlich froh, für einen Moment der Aufmerksamkeit mir gegenüber zu entrinnen. Esther hat mit ihrer Kleiderwahl für mich absolut zielsicher dafür gesorgt, dass ich auch wirklich auffalle und meiner Aufgabe als neue Hofdame gerecht werde. Wann immer ich mich unauffällig davonstehlen wollte, traf ich auf jemand Neuen, der unbedingt meine Bekanntschaft machen musste. Ich lasse mit einem tiefen Atemzug die Nachtluft in mich einsickern. Zum Glück entzieht sich die Terrasse dem allgemeinen Interesse und ich bin weit genug von all den Lichtern entfernt, dass niemand auf mich aufmerksam wird. Mein Magen rumort. Ich habe bisher nur einen kleinen Happen gegessen. Aber lieber bleibe ich allein, unentdeckt und hungrig hier draußen, als mich in die Massen am Buffet zu stürzen. So jedenfalls mein Plan, der in dem Moment zerstört wird, als ich ein Räuspern hinter mir vernehme. Ich drehe mich um und erblicke einen galant gekleideten und äußerst gutaussehenden jungen Mann, den ich auf den ersten Blick nicht erkenne. Und auf den zweiten Blick ist es nur Hennas Adelsunterricht zu verdanken, dass ich mein Gegenüber als Prinz Titus erkenne. Er ist rasiert und trägt einen ordentlichen Haarschnitt, seine Statur wird vorteilhaft von edler Kleidung unterstrichen und seine Haltung zeugt von Stolz. Einen Moment lang bin ich so verblüfft, dass ich gar nichts zu sagen weiß.

Der Kronprinz verbeugt sich galant. Es ist verblüffend, in welch anderem Licht er mir plötzlich erscheint. Ich knickse tief und finde endlich meine Stimme wieder. „Sie überraschen mich, Hoheit", beginne ich und sehe so etwas wie Erstaunen über sein Gesicht huschen. Darüber, dass ich ihn erkenne. „Ich hätte Sie weder auf einem Ball erwartet, noch gut gekleidet", gebe ich zu. „Woher dieser Sinneswandel?" Er legt den Kopf schräg und mustert mich, als würde er in meinem Gesicht nach irgendetwas suchen. Zu welchem Ergebnis er auch immer kommt, als er mir antwortet, klingt seine Stimme bestimmt. „Ich muss mit Ihnen sprechen, Fräulein Marlene. Aber weder Sie noch ich haben ein Interesse daran, dass mein Bruder uns erneut gesteigerte Aufmerksamkeit schenkt." „Weiß er denn nicht, dass Sie hier sind?", merke ich an und denke daran, wie Eventus mich auf der Tanzfläche stehengelassen hat. Titus zuckt mit den Schultern. „Sicherlich. Aber er wird annehmen, dass ich zerzaust in irgendeiner Ecke hocke. Zumindest bin ich auf einem Ball weit weniger exponiert als anderswo." Da muss ich ihm allerdings Recht geben. Unsere Zweisamkeit wird jäh gestört, als sich ein flirtendes Pärchen zu uns in die Dunkelheit gesellt. Ich seufze. „Unser Gespräch kann schon einmal nicht hier stattfinden." Er lächelt, was absolut ungewohnt ist und noch nicht recht zu ihm passen will. „Diesen Ort hätte ich für eine Unterhaltung sowieso nicht ausgesucht. Man weiß nie, wer im Dunklen lauert und lauscht. Lieber begebe ich mich ganz offensichtlich in die Höhle des Löwen." Ich runzele die Stirn und Prinz Titus schmunzelt über mein verwirrtes Gesicht.

„Ich bin mir bewusst, dass Sie mich nicht mögen, Edle Dame, aber hätten Sie die Güte mit mir zu tanzen? Nirgendwo wird man weniger belauscht als auf dem Parkett." Ich kann nicht glauben, was er da sagt. „Sie wollen mit mir tanzen, um mit mir zu reden?", fasse ich sein Vorhaben zusammen. „Wir wären umgeben von neugierigen Menschen." „Gewiss, neugierige Menschen, die sich ganz ihrem Partner widmen, sodass nichts drumherum mehr wichtig erscheint", breitet der Kronprinz seine bestechende Logik vor mir aus.

Er verbeugt sich formvollendet und streckt mir auffordernd seine Hand entgegen. Ich seufze, knickse dann aber und ergreife sie. „Ich hoffe nur, dass ein Tanz für Ihre Unterhaltung genügt, Hoheit." Er lacht leise. „Das hoffe ich allerdings auch."

Wir betreten den stickigen Ballsaal. Auf der Tanzfläche stellen sich gerade die Paare für den neuen Tanz auf. Ich entdecke Eventus mit Esther und Henna mit Graf Moritz von Molda. Titus führt mich zielstrebig weg von seinem Bruder und gemeinsam reihen wir uns zwischen zwei Paaren ein, er in der Reihe der Herren, ich zwischen einer pinken und einer gelben Dame, die beide ihren Partner anschmachten und entschieden zu viel Schminke im Gesicht tragen.

Die HofdameWhere stories live. Discover now