Kapitel 29 - Martha

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Das Amphitheater ist ein Ort des Schreckens. Die Art von Hölle, die man in der perfekten Welt der Reichen und Schönen niemals erwartet. Der Schauplatz, an dem ungeschönt und schonungslos all die Verwerflichkeit des höfischen Lebens und der Menschen, die daran teilnehmen, zutage tritt.

Foltergeräte, ein Galgen und mehrere Podeste stehen im Rund um eine Tribüne, auf der sich bereits Eventus und die Richter befinden. Als ob die Richter in dieser Angelegenheit etwas zu sagen gehabt hätten. Eventus ist entschlossen, alles so wirken zu lassen, als wäre es rechtskräftig. Als wäre nicht sein Hass allein Ursache für die Bestrafung eines Unschuldigen. Der Prinzregent ist fortgeblieben.

Die Ränge des kreisrunden Schauplatzes sind brechend voll. Ich bin erstaunt, nicht nur die Adligen zu sehen, sondern auch Menschen, bei denen ich vermute, dass sie aus der Königsstadt kommen. Sie alle scheinen dieses Ereignis, das es für sie ist, mit Spannung zu erwarten. Es ist einfach eine Abwechslung von ihrem Alltag, ein Event, dem sie beiwohnen, um danach wieder an ihr Tagewerk zu gehen. Es ist vermutlich genau die Art Ablenkung, die eine Hochzeit in adligen Kreisen wäre oder eine neue Hofdame am königlichen Hof. Nicht die Zerstörung der Zukunft eines Menschen. Ihres rechtmäßigen Herrschers.

Die untersten Ränge sind mit Mitgliedern des Hofes und den wichtigsten Adligen bestückt. Auch wir Hofdamen haben einen Ehrenplatz auf der untersten Stufe erhalten, gemeinsam mit einigen mir bekannten Gesichtern des höheren Adels. Direkt bei mir ist Moritz. In einer Ledertasche über seiner Schulter befinden sich die Dokumente, die ich von Adalmar bekommen habe. Ich merke ihm die gleiche nervöse Unruhe an, die auch mich seit Tagen befallen hat, deretwegen ich nicht schlafen und kaum essen kann. Ich habe das Gefühl, als hätten wir irgendetwas übersehen, als könnte es nicht so leicht sein, Eventus hinters Licht zu führen. Der Plan, obwohl gut überlegt, scheint mir einfach nicht wasserdicht zu sein. Moritz' Kutscher steht bereit, um Titus zum Anwesen von Kroesus zu bringen. Moritz wird ihm, sobald das Spektakel vorbei ist, dorthin folgen und Theodora und dem Fürsten die Sachlage erklären, sowie unsere Beweise vorlegen. Und doch stehen ungeklärte Fragen im Raum. Wird auch niemand merken, dass Titus nicht dort ankommt, wo er hingebracht werden soll? Was ist, wenn Eventus für zusätzlichen Geleitschutz sorgt? Wird das Ehepaar Kroesus auf unserer Seite sein?

Moritz greift nach meiner Hand und drückt sie. In den vergangenen Tagen ist unser Umgang vertraut geworden. Nicht wie bei einem Paar, das etwas füreinander empfindet, sondern wie bei zwei Menschen, die für die gleiche Sache kämpfen. Es ist kein Platz für Zurückhaltung und Scham und Höflichkeit. Da ist nur Raum für Ehrlichkeit und Vertrauen. „Es wird alles gut", murmelt er, aber ich weiß nicht, ob er damit mich beruhigen will oder sich selbst. Henna wirft immer wieder einen Blick zu uns, aber heute scheint sie mit anderem beschäftigt zu sein als ihrer Eifersucht. Ich sehe den Zwiespalt in ihrem Blick. Einerseits möchte sie, allein aus ihrer Loyalität gegenüber Esther heraus, dieses scheinbar gerechte Urteil begrüßen. Auf der anderen Seite kann sie in ihrer Liebenswürdigkeit nicht mit ansehen, wie einem Menschen vor ihren Augen Leid geschieht. Ich fühle mich auf seltsame Art mit ihr verbunden. Auch wenn unser Streit nicht beigelegt ist, kann ich doch auf einmal verstehen, wie es ihr geht, wenn sie sich um die Menschen in ihrer Umgebung sorgt. Meine Sorge um Titus begleitet mich, egal was ich tue.

Meine Gedanken werden unterbrochen, als ich tiefe Trommelschläge vernehme. Die bunt gekleideten Gardisten kündigen durch diese Schläge die Ankunft des Gefangenen an. Ich recke mich unauffällig, um einen Blick auf den Eingang des Amphitheaters und somit auf Titus zu erhaschen und ihm auch die Möglichkeit zu geben, mich zu sehen. Doch als ich ihn dann erblicke, den Mann, der König werden soll, entfährt mir nur ein geschocktes Keuchen. Und auch die Menge um mich herum hält den Atem an. Sie alle sind auf ein Urteil gefasst. Aber nicht auf den Anblick eines gefolterten Menschen.

Die HofdameWhere stories live. Discover now