Epilog - Esther

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Ich werde flankiert von zwei Wachmännern der königlichen Garde. Als könnte ich, eine einzelne Frau, irgendetwas tun, um meinem Schicksal zu entrinnen. Wobei – Martha hätte ganz sicher einen Weg gefunden. Sie hat auch einen Weg gefunden, uns so wenig Schmach und Schande auszusetzen, wie nur möglich. Das Urteil wurde im Gerichtssaal gefällt, nach allen Vorschriften der calischen Rechtsprechung. Es wird für das Volk vor den Palastmauern verlesen, für Eventus und mich hinter dem Palast, wo niemand Zeuge sein wird, außer unseren Familien.

Hinter mir folgt Eventus. Sein Maß an Überwachung beträgt das Doppelte von meinem. Ich wünschte, ich könnte ihm böse sein, meine ganze Schuld auf ihn schieben. Doch was bleibt, ist nur ein riesiger Ballast. Ich bereue zutiefst. Eventus wird für seine Taten geradestehen, ich für meine. Was bringt es, ihn zu hassen? Ich habe mir mein Leben selber zerstört.

Beide kommen wir vor Titus zum Stehen. Kraftvoll und beschützend hat er seinen Arm um Martha gelegt. Meine jüngste Schwester hat ihre Hand auf ihrem runden Bauch zum Liegen gebracht. Ich muss meinen aufkeimenden Neid unterdrücken. Es tut so weh, zu sehen, wie Marthas Familie wächst. Es tut weh, zu sehen, wie Henna neben ihr steht und die Hand mit jener von Moritz von Molda verschränkt. An ihrer Linken funkelt ein zarter Verlobungsring. Es tut weh, zu sehen, wie mein Vater hinter ihnen steht, mit dem größten Stolz und der größten Liebe, die ein Vater für seine Töchter aufbringen kann. Und es tut weh zu wissen, dass ich nicht mehr Teil dieser Familie sein werde. Dass der Stolz meines Vaters nicht mir gilt. Dass ich nicht bei Hennas Hochzeit anwesend sein werde. Dass Marthas Kind nie wissen wird, dass es noch eine zweite Tante hat.

Titus entfaltet das erste Urteil.

„Im Namen von Calia und all seinen Bewohnern verkünde ich, König Titus von Calia, das Urteil, welches unter Einhaltung aller rechtlichen Mittel über Eventus Prinz von Calia gefällt wurde durch Oberrichter Ernest Dahson:

Ich verbanne dich, Eventus Prinz von Calia, aus deinem Heimatreich. In Cortex wirst du leben und bist dem dortigen Recht unterworfen. Ich als dein König verzichte auf jeglichen Einfluss, über dich zu regieren oder zu richten. Des Weiteren enthebe ich dich deines Amtes, deines Titels und deines Namens. Als Eventus wirst du verbannt und als Eventus wirst du leben in deiner neuen Heimat. Dieses Urteil ist rechtskräftig."

Ich zittere am ganzen Körper. Eventus wird weggeführt. Ich weiß, was jetzt passiert. Er fährt in einer Kutsche außer Landes. Niemand wird mehr von ihm reden, obwohl er vor wenigen Monaten der bekannteste und charmanteste Mann des Reiches gewesen ist. Und in wenigen Minuten wird es mir ganz genauso gehen.

Ich blicke gebannt auf Titus, warte darauf, dass er das zweite Urteil entfaltet. Doch nichts dergleichen geschieht. Er wechselt einen Blick mit Martha und reicht den unscheinbaren Bogen Papier dann an sie weiter. Ich schließe die Augen. Ich will nicht, dass sie sich damit quält. Denn ich weiß, wie schwer es ihr fällt. Ich weiß es, weil sie sich in den vergangenen Monaten um mich gesorgt und bemüht hat.

„Im Namen von Calia", beginnt sie zittrig, „und all seinen Bewohnern verkünde ich, Königin Martha von Calia, das Urteil, welches unter Einhaltung aller rechtlichen Mittel über Esther Griffel gefällt wurde durch Oberrichter Ernest Dahson:

Ich verbanne dich, Esther Griffel, aus deinem Heimatreich. In Arex wirst du leben und bist dem dortigen Recht unterworfen. Titus König von Calia verzichtet auf jeglichen Einfluss, über dich zu regieren oder zu richten." Meine Augen werden feucht. Das ist wohl der schlimmste Moment meines Lebens. Mein Nacken brennt, dort, wo man mir meine Verbannung mit Tinte unter die Haut gestochen hat. Die Tätowierung ist ein unscheinbares V. Dieses Zeichen werde ich tragen, solange ich lebe.

„Des Weiteren enthebe ich dich deines Amtes. Deine Familie verzichtet darauf, dir deinen Namen zu entziehen." Ich horche auf. Ich darf meinen Nachnamen behalten? Das ist ungewöhnlich, denn es bedeutet, dass man meine Verbrechen bis zu meiner Familie zurückverfolgen könnte. Bis zur calischen Königin.

Die HofdameWhere stories live. Discover now