27. Lehrergespräche der unangenehmen Art

5.4K 383 69
                                    

Ich war ja schon einiges an Seltsamkeiten gewöhnt. Ich war von einer supergeheimen Geheimorganisation, die jetzt doch nicht mehr so geheim war, was auch daran liegen könnte, dass sie ihr Logo überall draufdruckten, entführt worden, hatte die Avengers getroffen und war selbst sogar ein inoffizielles Mitglied. Steve Rogers brachte mir Pancakes zum Geburtstag mit und Clint Barton übte mit mir schiessen, während der weltberühmte Tony Stark verzweifelt versuchte, mich in Monopoly zu schlagen. Als durchschnittlich konnte man mein Leben also wirklich nicht bezeichnen. Normal passte irgendwie auch nicht. Aber es überraschte mich doch ziemlich, als ich neben dem Kiosk, an dem ich auf dem Schulweg immer vorbeimusste, vorbeiging und beinahe auf sämtlichen Zeitungen mein Gesicht fand. Sicher, es gab noch ein oder zwei, die davon berichteten, dass es ein Gasleck gegeben hatte, was eine Explosion versursacht hatte, bei der mehrere Menschen schwer verletzt wurden, aber das war definitiv eine Minderheit. Ich begann schon, sie im Kopf durchzuzählen, als der Kioskbesitzer aufsah, mich erkannte und entgeistert von seinen Magazinen zu mir und wieder zurückschaute. Ich hatte nichts besseres zu tun, als davonzustürmen, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her. Oder Loki. Loki ging auch.

«Hey», hörte ich den Mann hinter mir herrufen, «warte doch!», aber ich ignorierte ihn und stürmte weiter, geradewegs zur Schule, beinahe ohne stehen zu bleiben. Ich setzte mich noch nicht einmal in den Central Parc. Peter hatte heute später Schule, also musste ich nicht auf ihn warten. Als ich vor dem Schulhaus ankam, war der Pausenplatz leer. Ich verstand auch, warum, als ich auf die Uhr schaute. Ich war beinahe zwanzig Minuten zu früh. Das hatte es noch nie gegeben. Aber mir war es bis jetzt auch nicht passiert, dass ich auf sämtlichen Frontseiten der New Yorker Klatschpresse gestanden hatte, zusammen mit Tony Stark und der übergross gedruckten Frage, ob ich seine Tochter sei. Ich setzte mich auf die Stufen, die zum Eingang der Schule führten. Was für ein Chaos. Ich holte zwar wie immer mein Buch hervor, konnte mich aber auf keinen einzigen Satz konzentrieren. Es endete damit, dass ich immer und immer wieder die selben paar Worte durchging, ohne den Sinn dahinter zu verstehen. Meine Gedanken kreisten darum, was es wohl für eine Auswirkung auf mein Leben haben würde, dass die Klatschpresse glaubte, ich sei Tony Starks Tochter.

Als mich jemand von hinten von der Treppe schubste, erschrak ich so sehr, dass ich das Buch fallen liess. Ich schloss kurz die Augen, dann hob ich das Buch auf, wischte es ab und drehte mich um. «Dir ist schon klar, dass es unfreundlich ist, jemanden beim Lesen zu stören, oder?»

Das Mädchen, dass hinter mir stand, hob eine Augenbraue. Ich meinte, mich wage daran erinnern zu können, dass sie eines der älteren Mädchen im Waisenhaus war. Ich konnte mich aber nicht an ihren Namen erinnern, ich war zu faul gewesen, mir ihn zu merken. Wahrscheinlich, weil sie sowieso immer gemein war. «Ach, wirklich? Das interessiert mich nicht. Du bist es sowieso nicht wert, Höflichkeit zu verschwenden. Also, wie kommt jemand wie du in Kontakt mit Tony Stark?»

Ich hob tadelnd den Zeigefinger. «Höflichkeit ist die höchste Tugend. Hat jedenfalls Captain America gesagt.» Ich musterte sie abschätzig. «Und weisst du was? So wie du dich anziehst, bist du sicher ein grosser Fan von ihm. Willst du nicht deinem Idol nacheifern?» Der spöttische Unterton in meiner Stimme liess sie zurückzucken, als hätte sie nicht erwartet, dass ich, das Mädchen, dass sich jahrelang nicht richtig hatte verteidigen können, ihr so dumm kommen würde. Erneut trat sie einen Schritt vor, funkelte mich bedrohlich an. Ich musste grinsen. Sie hatte ja keine Ahnung. Ich hatte Loki, dem Gott der Lügen, persönlich gegenübergestanden. Ich würde mich nicht von einem Mädchen, dass sich für die Grösste hielt, einschüchtern lassen.

«Hör mir mal zu, du kleines...»

Ich unterbrach ihre Rede. «Ah, ah, ah... Jetzt rede ich. Du solltest besser mir zuhören, schliesslich hast du mich etwas gefragt. Wie jemand wie ich zur Bekanntschaft von Tony Stark kommt? Weil ich eben nicht so bin wie du. Weil ich mich eben nicht für Fingernägel, Haare und die neueste Mode interessiere. Was du anhast sieht übrigens schrecklich aus, nur damit du das weisst. Wird dir ja keine von deinen Freundinnen sagen.» Sie starrte mich an. Ich konnte nicht anders und setzte noch eins drauf. «Und übrigens: Wenn du nichts mehr zu sagen hast, um mich blöd anzumachen, die Ecke für die Coolen ist da hinten. Hier sitzen nur die Looser. Und die wollen nicht gestört werden, wenn sie ein Buch lesen.» Ich setzte mich wieder genau da hin, wo ich vorhin gesessen hatte. Das Mädchen machte langsam einige Schritte von mir weg, dann drehte sie sich um und schüttelte mehrmals verwirrt den Kopf. Ich grinste. Dann rief ich ihr hinterher: «Noch ein kleiner Tipp von mir: Mit offenem Mund siehst du nicht besonders intelligent aus!» Sie drehte sich nicht um, dafür aber einige andere. Ich interessierte mich nicht dafür. Ich klappte das Buch erneut auf und las weiter. Und als es klingelte, stand ich auf und ging. Ich war pünktlich.

Stark Chronicles: First TryWhere stories live. Discover now