42. Mandarinrache

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Die Pressekonferenz war nicht wirklich erfolgreich gewesen. Obwohl ich einigermassen freundlich und geduldig, Tony zufolge auch geistreich, die Antworten der Reporter beantwortet hatte, war das Gerücht, ich hätte einen IQ von knapp 60, nicht aus der Welt zu bekommen. Einige Zeitung behaupteten sogar, jemand hätte mir die Antworten souffliert. Andere sagten, ich hätte mich unglaublich gut vorbereitet und alles wäre gestellt gewesen, während der Rest mir zusätzlich noch eine soziale Tiefbegabung andichtete. Vielleicht hatten sie ein wenig recht, aber so schlecht mit Menschen war ich nicht, oder? Ja, meine Sprüche konnten gemein sein, aber war das etwa alles, was eine soziale Tiefbegabung ausmachte? Tony hatte sich nach der Konferenz etliche Male danach erkundigt, ob es mir wirklich gut ging, aber ich hatte nur abgewinkt. Wieso sollte es mir schlecht gehen? Ich hatte den besten Adoptivvater der Welt, eine verrückte Familie mit Superkräften und gute Freunde gefunden. Tony war irgendwie ein wenig perplex gewesen, als ich ihm das gesagt hatte, vor allem aber war er stolz darauf, dass ich ihn für einen guten Vater hielt. Ich hatte ihn sogar vor Steve darüber prahlen gehört und irgendwie machte es mich glücklich zu sehen, dass es ihm eine solche Freude bereitete, dass es mir gut ging. Das war vielleicht auch der Grund dafür, warum ich ihm nicht sagte, dass mir der Fehlschlag gegen die Presse sehr wohl etwas ausmachte.

Ich versuchte es zu verdrängen, in dem ich mich immer wieder selbst fragte, was ich für Gründe hatte, mich schlecht zu fühlen. Meine verrückte Patchworkfamilie wusste doch, dass ich nicht dumm war, meine Freunde wussten doch, dass ich geistig nicht minderbemittelt war, alle, die mir etwas bedeuteten, wussten das. Und trotzdem, trotz der Tatsache, dass ich eigentlich wunschlos glücklich hätte sein sollen, konnte ich nichts dagegen machen, dass es wehtat, die Reporter über mich sprechen zu hören, als wäre ich dämlich, dass jeder einzelne, der mich sah und erkannte, mir einen mitleidigen Blick zuwarf, als wäre ich nicht in der Lage, sie zu sehen.

Selbst Harry ertappte ich immer wieder bei dieser Art von Blick, nur Peter tat es nicht. Peter schien genau zu wissen, dass ich nicht darüber sprechen wollte und das ich noch genau die Gleiche war, wie als er mich kennengelernt hatte. Wenn ich vorher schon frustriert darüber gewesen war, behandelt zu werden, wie ein Kind, so wünschte ich mir nun nichts mehr, als in diesen Zustand zurückkehren zu können. Obwohl Tony es zu verhindern versuchte, wurde ich immer und immer wieder von Journalisten und Paparazzi aufgespürt, bekam immer und immer wieder die gleichen Fragen an den Kopf geworfen, denn selbst Tonys überraschend kreative Coverstory hatte einige nicht davon überzeugen können, dass ich Tony nicht irgendwie, mithilfe einer dritten Partei, manipuliert hatte. Noch nicht einmal YouTube war mehr sicher und selbst, wenn ich nur den Trailer für einen neuen Film schauen wollte, wurden mir Videos vorgeschlagen, deren Titel lauthals verkündete: «Die erschreckende Wahrheit über Kayla Stark.»

Wirklich erschreckend war allerdings, wie nah einige Theorien der Wahrheit kamen. Natürlich gab es auch die absurdesten Ideen, die so unrealistisch waren, dass niemand sie auch nur in Betracht ziehen konnte, aber jedes Mal, wenn ich einen weiteren Vorschlag darüber aufschnappte, wer ich wirklich sein könnte, drehte sich mir der Magen um. Und je mehr Zeit verging, in der ich Thema in der Klatschpresse war, desto länger wurde die Liste meiner scheinbaren Vergehen und desto hasserfüllter die Kommentare. Ich gab vor, nichts davon zu sehen. Ich beruhigte Tony, versuchte, diesen Themen aus dem Weg zu gehen, denn ich wusste, dass mich jeder der Avengers gut genug kannte, um mein Lächeln jederzeit als Maske zu enttarnen, die ich dank den Medien erschaffen hatte. Ich hatte ab und zu Probleme, einzuschlafen, denn irgendwie holte mich der Tag immer ein und ich konnte nicht anders, als darüber nachzugrübeln, ob diese ganzen Leute nicht vielleicht doch recht hatten und ich eine schreckliche Person war.

Man würde denken, dass ich klug genug war, um mich nicht damit zu beschäftigen, aber es schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Ich hatte mich immer damit gerühmt, dass mir die Meinung anderer über mich selbst egal war, aber jetzt schien es, als wäre meine ganze Welt auf den Kopf gestellt worden. Leute, die mich noch nie gesehen hatten, bildeten sich Meinungen über mich, Menschen, mit denen ich noch nie ein Wort gewechselt hatte, meldeten sich plötzlich in den Zeitschriften zu Wort und behaupteten Dinge von mir, die sie gar nicht wissen konnten. Mein Problem war, dass ich nicht nicht zuhören könnte. Ich hatte immer wieder Alpträume, manchmal schreckte ich aus dem Schlaf hoch und konnte keinen Schlaf mehr finden. Allerdings war das noch gar nicht alles: Steve führte ein klärendes Gespräch mit mir. Ich hatte keine Ahnung, wie er von meinen kleinen Abstechern in die Datenbanken verschiedener Geheimdienste erfahren hatte, aber erfreut war er nicht. Tony hatte er es erst gar nicht erzählt, da der seiner Meinung nach sowieso nichts machen würde.

Stark Chronicles: First TryWhere stories live. Discover now