Kapitel 3

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»Mika, steh endlich auf!« Die Stimme seines Vaters grollte durch das Haus. Mika rieb sich die Augen. War es wirklich schon wieder Morgen? Er wollte weiterschlafen.

»Mika!«

»Ich komme.« Mika hievte sich aus dem Bett und zog sich an. Er hatte schlecht geschlafen. Sehr schlecht.

In der Küche der kleinen Wohnung angekommen, setzte er sich an den Tisch, an dem schon seine Mutter, sein Vater und seine zwei kleinen Geschwister saßen.

Seine Mutter blickte ihn an. Sie sah besorgt aus. »Hast du schon wieder schlecht geschlafen?« Sah man das so deutlich? Er hatte sich noch nicht im Spiegel betrachtet.

»Es geht schon.« Mika rang sich ein Lächeln ab.

Seine Mutter zog skeptisch die Augenbrauen hoch, beließ es aber dabei. Dafür war Mika ihr dankbar. Er hatte keine Kraft und Lust, jetzt darüber zu reden. Und auf keinen Fall durften seine Eltern Verdacht schöpfen. Wenn sie erfuhren, was er nachts tat ...

»Mika?« Sein Vater fuchtelte mit den Händen vor seinem Gesicht herum. »Du scheinst aber sehr müde zu sein. Geh früher ins Bett, Junge.«

Mika nickte. »Mach ich.«

»Gut. Ich muss jetzt zur Arbeit, etwas Geld reinholen. Bleibt schön zu Hause und macht keinen Ärger, verstanden?« Damit meinte er vor allem Mikas kleine Geschwister, die sehr gerne Unfug trieben.

»Pass auf sie auf, Mika.« Sein Vater nickte ihm zu. Er meinte es nur gut mit ihnen. Aber manchmal war er etwas übervorsichtig.

»Werde ich machen«, antwortete Mika.

Sein Vater verabschiedete sich und verließ das Haus. Kurz darauf verschwand auch seine Mutter. Mika ging auf sein Zimmer. Er wollte etwas Schlaf nachholen. Doch daraus wurde nichts, denn in diesem Moment stürmten Yuki und Gia sein Zimmer.

»Hey!« Er nahm seine Geschwister in die Arme. Wenn es etwas gab, das seinem Leben noch Bedeutung verlieh, dann waren das seine Geschwister. Er musste für sie da sein. Für sie stark sein. Damit sie es eines Tages besser haben würden als er.

»Na kommt. Lasst uns was spielen.« Yuki und Gia folgten Mika begeistert.

Ein Lächeln stahl sich auf Mikas Lippen. Seine Geschwister waren die Einzigen, die in ihm Lebensfreude wecken konnten. Sie waren die wichtigsten Personen in seinem Leben.

»Was wollen wir denn spielen?«, fragte er.

»Kasai«, entgegnete Yuki prompt.

»Nein! Ich hasse Kasai.« Gia verschränkte die Arme vor der Brust.

Mika lächelte. »Warum spielen wir denn nicht das Spiel von gestern.«

»Na gut«, meinte Yuki, der versuchte, beleidigt zu klingen. Doch seine Augen sagten etwas anderes. Er wollte bloß nicht vor Gia schlecht dastehen.

»Dann auf geht's!«

Yuki liebte Spiele. Mit vollem Eifer war er dabei. Auch Gia wollte unbedingt gewinnen. Und Mika war einfach nur glücklich, dass er Zeit mit den beiden verbringen konnte.

»Ich habe gewonnen«, schrie Yuki plötzlich.

»Nein, hast du nicht«, entgegnete Gia.

Das würde gleich zu einem Streit ausarten, wenn Mika nicht eingriff.

»Hey.« Er hob beschwichtigend die Hände. »Nicht streiten, wer gewonnen hat, in Ordnung?«

Gia starrte Yuki böse an. »Er hat aber nicht gewonnen. Er hat geschummelt.«

»Sie lügt.«

»Ist doch egal, wer gewonnen hat.« Mika lächelte. »Wichtig ist doch nur, dass man Spaß hat.«

In diesem Moment quietsche die Haustür. »Mika, bist du da?«, ertönte die Stimme seines Vaters.

»Wir sind hier«, rief Mika aus dem Nachbarzimmer. Sein Vater kam zu ihnen. »Schon da?«, fragte Mika etwas verwundert. Es war doch erst fünfzehn Uhr.

»Tja, es ist ...« Sein Vater stockte. »Es ist kompliziert.«

Mika runzelte die Stirn. Irgendetwas musste vorgefallen sein, sonst wäre sein Vater nicht schon da und sonst wäre er nicht so ... anders. »Was ist passiert?«

Sein Vater blickte sich um. Yuki und Gia spielten gemeinsam noch eine Runde. »Lass uns in die Küche gehen.«

Mika folgte seinem Vater in die Küche. Sein Vater setzte sich erschöpft auf einen Stuhl. Mika brachte ihm ein Glas Wasser.

»Danke.« Sein Vater trank einen Schluck. Er räusperte sich. »Ich habe meinen Job verloren.«

Mikas Kinnlade rutschte nach unten. Einige Zeit saßen sie einfach nur da und schwiegen. Sie beide wussten, was das für sie bedeutete. Für ihre Familie bedeutete.

»Und was nun?«, stellte Mika schließlich die Frage, vor der er am meisten Angst hatte.

Sein Vater seufzte und trank noch einen weiteren Schluck. »Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass ich bald wieder einen neuen Job finden werde. Solange werden wir schauen müssen, wie wir über die Runden kommen. Deine Mutter ist das Einzige, was uns jetzt erst einmal bleibt.«

Mika nickte. Diese Neuigkeit war hart. All die Freude, all die positive Energie der vergangenen Stunden war mit einem Mal wie weggeblasen.

Er zog sich auf sein Zimmer zurück und wollte allein sein. Nicht einmal, als seine Geschwister mit ihm eine neue Runde spielen wollten, kam er aus seinem Zimmer heraus. Er brauchte Zeit. Zeit für sich alleine, um das alles zu verarbeiten.

Auch beim Abendessen war die Stimmung gedämpft. Am Gesichtsausdruck seiner Mutter konnte Mika erkennen, dass sie es bereits wusste. Selbst Yuki und Gia bemerkten, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste, denn heute waren sie schweigsamer als sonst.

Nach dem Essen zog sich Mika erneut in sein Zimmer zurück. Nach diesem Tag hatte er eigentlich keine Lust mehr auf heute Nacht, aber er hatte es Jamie versprochen. Das war er ihm schuldig.

Es war kurz vor Mitternacht, als Mika aus seinem Zimmer schlüpfte. Alles war still in der Wohnung. Seine Geschwister schliefen längst und auch sein Vater und seine Mutter waren bereits zu Bett gegangen.

Vorsichtig schlich er zur Haustür. Er zog sich Jacke und Schuhe an und öffnete die Tür. Sie quietschte so laut, dass er sich sicher war, dass sein Vater jeden Moment aufwachen würde. Mika horchte. Nichts. Kein Laut.

Dann schlüpfte er aus der Tür und schloss sie. Er atmete die kühle Nachtluft ein.

»Da bist du ja.« Mika zuckte zusammen.

»Jamie.« Er atmete erleichtert aus. »Du hast mich erschreckt.«

Jamie grinste nur und löste sich aus dem Schatten einer Laterne. Er kam auf Mika zu. »Heute wird es spannend.«

Mit einem Mal war das Lächeln von Mika wie weggeblasen. Auch Jamie bemerkte das.

»Hör mal, es tut mir echt leid wegen gestern.«

Mika schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Es ist nur ...«

Jamie runzelte die Stirn. »Es ist was?«

»Nichts. Nur ... Schwierigkeiten in der Familie.« Mika haderte. Er suchte nach den richtigen Worten für seine Situation, fand sie jedoch nicht.

Doch Jamie verstand sofort, was er meinte. »Hat dein Vater schon wieder keinen Job?« Mitleid schwang in seiner Stimme mit.

Mika nickte. Zu mehr war er nicht in der Lage.

»Na komm. Heute wird es aufregend. Vielleicht vergisst du dann deine Sorgen für ein paar Stunden.« Jamie klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

Sofort ging es Mika etwas besser. Es tat gut, einen Freund zu haben, mit dem man über alles reden konnte, der einen verstand, der einen aufbaute, wenn man auf Boden lag.

»Na dann. Auf geht's!«

AußenseiterWhere stories live. Discover now