Kapitel 37

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Mika starrte fassungslos in den Augen seiner Mutter. Nein, er konnte nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte. Aber sie hatte es gesagt, kein Zweifel. Toms ebenfalls schockierter Blick verriet ihm, dass er sich das nicht nur eingebildet hatte.

»Nein«, flüsterte er.

Von unten drangen Rufe zu ihnen herauf. Die Soldaten kamen schnell nach oben. Es würde noch dauern, bis sie im zwanzigsten Stock angekommen waren, aber sie hatten ja auch Zeit. Es gab keinen anderen Weg, aus diesem Haus zu fliehen.

Mika rannte zum Aufzug, sah auf das Kontrolllämpchen. Nein, es blinkte immer noch rot. Er sah sich fieberhaft um, suchte nach irgendeinem Ausweg, doch es gab keinen.

Mika tauschte einen Blick mit Toms aus. Er schien ebenfalls ratlos. »Rein in die Wohnung«, rief er ihnen zu.

Er drängte Mikas Mutter und seine Geschwister in die Wohnung. Mika kam nach. Dann versperrten sie die Tür.

»Das wird sie nicht lange aufhalten«, meinte Mika. Toms nickte. Nun beäugte er die Küche, suchte nach irgendetwas, von dem Mika nicht wusste, was es sein sollte.

»Wenn wir hier rauswollen«, erklärte Toms, »dann müssen wir kämpfen.«

Mika schluckte. Das gefiel ihm nicht. Seine Geschwister waren hier. Sie sollten so etwas nicht sehen. Aber andererseits ... er konnte sie nicht einfach sterben lassen. Und wenn es keinen anderen Weg gab ...

Toms riss die Schubladen auf, griff nach Messern. Die Augen von Mikas Mutter weiteten sich, als sie sah, was Toms da tat. Sie kreischte ihn an, doch er kümmerte sich gar nicht darum.

Mika stand einfach nur daneben und tat nichts. Er fühlte sich irgendwie fehl am Platz, wusste nicht, wie er helfen sollte.

Dann fiel sein Blick auf Yuki und Gia. Er sah ihre verängstigten Blicke, ihre Augen. Sie verstanden nicht, was geschah, aber sie wussten, dass es etwas Schlimmes war.

»Geht in euer Zimmer«, bat er die beiden. Er wollte nicht, dass sie mit ansehen mussten, was nun geschehen würde.

Mika zitterte. Er hatte Angst. Sie waren keine Killer, sie hatten keine Kampfausbildung. Diese Soldaten schon. Außerdem waren sie überlegen. Wie sollten sie sie bloß besiegen?

»Mika«, flüsterte seine Mutter. »Tu es nicht. Du kannst es nicht mehr aufhalten. Es ist schon zu spät.«

Mika schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich muss es versuchen.«

Seine Mutter schluchzte und richtete ihren Blick auf den Boden. »Sie hatten recht, was sie über dich gesagt haben.«

Dieser beiläufige Satz ließ Mika erstarren. Die Kälte in der Stimme ihrer Mutter, der Tonfall, die Worte.

Er kam auf sie zu, ließ sie nicht aus den Augen. »Was haben sie über mich gesagt?«

Seine Mutter schreckte zurück. Sie sah in die Augen ihres Kindes, das nicht mehr ihr Kind war. Sie wimmerte. »Dass du ein Monster bist. Und es stimmt! Sieh dich an: Du tötest Menschen! Wer bist du?« Diese Worte trafen ins Mark. Mika zuckte förmlich zusammen.

Er schwieg. Er konnte nichts darauf entgegnen. Denn sie hatte recht. Er war ein Monster!

»Nein«, widersprach ihr Toms. »Er ist nicht das Monster. Sie sind es! Das System ist es! Mika hat sich nur gewehrt.«

Er drückte Mika ein Messer in die Hand. Es fühlte sich schwer an, Mika wäre es fast entglitten.

»Gehen Sie, wenn sie sterben wollen. Machen Sie, was sie wollen und lassen Sie uns tun, was getan werden muss. Wir haben nicht um das hier gebeten. Aber wir tun es, weil es sonst keiner tut.« Seine Worte waren scharf und doch klangen sie unheimlich weise.

AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt