Kapitel 17

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Der Wind rauschte und ließ die Blätter der Bäume rascheln. Mika fokussierte sich auf einen Punkt in der Ferne. Dort war das Ziel. Kaum zu sehen, so weit war der kleine Punkt entfernt, der die Stelle markierte, die er treffen sollte. Er kontrollierte seine Atmung. Seine Hand zitterte leicht. Er musste noch ruhiger werden. Und Schuss. Ein Knall zerriss die Stille.

»Das war nichts«, meinte Kalle. »Weit daneben. Du musst präziser schießen. Peile dein Ziel mit einem Auge an. Konzentriere dich nur noch darauf und blende alles andere um dich herum aus.«

»Warum muss ich das hier überhaupt machen?« Mika wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Schweiß lief sein Gesicht herunter. Trotz des Schutzes der Bäume machte ihn die Hitze fertig. »Ich meine, in der Realität werde ich eh nicht die Zeit bekommen, mich zu konzentrieren.«

Kalle starrte ihm fest in die Augen. »Du musst erst einmal lernen zu zielen. Dann kannst du dich mit dem Rest beschäftigen. Aber bevor du nicht einmal im Stehen schießen kannst, macht es keinen Sinn, an die Realität zu denken.«

Mika seufzte. Schießen war grauenvoll, doch jetzt war der falsche Zeitpunkt, um Streit mit Kalle anzufangen. Also stellte er sich erneut an die Linie, die Kalle mit einem Stock in die Erde gezeichnet hatte. Erneut die Atmung kontrollieren. Das Ziel anvisieren. Dort hinten. Der kaum sichtbare kleine Punkt. Und abdrücken.

Im selben Moment kam ein Windstoß. Mikas Hand verrutschte. Nur einen Millimeter, doch die Kugel segelte weit am Ziel vorbei.

»Verdammter Wind.« Warum musste der Windstoß auch ausgerechnet in dem Moment kommen, in dem er schoss?

Kalle schüttelte wortlos den Kopf und gab ihm mit einer unwirschen Handbewegung zu erkennen, dass er weitermachen sollte. Er sah genervt aus. Klar, es war bestimmt langweilig einem absolut untalentierten Anfänger beim Schießen zuzusehen.

Aber es half ja nichts. Mit Wind musste man immer rechnen. Mika stellte sich wieder genau an die Linie, schaute, dass er einen festen und sicheren Stand hatte. Diesmal musste es klappen.

Er visierte den Mittelpunkt des Ziels an. Diesmal war er auf den Wind vorbereitet. Jetzt würde ihn nichts mehr überraschen. Er drückte den Abzug.

In diesem Moment ertönte ein schriller Ton. Mika verriss völlig die Waffe, die Kugel flog durch den nächsten Baum gegen einen Felsen, prallte ab, kam zurück.

Jemand riss ihn von der Seite um. Haarscharf glitt die Kugel an Mikas rechtem Ohr vorbei. Er prallte mit der Seite auf dem harten, felsigen Boden auf. Alle Luft wurde aus seiner Lunge gedrückt.

»Verdammt. Was machst du denn?«, schrie Kalle, der auf ihm drauf lag. Nun richtete er sich wieder auf und klopfte sich den Staub und Dreck von seiner Kleidung. »Du hättest dich beinahe umgebracht.«

»Aber ...«, versuchte er es, doch Kalle unterbrach ihn.

»Nichts aber. Wenn du eine Waffe in der Hand haben willst, musst du die Kontrolle darüber besitzen. Sonst gefährdest du dich oder andere. Das ist kein Spielzeug.«

Er schien wirklich sauer auf Mika. Mika zog beschämt den Kopf ein. Ja, er hatte Mist gebaut. Kalle hatte recht. Aber er hatte so daran geglaubt, dass ihn nichts mehr überraschen könnte und dann ...

Egal. Das spielte jetzt keine Rolle mehr. Er hatte einfach keine Kontrolle über die Waffe und konnte damit nicht umgehen. Das musste er einsehen, auch wenn es schwer war, das zu akzeptieren.

Noch immer hielt der schrille Ton an. Aufgeregte Rufe waren immer wieder auszumachen, doch aus der Entfernung verstand Mika nicht, was da gerufen wurde.

»Was ist denn eigentlich los?«, fragte er an Kalle gewandt, auch um von seiner Enttäuschung abzulenken.

Kalle zuckte mit den Schultern. In seinem Gesicht arbeitete es. »Komm«, meinte er zu Mika. »Wir sollten gehen und nachsehen, was da los ist. Und gib mir die Waffe. Nicht das noch etwas Schlimmeres passiert.«

AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt