Kapitel 24

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Mika tastete nach der kalten glatten Wand. Es roch modrig und faulig hier unten.

»Weiter.« Das Flüstern des fremden Mannes hallte von den Wänden. Alles wirkte so gespenstisch. Mika konnte in der absoluten Finsternis den Mann nicht ausmachen. Er hielt sich an der Wand fest, fürchtete, dass er stürzen würde, wenn er sich nicht festhielt.

Etwas raschelte hinter ihm. Was war das? Mika fuhr mit dem Kopf herum, was natürlich zwecklos war, denn bei dieser Dunkelheit konnte man nichts, wirklich nichts, sehen. Das Rascheln entfernte sich wieder.

Mika stieß die Luft aus. Er fühlte sich wackelig auf den Beinen, hatte Angst, einfach umzukippen. Wann würde endlich Licht kommen?

Was, wenn hier unten Tiere lebten? Zum Beispiel Ratten? Mika keuchte. Er wollte hier raus. Er versuchte seine Atmung wieder zu kontrollieren, doch selbst die zitterte. Wie alles an seinem Körper.

Da. Wieder dieses Rascheln. Es wurde lauter. Aus welcher Richtung kam es?

Dong. Etwas schlug gegen Mikas Stirn. Er stürzte auf den kalten, feuchten Boden. Mika rieb sich seinen Kopf. Er spürte eine kleine Wölbung.

»Geht es dir gut«, flüsterte der Mann. Mika antwortete mit einem Knurren. »Du musst aufpassen. Hier unten ragen immer wieder Stangen aus den Wänden. Halt dich am besten von den Wänden fern.«

Na super. Er kam wieder auf die Beine und ging Schritt für Schritt vorwärts. Etwas in ihm zog sich zusammen. Jetzt verstand er, was Leute damit meinten, wenn sie sagten, dass eine Enge ihre Brust zuschnürte.

»Sind wir bald da?«, fragte er.

Der Mann schwieg. Stattdessen blieb er stehen. Zumindest bewegte er sich nicht mehr, Mika hörte keine Schritte mehr.

»Was ist los?« Seine Stimme zitterte.

»Still«, zischte der Mann. Mika blieb stehen und schwieg. Lauschte den unheimlichen Geräuschen. Das Rascheln, dass aus allen Richtungen kam. Und immer lauter wurde. Waren das Ratten? Kamen sie, um sie anzugreifen? Er hatte einst gehört, dass Ratten auch Menschenfleisch fraßen, wenn sie hungrig waren. Und dass sie ihre Opfer mit ihren scharfen Zähnen angriffen und lebendig das Fleisch herausrissen. Er zuckte zusammen.

Mit einem Mal verstummte das Rascheln. Mika hielt die Luft an. In der Ferne ertönte ein hohles Klong. Was war das? Neben ihm fluchte der Mann, so leise, dass es selbst Mika kaum hörte.

»Komm.« Seine Stimme war kaum hörbar. Er zupfte an Mikas Kleidung und ging nach links. Aber ... da war doch die Wand!

Doch da war keine Wand. Da war ein Gang. Wie konnte sich der Mann nur so gut im Dunkeln zurechtfinden? Mika nahm sich vor, das zu fragen, sobald sie aus dieser höllischen Unterwelt heraus waren.

Erneut horchte er in die Stille hinter sie. Das Rascheln war verstummt, aber nun vernahm er Schritte. Mika beschleunigte sein Tempo. Irgendjemand war hinter ihnen, nicht mehr weit entfernt.

Mika stieß erneut die Luft. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er sie angehalten hatte. Seine Schritte kamen ihm unendlich laut vor. Jede noch so kleine Bewegung hallte durch den ganzen Gang. Bestimmt hörten ihre Verfolger auch ihre Geräusche.

Plötzlich packte ihn ein kräftiger Arm. Mika konnte sich gerade noch so abfangen. »Wir müssen hier hoch«, flüsterte der Mann. Es war kaum mehr als ein Wispern. Mika spürte den Atem des Mannes, wie er sein Ohr kitzelte.

Er griff einfach ins Leere und bekam etwas Rundes aus kaltem Metall zu fassen. Ein Griff. Mika zog sich hoch und stocherte mit seinen Beinen in der Leere herum. Verdammt. Wo war bloß die Stufe?

»Beeil dich. Sie kommen immer näher.«

Mika lauschte den Hintergrundgeräuschen. Der Mann hatte recht. Die Schritte wurden immer lauter. Und es waren viele. Das mussten mindestens zehn Mann sein. Wie konnten sie bloß so schnell vorankommen?

Mika tastete erneut nach der Stufe. Da. Da war eine Einkerbung in die Mauer, in die man seinen Fuß stellen konnte.

Mika keuchte. Obwohl die Luft hier unten kühl war, schwitzte er. Mit nassen und zitternden Händen zog er sich hoch. Von oben kam ein winziger Lichtschimmer zu ihm. Noch vielleicht fünf Meter. Hinter ihm kletterte auch der fremde Mann hoch. Er hatte keine Probleme, die Stufen zu finden.

»Da oben musst du den Deckel kräftig nach oben drücken. Es kann sein, dass er etwas klemmt. Ich habe schon lange nicht mehr diesen Ausstieg benutzt.«

Mika war da. Er konnte durch einen kleinen Spalt Tageslicht sehen. Über seinem Kopf war der Deckel. Er fühlte sich rau an, irgendwie alt und wahrscheinlich aus schon verrostet.

Mika drückte dagegen. Nichts rührte sich, nicht einmal einen Millimeter.

»Sie kommen näher«, flüsterte ihm der Fremde zu.

Mittlerweile hörte man die Schritte deutlich. Auch einige leise Stimmen. Sie mussten sehr nahe sein. Mika drückte noch einmal dagegen. Diesmal bewegte sich der Deckel minimal, doch er klemmte.

Plötzlich drang ein Licht durch den Gang. Mika riss die Augen auf. Das mussten die Soldaten sein. Sie hatten Licht dabei! Deshalb waren sie so schnell vorangekommen.

Mika drückte mit aller Kraft gegen den Deckel. Er verrutschte einige Zentimeter. Dafür riss sich Mika den Finger auf. »Schieße«, stieß er aus und saugte an seiner Wunde.

Das Blut wollte nicht stoppen aus der Wund fließen. Mika gab auf. Die Soldaten waren fast da. Er drückte noch einmal mit seinen Armen gegen den Deckel. Diesmal gelang es ihm, ihn ein Stück zu verrücken.

»Da sind sie. Dort oben!« Licht blendete ihn, als die Soldaten ihre Strahler auf sie richteten.

Mika tastete um sich, fand die Öffnung und drückte sich hindurch. Draußen blendete ihn die Sonne so stark, dass seine Augen regelrecht schmerzten.

Hinter ihm kroch der Mann aus dem Loch im Boden. Er drückte den Deckel zu.

Von unten hörte man Rufe. Dann ein Schuss. Ein hohles Geräusch beim Einschlag der Kugel in den Deckel. Doch der Deckel war zu dick und zu schwer, als dass die Kugel ihn durchdringen konnte.

»Schnell.« Der Mann rannte schon wieder in eine Seitenstraße. Mika folgte ihm. Es würde nicht lange dauern, bis die Soldaten ebenfalls den Deckel geöffnet hatten.

Sie rannten durch die Straßen. Menschen starrten ihnen hinterher. Mika spürte die bohrenden Blicke auf seinem Rücken. Aber egal.

Der Fremde wirbelte vor ihm herum und bog abrupt in eine Seitengasse hinein. Mika, völlig überrumpelt, konnte nicht mehr rechtzeitig langsamer werden, sondern rannte an der Gasse vorbei.

Hinter ihm riefen tiefe Stimme. Mikas Puls raste. Er spürte das Pochen in seinem Ohr. Der Fremde war schon wieder nicht mehr zu sehen, dafür tauchten plötzlich wieder die Soldaten in seinem Blickfeld auf.

»Da ist er!« Ein Soldat erhob seine Waffe und schoss, doch da war Mika schon in der Gasse verschwunden. Er sprintete sie entlang, schlüpfte zwischen herumliegenden Müll und Holzbrettern hindurch.

Eine Kugel schlug vor ihm ein. Mika rannte unbeirrt weiter. Hinter ihm hektisches Geschrei. Mika rannte weiter. Dann stoppte er abrupt.

Vor ihm ging es nicht mehr weiter! Eine Mauer aus Backsteinen, mindestens drei Meter hoch, erhob sich vor ihm. Mika blickte zurück. Für Klettern blieb keine Zeit. Die Soldaten waren fast da.

Eine Hand griff ihn am Arm. Er drehte den Kopf nach rechts. Der Fremde! Er stand in einer schweren Holztür, zog Mika in das Haus und verriegelte die Tür.

»Hier sind wir sicher«, meinte er. »Fürs Erste.«

AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt