Kapitel 30

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Mika erwachte auf hartem Untergrund. Er setzte sich stöhnend auf. Vor ihm erkannte er Gitterstäbe, dahinter einen hell erleuchteten Gang. Eines der Lichter flackerte unregelmäßig und tauchte den Gang mal in helles Licht, mal in Dunkelheit ein.

Mika atmete aus. Seine Gedanken flossen noch träge, doch langsam kehrten die Erinnerungen an die vergangenen Ereignisse zurück.

Er hatte den Kommandeur ermordet. Er hatte einen Menschen ermordet.

Mika bekam schlecht Luft. Er japste danach, sein Körper schrie nach Sauerstoff, dunkle Flecken schoben sich vor seine Augen.

Ruhig. Tief einatmen. Und wieder aus, sagte er sich in Gedanken. Es funktionierte. Er beruhigte sich wieder.

Dafür kehrten nun die Bilder zurück. Wie in einer Endlosschleife lief der Tod seines Vaters vor ihm ab. Wie er am Boden lag. Röchelte. Wie der Kommandeur grinsend auf ihn zu ging. Wie er Mika zulächelte. Abdrückte. Wie das Blut spritzte.

Mika musste würgen. Das Bild des zerstörten Gesichts seines Vaters brannte sich in sein Gedächtnis. Erneut rang er um Luft.

Schritte, die den Gang entlanghallten, rissen ihn aus seinen Erinnerungen. Die Schritte wurden lauter, verstummten dann und entfernten sich kurze Zeit darauf wieder.

Mika trat an die Gitterstäbe und blickte heraus, den Gang entlang. Er war menschenleer. Einige Zellen standen offen, aber die meisten Gefangenen wurden wohl wieder zurückgeholt.

Aus der Nachbarzelle drangen seltsame Geräusche zu Mika herüber. Ein Klopfen, wie das eines Vogels im Wald. Dreimal. Dann viermal. Dann dreimal. Dann wieder viermal.

Mika versuchte, durch die Gitterstäbe einen Blick in die Nachbarzelle zu erhaschen, doch er konnte niemanden sehen.

»Hallo?«, rief er und zuckte zusammen, als sein Hallo von allen Wänden zurückhallte.

»Klappe!«, kam es von weiter vorne und Mika ließ sich wieder auf den Boden sinken. Es war stickig in der Zelle. Und warm. Er schwitzte. Ein Fenster gab es natürlich nicht, das wäre sicher zu gefährlich. Nicht, dass noch jemand abhaute.

Und so war er wieder mit seinen Gedanken alleine. Er hatte einen Menschen getötet. War er nun ein Mörder?

Etwas schrie in ihm, dass er es doch nicht gewollt hatte. Na und? Konnte das sein Verhalten rechtfertigen? Vielleicht hätte er ihn ja auch so noch umgebracht.

Mika fröstelte, obwohl es in der Zelle mindestens dreißig Grad hatte. Er war schuld am Tod eines Menschen! Ganz egal, was dieser getan hatte, es war keine Rechtfertigung.

Mika unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Eine Leere klaffte in seinem Körper, ein Loch in seinem Herzen und nichts und niemand war da, der es füllen konnte. Sein Vater war fort. Für immer. Es war seine Schuld.

Es war alles seine Schuld. Nun kamen doch die Tränen, sie liefen in heißen Bächen über sein Gesicht. Mika starrte durch die Gitterstäbe auf die weiße Wand gegenüber.

Leer. So wie er sich nun fühlte. Völlig leer und unbedeutend. Was hatte das Leben so noch für einen Sinn? Er tat nichts anderes mehr, als auf seinen Tod zu warten.

Mika schlang die Arme um sich. Er zitterte. Kälte erfasste seinen Körper, er schluchzte hemmungslos. Es gab niemanden mehr, der ihn retten konnte. Er hatte versagt.

Die Haare auf seiner Haut stellten sich auf. Mika schlang sie noch fester um seinen Körper. Warum musste das Leben nur so ungerecht sein? Er war kein Held wie in den Geschichten. Für ihn gab es kein Happy End.

Langsam versiegten seine Tränen. Er spürte nicht einmal mehr Trauer. Nur noch Leere. Sein Körper war wie von innen ausgehöhlt, als wäre er nur noch eine leere Hülle.

Als erneut Schritt ertönten, riss er den Kopf hoch. Er hievte sich auf und stellte sich an die Gitterstäbe. Drei Soldaten kamen den Gang hinauf, sie steuerten auf seine Zelle zu.

Mika trat zurück und ließ sich wieder auf den Boden fallen. Den Schmerz spürte er gar nicht. Nun war es also so weit. Sie würden ihn holen, verurteilen und dann hinrichten.

Erstaunlicherweise verspürte er keine Angst vor dem Tod. Im Gegenteil, es machte ihm nichts mehr aus, er wollte es sogar. Alles besser, als das Leben eines Versagers und Mörders weiterzuleben. Er könnte nie wieder in die Augen von Yuki und Gia sehen, mit dem Wissen, ein Mörder zu sein. Sollten sie ihn doch töten. Es war vermutlich besser so.

Die Soldaten waren mittlerweile an seiner Zellentür angekommen. Einer lugte durch die Gitterstäbe und erblickte ihn, auf dem Boden sitzend.

»Steh auf«, befahl er, während ein anderer einen Chip herauskramte und ihn vor das Schloss hielt, das sich mit einem lauten Piepsen öffnete. Doch Mika rührte sich nicht von der Stelle.

Zwei Soldaten zogen ihn seinen Armen, rissen sie beinahe heraus. Der dritte richtete seine Waffe auf Mika, als Warnung.

Doch es war unnötig. Mika hatte nicht vor, sich zu wehren. Er ließ sich widerstandslos abführen, schritt den Gang entlang, flankiert von zwei Soldaten. Andere Gefangene spähten aus ihren Zellen, manche Gesichter reglos, andere blitzten vor Wut auf.

Mika senkte den Blick zu Boden. Der dritte Soldat stieß ihm den Lauf der Waffe in den Rücken. Mika beschleunigte seinen Schritt. Sie kamen an einen Kontrollpunkt, an dem sie vorbeigingen. Dann wurde Mika in ein Fahrzeug mit schwarzen Scheiben gestoßen.

Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung, es fuhr schnell, raste beinahe. Mika ließ den Kopf in den Schoß sinken. Der Wagen ruckelte über die Straße, Mika wurde durchgeschüttelt und hin und her geworfen.

Aber das war ihm alles egal. Nichts mehr hatte eine Bedeutung für ihn, jetzt, da sein Leben sinnlos war.

Der Wagen kam abrupt zum Stehen. Mika wurde vorgeschleudert und musste sich mit den Händen abfangen, um nicht mit dem Kopf gegen die Glasscheibe zu krachen.

Die Tür öffnete sich, der Kopf eines Soldaten kam zum Vorschein. »Aussteigen.« Mika tat, wie ihm geheißen wurde. Draußen kniff er die Augen wegen des grellen Sonnenlichts zusammen.

»Mitkommen.« Der Soldat stieß ihm eine Waffe in den Rücken. Mika schnappte nach Luft, setzte sich dann in Bewegung.

Sie gingen in ein riesiges verglastes Gebäude. Mika kannte es. Das hier war das Zentrum der Stadt. Der Ort, an dem alle Regierungsorgane versammelt waren.

Sie schritten durch die prunkvolle Eingangstür. Mika konnte nicht anders, er bestaunte den Reichtum, den dieses Gebäude ausstrahlte. Er war noch nie in den abgezäunten Gebieten der Elite gewesen. Wut flammte in ihm auf wie eine kleine Flamme, die jedoch sofort von der Leere erstickt wurde.

Es hatte keinen Sinn, dagegen anzukämpfen. Die Elite beherrschte alles. Und mit den Drohnen konnten sie alles überwachen. Es war unmöglich, die Regierung zu stürzen.

Mikas Blick wanderte nach oben. Dort, auf der riesigen Glaskuppel thronte die Fahne mit dem Wappen der Stadt. Ein Löwe, der sein Maul weit aufgerissen hatte.

Was bedeutete dieses Wappen? Noch nie hatte er sich die Frage gestellt, es war ihm immer ganz normal vorgekommen. Doch jetzt, so kurz vor seinem Tod, zweifelte er alle an.

»Weitergehen!« Erneut stieß ihm der Soldat die Waffe in den Rücken.

Er führte Mika durch eine edle Holztür in einen weitläufigen Raum. Lediglich ein Holzstuhl und ein imposanter Tisch mit Stühlen, die mit rotem Samt verziert waren, standen in dem viel zu großen Raum.

Der Soldat wies mit seiner Waffe auf den Stuhl und stieß Mika vor. Er stolperte auf den Stuhl zu, fing sich auf und setzte sich.

Dann verließ der Soldat den Raum. Mika blieb still und regungslos. Bestimmt überwachte man den Raum, um zu beobachten, wie er sich verhielt.

Endlich öffnete sich die Tür und ein einziger Mann trat ein. Er schloss die Tür und setzte sich Mika gegenüber.

»Hallo Mika«, sagte er mit honigsüßer Stimme.

AußenseiterNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ