Kapitel 14

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»Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst oder musst.« Wills plötzliche Stimmungsschwankung von misstrauisch zu überschwänglich verwirrte Mika. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Will ihm etwas verschwieg.

Wollte er ihn an Vikar ausliefern? Mika kaute auf seiner Unterlippe herum. Er musste vorsichtig sein und konnte niemandem vertrauen, auch wenn Lilly und Will nett zu ihm waren. Aber vor allem konnte er Will nicht einschätzen.

»Wo ist ihre Mutter?« Mika zeigte auf Lilly, als er diese Frage an Will richtete.

Wills Miene verdunkelte sich. Warum? »Sie ist einkaufen. Sie wird aber bald wiederkommen.« Will Gesichtszüge sahen aber eher so aus, als glaubte er nicht daran.

Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas wurde ihm verheimlicht. Und Mika wollte herausfinden, was es war. Aber dafür musste er vorsichtig vorgehen. Auf keinen Fall durfte er seine Gastgeber verstimmen oder ihnen das Gefühl geben, dass er ihre Freundlichkeit ausnutzte, um an Informationen zu kommen.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich über den Raum aus. »Erzähl mal. Wie ist es in der Stadt?«, fragte Will.

»Tja. Wo soll ich da anfangen?« Mika versetzte sich zurück in die Stadt. Zu seinem Zuhause. Zu seiner Familie. Wehmütig seufzte. »Es war wunderschön und doch so grausam. Wunderschön war mein Zuhause. Meine Familie.« Er schluckte. »Mein Freund Jamie. Wir haben so viel unternommen. Wir haben uns alles erzählt.«

Er schwieg.

»Ist er tot?« Die Offenheit von Will überrumpelte Mika. »Entschuldige, ich wollte nicht ... Es ist nur so. Hier draußen sind wir den Tod gewohnt. Aber fahr fort.«

Mika nickte und fuhr mit brüchiger Stimme fort. Tränen stiegen ihm in die Augen. »Wir waren in einer Gruppe. In jener Nacht, als er ... wir waren an der Stadtgrenze und Jamie ist die Stadtmauer hinaufgeklettert. Er wollte einem Jungen helfen, der Höhenangst hatte.« Erneut musste er schlucken. »Die Drohnen haben das Mauerstück, auf dem er stand, in die Luft gejagt.« Nun flossen Tränen über sein Gesicht.

Will nahm ihn in den Arm. Es tat auf seltsame Weise gut, obwohl er Will nicht kannte.

»Warum bist du geflohen?«

Mika blickte auf den Boden. Er atmete tief ein und aus. »In unserer Stadt gibt es eine Gruppe, die wir Außenseiter nennen. Zu ihnen gehören alle, die keine Freunde mehr haben. Jamie war mein einziger Freund. Als er starb, wurde ich ein Außenseiter.«

Wills Gesicht zeigte so viel Mitleid, dass Mika erneut die Tränen kamen. Will drückte ihn noch kräftiger. »Es ist schon gut. Lass es raus. Lass einfach alles raus.«

»Ab diesem Moment gehörte ich dem Staat. Außenseiter müssen für die anderen arbeiten. Bis sie sich zu Tode geschuftet haben. Aber ich wollte nicht fliehen. Wegen meiner Familie.« Er schluchzte. »Ich wollte sie nicht in Gefahr bringen. Dann kamen sie. Sie wollte mich früher mitnehmen als geplant. Mein ...« Mika musste weinen. »Mein Vater hat sie angegriffen und einen getötet. Da wollte ich abhauen. Aber da war ...«

Will strich ihm über den Rücken, als er hemmungslos schluchzte. Tränen strömten aus Mikas Augen und flossen in Strömen über sein Gesicht.

»Da war ... da war dieser Soldat.« Mikas Stimme wurde leiser, fast zu einem Flüstern. »Ich wollte ihn doch nicht töten. Ich wollte es nicht. Ich wollte nur fliehen.«

»Oh Gott.« Will blickte ihm direkt in die Augen. »Es tut mir so leid, dass du das erleben musstest. Hast du je jemandem davon erzählt?«

Mika schüttelte heulend den Kopf. »Ich wollte doch nicht–« Seine Stimme brach ab.

AußenseiterWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu