Kapitel 1

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ICH WERDE diesen Tag nie vergessen. Es hatte in Strömen geregnet und das Wasser glitzerte auf dem nassen, dunklen Asphalt. Ich hatte es an diesem Abend nicht eilig gehabt nach Hause zu kommen, denn ich verstand mich nicht gut mit meiner Mutter.
Ihre unbeteiligte, fast schon monotone Stimme hatte sich, wie immer, in meinen Kopf gebohrt, so wie ihre Worte, die sie mir noch hinterher gerufen hatte, bevor ich fluchtartig aus der Wohnung gestürzt war.

„Hätte ich nur gewusst, was du für eine Enttäuschung sein würdest, hätte ich dich niemals zur Welt gebracht." 

Ich wusste nicht mehr, was mehr weh getan hatte; das was sie gesagt hatte, oder mit welcher Ruhe sie diese Dinge jedes Mal über die Lippen brachte. Als wäre nichts dabei. Als würde es ihr nicht schaden diese verletzenden Gedanken auszusprechen. Das war eine halbe Stunde her, und seitdem bin ich ziellos in der Stadt umher geirrt. 

Nachdem ich fünf Dosen Energy Drinks in einem Supermarkt gekauft hatte, schleppte ich mich langsam Richtung Wohnung. Normalerweise bräuchte man für diesen Weg nur fünfzehn Minuten. Aber wie bereits gesagt, wäre es mir selbst bei dem Pisswetter lieber gewesen, hätte ich die Türschwelle erst in einem Jahr wieder überschreiten müssen.

Durch meine Kopfhörer schallte aggressive Musik in meine Ohren, die an meinem tiefsten Inneren jedoch wirkungslos abprallte und mich irgendwie taub zurück ließ. Ich war müde und wütend, frustriert und unglaublich fertig mit mir und der Welt.
Vielleicht war das der Grund, warum mein Leben an diesem Tag nicht endete. Denn hätte ich bei seinem Anblick die Nerven verloren, rum geschrien oder sogar die Flucht ergriffen, hätte er mir wahrscheinlich die Kehle aufgeschnitten, bevor ich mich an meinen eigenen Namen hätte erinnern können.

Er saß direkt auf dem Bürgersteig, ein paar Meter von einer fahl beleuchteten Tankstelle entfernt und ich fragte mich damals noch, ob ihm der nasse Boden nicht unangenehm war. Ein dunkelroter Corsa fuhr an uns vorbei und erhellte flüchtig sein Gesicht, das im Schatten  seiner weißen Kapuze und dunklen Haaren lag. Ich blieb ein paar Schritte von ihm entfernt stehen.„Alles okay bei dir?", fragte ich in die regnende Dunkelheit hinein.
Er reagierte nicht und nach einigen Sekunden beschloss ich weiter zu gehen und diese Begegnung einfach zu vergessen. Wahrscheinlich hätte ich das auch nach drei, vier Minuten, denn mein Kopf war in diesem Momenten mit schweren Gedanken gefüllt, die kaum Platz für andere Sachen zuließen.

Aber als ich an ihm vorbei gehen wollte, sprang er plötzlich auf und stieß mir hart vor die Brust,sodass ich zu Boden stürzte. 

Meine Kopfhörer wurden mir aus den Ohren gerissen und vor Schreck ließ ich die Tüte mit den Dosen fallen; sie rollte bis knapp zur Bordsteinkante und wurden von den Scheinwerfern eines weiteren Autos angestrahlt, das ebenso unbeteiligt an dem Jungen und mir vorbei fuhr, wie das erste.

Dieser kam mir nun näher. Ich konnte sein Gesicht nach wie vor nicht erkennen, und der Regen, der jetzt stärker wurde, prasselte auf mein Gesicht nieder. Meine Brust tat weh; er hatte mit einer ziemlichen Kraft dagegen gestoßen und ich musste husten, während ich mir das Wasser aus den Augen wischte.

„Menschen wie dich hasse ich am meisten.", grollte es aus dem Schatten der Kapuze heraus. „Tun so, als würden sie sich für dich interessieren, aber in Wahrheit interessierst du sie einen Scheiß."
Ich wusste nicht, ob der Lärm, von außen oder von innen kam, aber mit einem Mal fiel es mir unglaublich schwer, seine Worte zu verstehen. Ich wich nicht zurück, als er näher kam. Meine Instinkte fühlten sich betäubt an. Er beugte sich jetzt über mich, er kam mir so nahe, dass ich seinem Atem auf meinem Gesicht spürte. Er war trocken und kalt.

„Und was möchtest du jetzt mit mir machen?", hörte ich mich sagen und fragte mich noch im selben Moment, ob ich in dieser ruhigen Stimme meine Mutter sprechen hörte.

Er stockte in seiner Bewegung, und eine gefühlt endlose Stille deckte uns zu.

Ein Handy summte. Es war nicht meins, ich hatte es auf stumm geschaltet, obwohl ich wusste, dass meine Mutter sich nie die Mühe machen würde, mich anzurufen. Der Fremde stieß genervt die Luft aus, die Nässe des Bodens sickerte langsam durch meine schwarze Jeans.
„Hallo?", seine Stimme holte mich endgültig in die Gegenwart zurück.
Langsam rappelte ich mich vom Boden auf und griff geistesgegenwärtig nach meiner Einkaufstüte. 

Zu Hause würde mir eine Dose auslaufen, meine Mutter würde mir eine schallende Ohrfeige geben und dann kommentarlos aus dem Raum gehen. Ich wusste von diesen Kleinigkeiten nichts, als ich an dem Fremden vorbei lief, der frustriert in sein Handy fauchte und mir keine Beachtung mehr schenkte.

Ich weiß bis heute nicht, ob er später nach mir suchte, oder ob unsere zweite Begegnung ein Zufall war. Und er würde es mir auch nie erzählen.



Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora