Kapitel 7

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PERPLEX STARRTE ich auf den dunkelblauen Umschlag. 

Vor ein paar Sekunden hatte ihn ein Mädchen mit dunklen Haaren und wirklich schönen Augen vor mir auf den Tisch gelegt. Ich blickte verwirrt zu ihr auf. Sie hatte sanfte Gesichtszüge und eine beneidenswert glatte Haut. Und ich konnte beim besten Willen keine einzige Gemeinsamkeit zwischen ihr und mir erkennen.

„Was ist das?", fragte ich zögernd, nachdem sie mir auch nach einigen Sekunden keine Antwort auf mein fragendes Gesicht hin gegeben hatte.

Sie lächelte leicht, während ihre Finger nervös am Riemen ihrer Schultasche spielten. Sie hatte ihre Nägel in demselben Blau lackiert, das der Umschlag hatte und ich fragte mich unwillkürlich, ob das ihre Lieblingsfarbe sein könnte.
„Ich habe am Wochenende Geburtstag und habe dazu ein paar Leute eingeladen.", begann sie stockend. Ich unterdrückte das Bedürfnis mir in den Arm zu kneifen.
Passierte das gerade wirklich?
Ich kam zwar gut mit der Distanz zu meinen Mitschülern klar und außer Dan und seiner Gruppe von Neandertalern ließ mich auch jeder in Ruhe. Trotzdem wurde mir mein Dasein als einsamer Wolf immer wieder auf die ein oder andere Weise recht schmerzhaft bewusst gemacht. Wenn man auf der Sportbank immer als letztes aufgerufen wurde, oder man bei Gruppenarbeiten grundsätzlich keinen Partner fand. Wenn man niemanden hatte, der Arbeitsaufträge für einen mitnahm, weil man krank im Bett lag, geschweige denn jemanden, der sich dann nach einem erkundigte.

„Also wirst du kommen?", fragte sie mich jetzt. 

Unsere Blicke begegneten sich erneut und ich suchte in ihren Augen nach der Lüge. Warum lud sie mich zu ihrem Geburtstag ein? Sie kannte mich gar nicht. Aber es gab keinen Grund abzulehnen und ich nickte schließlich langsam.
„Soll ich irgendwas mitbringen?", fragte ich und meine Stimme klang seltsam dumpf. Ihre Stirn, die zuvor unsicher gerunzelt war, glättete sich jetzt und machte einem heiteren Ausdruck Platz. „Nein nein, das passt schon. War ja auch super kurzfristig." sie wandte sich zum Gehen um. 

Lange Sekunden vergingen. Sekunden, in denen ich jede Frage an sie hätte richten können, die zusammen mit der Einladung aufgekommen war. Sekunden, in denen ich schwieg und lediglich ein paar Radiergummifetzen von meiner Tischplatte fegte.

Als ich wieder aufsah, hatte sie schon die Tür erreicht, wo zwei andere Mädchen auf sie warteten. Eine von ihnen sah flüchtig in meine Richtung. Ich konnte ihren Blick nicht richtig deuten – dafür hatte sie zu schnell wieder weggeschaut.

Nach der letzten Schulstunde setzte ich mich wieder in die Cafeteria. Auch heute hingen vom Himmel dicke, graue Wolken herab, aber momentan regnete es nicht. Die Lampen über meinem Kopf surrten und mein Blick fror an der Außenwelt fest. Seitdem ich gestern in der leeren Küche aufgewacht war, ließ mich der beklemmende Gedanke nicht los, dass mir meine Fantasie einen üblen Streich gespielt haben musste.
Ich rieb mir das Gesicht. Mein Kopf schmerzte. Ein frustrierter Seufzer entwich meinen Lippen, denn bedauerlicherweise schien mir die Theorie einfach wahnsinnig geworden zu sein, wesentlich wahrscheinlicher, als das an was ich mich erinnern konnte.

Eine Kurzschlussreaktion, die darin bestand eine Flasche Rum allein zu köpfen und mir betrunken alles mögliche an Scheiß zusammen zu spinnen, wäre aus psychologischer Sicht komplett nachvollziehbar, nachdem meine Mutter mich erneut zurück gelassen hatte. Und mir damit ein weiteres Mal vor Augen geführt hatte wie schrecklich egal ich ihr sein musste.

Wenn die Erinnerung an diesen Jeff und unsere ganze Konversation nur nicht so verdammt realistisch wäre...Gegen die bodentiefen Fensterscheiben regneten jetzt schon wieder die ersten Tropfen.

Der Busstop sah grau aus. 

Zwei kleinere Jungen lehnten an einer Hauswand in der Nähe und starrten auf ihr Handydisplay. Ihre blassen Gesichter lagen halb im Schatten der Kapuzen ihrer quietschgelben Regencapes.

Nach ein paar Minuten bog mein Bus in die Straße ein. Die vorderen Türen öffneten sich zischend. Sie gaben den Blick auf einen nahezu kahlköpfigen Mann frei, der jetzt missmutig zu mir hinaus schaute. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen war so tief, dass sie sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen schien.
Als ich in meinem Rucksack nach meiner Fahrkarte kramte, fanden meine Hände stattdessen den Umschlag mit der Einladung. Ich hatte sie schon wieder ganz vergessen.
Meine Gedanken begannen sich zu drehen. Das Mädchen hatte mir zwar gesagt, ich müsse nichts mitbringen, aber es erschien mir doch sehr unhöflich mit leeren Händen auf einer Geburtstagsparty aufzukreuzen.
Na und?  Echote es in mir. Du kennst nicht mal ihren Namen.
Ich wollte trotzdem nach einem Geschenk sehen. Selbst wenn ich nichts fand - ich hatte es dann wenigstens versucht.

Die Falte des Busfahrers schien, wenn das überhaupt möglich war, noch tiefer zu werden, je länger ich dort draußen im Regen stand und er schnaubte verärgert als ich ihm entschuldigend gestikulierte, dass er ohne mich weiterfahren könne.

Der Bus in die Stadt kam sieben Minuten zu spät. Mittlerweile tropfte mir von den Haaren das Wasser in die Stirn und meine Klamotten waren total durchnässt.

Zu meiner Erleichterung saßen kaum andere Leute auf den moosgrünbezogenen Sitzen, und ich musste mir meinen Platz nicht mit einem verbitterten Greis oder einer überforderten Mutter teilen.
Die Welt hinter den Fenstern verschwamm, genauso wie meine Gedanken, in Grau. Ich dachte an die Nacht zurück. Dachte an meine Angst und an meine Hilflosigkeit. Dachte an die kalten Augen und an seine langen Finger auf meinen Lippen. 

Mir wurde immer mehr klar, dass ich keine Ahnung hatte, was mir lieber wäre: Dass mir in meiner Küche vor ein paar Stunden wirklich ein Mörder gegenüber gesessen hatte, oder ich nun doch endgültig den Verstand verloren hatte.  

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now