Kapitel 3

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DIE NASE war nicht gebrochen. Dennoch war sie auf eine Größe angeschwollen, der man beim besten Willen nichts mehr Ästhetisches abgewinnen konnte. Ich wurde mit einer überteuerten Salbe vertröstet und dann grob vor die Tür der Praxis gekehrt. 

Zweieinhalb Stunden hatte ich darauf gewartet aufgerufen zu werden. 

Im Wartezimmer saß eine Mutter mit einem Kind, das drei Minuten, nachdem sie sich vier Plätze weiter neben mich gesetzt hatten, in einer widerlichen Lautstärke losgeplärt hatte. Neben der Mutter saß ein alter Mann, der immer wieder missmutig zu mir rüber geäugt hatte und ein Typ mit Laptop, der aussah wie einer dieser Hippster-Studenten, die gefühlt den ganzen Tag im Starbucks rumhingen.
Das Licht im Raum tunkte die Gesichter in ein grünes Licht, zeigte ihre Augenringe und offenbarte gnadenlos die wahre Müdigkeit hinter jedem einzelnen von ihnen, einschließlich mir.

Ich war heilfroh aus der Station rauszukommen. Es regnete nach wie vor und langsam fragte ich mich, ob der gesamte Himmel im Begriff war sich in Wasser aufzulösen.
Ich setzte mir die Kapuze auf und ging Richtung Bushaltestelle.
Es war schon spät.
Aber da es niemanden gab, der zu Hause auf mich wartete, hatte ich es nicht eilig. Ich hatte keine Geschwister und auch keine Haustiere. Nur eine Mutter, die im Wohnzimmer saß und sich eine Zigarette nach der anderen anzündete, um sie anschließend halb aufgeraucht in einem gesprungenem Aschenbecher zu versenken.

Jemand hatte ein ziemlich geschmackloses Graffiti auf die Scheibe, hinter der die Fahrpläne aushingen, gesprüht, sodass ich zwar nicht wusste, wie lange ich noch auf meine Verbindung warten musste, wohl aber Laras Durchwahl und die Info, dass sie einen geilen Arsch hatte. Ich setzte mich auf eine der unbequemen Sitzflächen. Der Regen fiel in glänzenden Schnüren zu Boden, und etliche Autos rasten an mir vorbei. Aus manchen drang gedämpft irgendeine Musik. Ich wurde müde.

„Du streunerst gerne noch am Abend auf der Straße rum, wie?", wurde ich plötzlich angesprochen.
Irritiert blinzelte ich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Es war ziemlich dunkel; wir hatten Ende Oktober und der Herbst war schon alt. Aus dem Schatten löste sich nun die Gestalt des Jungen von gestern. Es passierte nicht oft, dass man sich zweimal begegnete, zumindest nicht in dieser Stadt. Sie war nicht groß, aber finster. Manche Mensche wurden einfach verschluckt und sie verloren sich zwischen den düsteren Straßen oder stickigen Sishabars. 

Deswegen fand ich vor Überraschung auch meine Sprache erst wieder, als der Fremde direkt vor mir stand und auf mich herabsah. Sein Gesicht lag erneut im Schatten einer Kapuze. Sie war weiß und schimmerte fahl durch die anbrechende Nacht.
„Bist du mir gefolgt?", fragte ich schließlich langsam.
Er lachte kurz auf. Es klang, als ob er nicht wüsste wie man wirklich lacht. Ein Schauer floss mir über den Rücken und glitt hinab zu meinem Steiß, dort blieb er hängen und ließ mich mit einem unbehaglichem Gefühl und der beklemmenden Anwesenheit des anderes zurück.

„Hältst du dich wirklich für so interessant?", fragte er mich, nachdem sein emotionsloses Gelächter ausklang. Mir schoss natürlich das Blut ins Gesicht. Ich traf nicht gerne unüberlegte Aussagen, weswegen ich sehr häufig einfach gar nichts sagte, aber dieser Kerl brachte mich total aus dem Konzept. „Nein.",verteidigte ich mich, ohne auch nur ein Argument dazu liefern zu können.

Eine kurze Stille herrschte zwischen uns, nur das Licht der Haltestelle knisterte.

„Was machst du hier?", fragte ich verhalten. Es war nicht meine Art mich um das Leben anderer zuscheren, aber aus irgendeinem Grund machte mir die Abwesenheit eines Gesprächs plötzlich ziemlich zu schaffen. Er antwortete nicht sofort.
„Ich warte auf jemanden.", sagte er dann.
„Auf wen?", schoss es aus mir heraus, im verzweifelten Versuch die Unterhaltung am Laufen zu halten.

Dieses Mal hielt sein Schweigen noch länger an.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.", erwiderte er dann und seine Stimme war plötzlich viel tiefer.
Reflexartig zog ich den Kopf ein und wandte schnell das Gesicht ab.
„Entschuldigung.",murmelte ich leise und er hatte es sehr wahrscheinlich nicht verstanden, aber ich war nicht gut darin um Verzeihung zu bitten. 

Das lag unter anderem daran, dass selten ich diejenige war, die sich entschuldigen musste. Und trotzdem hatte ich mich schon nur mit einer einzigen in meinem ganzen Leben mehr entschuldigt, als meine Mutter.

„Es ist interessant.", sagte der Junge vor mir und ich zuckte zusammen, denn seine Worte kamen unerwartet. Ich wandte mein Gesicht wieder zu ihm. Und in dem Moment trafen unsere Blicke zum ersten Mal richtig aufeinander. Seine Augen waren blau und hart. Sie leuchteten förmlich, aber es war ein kaltes, grimmiges Leuchten und mit einem Mal bekam ich schreckliche Angst. Was er anschließend sagte, traf in diese Angst, traf sie so genau und zielsicher, dass mir heiß und kalt wurde und ich Eisen auf der Zunge schmeckte.

„Ich habe gar nicht das Verlangen danach, dich zu töten."  

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt