Kapitel 2

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DAS SCHULGEBÄUDE war hässlich. Es war grau und hatte nicht viele Fenster. Und genauso hässlich wie die Schule selbst war, waren es auch ihre Besucher. Denn alle hatten sie die selben  grauen Gesichter, schlafende Augen und alle hatten sie kalte Hände.

Ich war schon immer eine halbe Stunde da bevor der Unterricht anfing. Die Busse fuhren zwar gut, aber ich hatte kein Interesse daran zu Hause zu sein. 

Meistens saß ich in der Cafeteria zeichnete und hörte Musik. Es regnete auch heute wieder. Das Wasser lief schwer an den Scheiben hinab und ließ die Welt dahinter verschwimmen, sodass die Schemen der Schüler, die langsam eintrudelten, schwachen Geistern glichen und die Lichter der Autoscheinwerfer, verlorenen Irrlichtern.

Ich wandte mich meinem Skizzenbuch zu. Lange sah ich auf die schwarzen Striche, die sich auf dem schneeweißen Papier angesammelt hatten. Es war mein sechster Versuch den Jungen von gestern zu zeichnen, aber mit keinem war ich bisher zufrieden. Je länger ich darüber nachdachte, je mehr ich mich anstrengte seine Erscheinung wieder in meinem Kopf aufleben zu lassen, desto mehr entglitt mir diese Erinnerung. Es schien wie ein Traum, aus dem man aufschreckte und im selben Moment nicht mehr wusste, ob es ein guter oder schlechter gewesen war. Ich tippte unentschlossen mit der Rückseite des Kugelschreibers auf dem Papier.
„Hey, Steph." Eine quakende Stimme drang durch die Musik in meine Ohren.
Ich riss alarmiert den Kopf nach oben, nur um in die grinsende Fratze von Dan zu sehen. 

Dan war zwei Köpfe größer als ich, ging in die Parallelklasse und war zweifelsfrei ein Arsch. Und er mochte mich nicht besonders, seitdem ich ihm letzteres am Anfang des Schuljahres ziemlich direkt ins Gesicht gesagt hatte. Er war heute allein. Normalerweise schleppte er einen seiner unterbelichteten Freunde mit sich herum, damit er Publikum hatte, wenn er mich fertig machte.
Mich interessierte Dan nicht wirklich.
Seine täglichen Attacken waren anstrengend und ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass all seine Beleidigungen wirkungslos an mir abprallen würden, aber es war bei Weitem nicht so schlimm wie bei meiner Mutter.
Und wenn ich ehrlich war, konnte ich ihn manchmal sogar verstehen. Mir war es wichtig die Leute um mich herum zu begreifen, deswegen wusste ich von seiner kleinen Schwester, die alles bekam und er nichts.
Denn seine Eltern hatten sich immer nur ein Mädchen gewünscht und nicht einen zu groß geratenen Kerl mit zu breitem Kinn und zu großen Händen. 

Vielleicht hätte ich mich in eine ähnliche Richtung wie er entwickelt, wenn es ein bisschen anders gekommen wäre. Wenn mein Vater früher gestorben wäre. Zum Beispiel.

Ich ignorierte ihn und packte kommentarlos meine Sachen zusammen, um mich auf dem Weg zum Klassenraum zu machen. Aber natürlich ließ Dan mich nicht so einfach davonkommen. Seine riesige Hand krachte auf meinen Skizzenblock, und ich schaffte es gerade noch meine eigenen Finger in Sicherheit zu bringen.
„Du gehst mir auf den Sack, Steph. Wann schneidest du blöde Schlampe dir nicht endlich die Pulsadern auf?", schnarrte er.
Ich erwiderte seinen schadenfrohen Blick nüchtern. Dann stand ich auf und schob mich an ihm vorbei. 

Auch wenn es nicht das erste Mal war, dass ich so reagierte, konnte ich seinen perplexen Gesichtsausdruck sehen, obgleich ich schon mit zwei Schritten an ihm vorbei gelaufen war. Nach fünf weiteren Schritten hatte er sich jedoch wieder gefangen und kam mir wutschnaubend hinterher. Kurz vor dem Ausgang schob er sich zwischen mich und die Tür. Mein Skizzenbuch so fest umklammert, dass die Haut über seinen Knöcheln gelblich spannte.
„Du denkst wohl, du seist was Besseres, ha? Denkst, du könntest dir alles leisten mit deiner ach-so-tollen Art über allen Dingen zu stehen."
Er kam bei jedem Wort näher, und griff mir beim letzten Satz in den Nacken. Ich überlegte, ob es Sinn machen würde sich zu wehren. Aber er war stark, zumindest stärker als ich, und er würde nur noch wütender werden, wenn ich jetzt einen Fluchtversuch unternehmen würde.

Mein Kopf knallte zweimal auf eine der grauen Tischplatten der Kantine.

Mir wurde von den Schmerzen schlecht. Benommen blinzelte ich nach oben. Dan grinste zu mir nach unten, während mir anfing das Blut in dicken, warmen Linien aus der Nase zu fließen. Ich wusste nicht, ob er sie mir gebrochen hatte; ich würde nach der Schule zur örtlichen Krankenstation gehen. 

Ich sackte zu Boden und erhob mich erst wieder, als Dan aus der gläsernen Flügeltür gestapft war. Ich verstand ihn. Es musste frustrierend sein, zu sehen, wie andere Menschen scheinbar unbeschwert durchs Leben gingen. Ich kannte diese beißende Eifersucht nur selbst zu gut. Nur, dass ich keiner dieser Menschen war. 

Das war das Los, derjenigen, die es verlernt hatten, laut zu leiden. 

Die Schultoiletten waren dreckig und stanken. Aber von Letzterem bekam ich nicht viel mit, als ich benommen die dunkelblaue Raumtür aufstieß. Der Schmerz in meiner Nase wich langsam einer pulsierenden Taubheit  und ich wusch mir das Gesicht acht Mal mit eiskaltem Wasser.
Als ich aufblickte, sah mir im Spiegel ein blasser Teenager entgegen. Meine Haare hatte ich mir vor einer Woche in einem Anfall jugendlicher Rebellion blau gefärbt. Vier Stunden hatte ich mich danach in meinem Zimmer einschließen müssen, denn meine Mutter hätte sie mir ansonsten abgeschoren.

Das Nasenbluten hörte erst nach einer gefühlten Ewigkeit und fünfzig Papiertüchern auf. Ich wusch mir das Gesicht ein neuntes Mal und lief dann Richtung Klassenzimmer. Ich würde fünf Minuten zu spät kommen.  

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt