Kapitel 9

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ES IST immer wieder faszinierend zu sehen, wie viele Gesichter ein Mensch haben kann. Der nette, verständnsvolle Junge von der Party hatte jetzt einer perversen Fratze Platz gemacht. Michas Körper presste sich fest gegen meinen, sein rechter Oberschenkel zwang mir dabei die Beine auseinander, ich konnte ihn riechen.
Säure kletterte meine Speiseröhre hinauf und in meinem Kopf überschlugen sich die Möglichkeiten. Gleichzeitig erschien er mir wie leer gefegt. Lediglich mein Herzschlag donnerte durch meine Gedanken.

Ich kniff die Augen zusammen. Ich fragte mich, wieviel Zeit es mir verschaffen würde, wenn ich ihm jetzt das Knie in die Weichteile rammte. Ich war noch nie eine gute Sprinterin gewesen, hatte aber gehört, dass eine Gefahrensituation ungeahntes Potential in den Menschen hervorbrachte.

Ich musste es wenigstens versuchen. Entschlossen öffnete ich die Augen und spannte meinen Körper in voller Bereitschaft an. Aber Micha schenkte mir gerade keine Beachtung mehr. Stattdessen blickte er in die Richtung aus der wir gekommen waren. Instinktiv folgte ich seinem Blick. 

Dort, auf der fahl beleuchteten Straße, lag ein Körper.

Mein kochendes Blut, schien innerhalb von einem Atemzug zu gefrieren. Denn dieser Mensch, der dort lag, war tot. Ich wusste nicht, wie ich mir dabei so sicher sein konnte, denn wir standen bestimmt zwanzig Meter von der Leiche entfernt, aber irgendwas in mir war sich dieser Tatsache zweifelsfrei bewusst.
Das Gesicht von Micha änderte sich ein weiteres Mal: in seinen Augen glänzte plötzlich die nackte Angst. Er ließ von mir ab, stolperte langsam ein paar Schritte nach hinten. Ich konnte seinen schweren Atem hören, er füllte die Gasse wie grauer Zement. Und dann mischte sich unter das Geräusch von Michas furchtgeschwängertem Schnaufen ein helles Lachen. Die feinen Haare auf meinen Unterarmen stellten sich kerzengerade auf und ich presste mich an die kalte Hauswand hinter mir, als könne ich auf diese Art und Weise mit ihr verschmelzen.

Was dann passierte, kann ich selbst heute nicht richtig beschreiben. Das einzige was ich aus jener Nacht mitnahm, waren die Fetzen von Erinnerungen. Sie würden mir noch eine lange, lange Zeit im Gedächtnis hängen. Wie ein schwarzer, ätzender Fleck.

Micha drehte den Kopf zu mir. Und ein letztes Mal würden sich unsere Blicke miteinander verschränken. Was las ich in seinen Augen? Verzweiflung? Flehen? Oder wusste er selbst nicht welche Gefühle in diesem Moment aus ihm sprachen?
Es war egal. Ich rührte mich nicht von der Stelle, als eine glänzende Klinge seine Kehle aufschlitzte und er blutend nach vorne stürzte.

Aus der Dunkelheit formte sich ein weißes Gesicht. 

Die blauen Augen schienen mir in dieser Nacht noch kälter und brutaler entgegen zu leuchten als sonst. Frisches Blut glänzte an seinen Händen und tropfte in zähen Fäden auf den Asphalt hinab.

Er schenkte Michas zuckendem Körper keine weitere Beachtung, als er über ihn hinwegschritt und auf mich zutrat. Wir sprachen kein Wort miteinander. Aber wir beide wussten, dass er mich nicht töten würde.

Eine seltsame Ruhe machte sich in mir breit, wie er so vor mir stand, das Blut des Jungen an den Händen,der mir gerade noch die schlimmsten Dinge antun wollte. Jetzt war er tot und ich lebte.

„Wo du dich immer rumtreibst, ist wirklich erstaunlich." 

Jeffs Stimme war rau und er unterzog mich dabei einer intensiven Musterung. Ich hatte nach wie vor das Gefühl, dass meine Füße mit dem Boden unter mir verwachsen waren. Mein Mund öffnete sich ein paar Male in dem Versuch etwas zu erwidern, aber jedes Wort verharkte sich in meiner Kehle wie ein Angelhaken.
Es tat weh.
Der Mörder kam näher, er kam mir so nahe, dass seine schwarzen Haare über mein Gesicht strichen. Er roch nach dem Tod vieler, vieler Menschen und nach der Nacht, die uns umschloss. „Ich will etwas trinken.", knurrte er dann und packte mich am Arm. 

Seine Berührung hinterließ rote Schlieren auf meiner Kleidung. 

Wir entfernten uns immer mehr von der Hauptstraße und immer mehr von Alishas Party, die mir immer noch wie ein verschluckter Klumpen Dreck im Magen lag. Mit Jeff fühlte sich die Stadt anders an. Sie fühlte sich verletzlicher an. Denn er kannte die Stadt gut, er wusste um ihre Tücken und um ihre Schwächen. Eine Zeit lang gingen wir an einem der Kanäle entlang, die sich durch diese Stadt schlängelten und aussahen wie klaffende Wunden. Das Wasser glitzerte schwarz und unsere Silhouetten spiegelten sich in der dunklen Oberfläche.
Während wir so gingen, und außer unserer knirschenden Schritte nur das gluckernde Wasser die Stille dieser Nacht durchbrach, fand ich meine Stimme wieder.
„Warum warst du dort?"
Jeff, der bis jetzt vor mir hergelaufen war, blieb bei der Frage stehen und drehte sich zu mir um. Ich konnte seine Miene nicht deuten.
„Warum warst  du es?", entgegnete er flach.
Ich verstand nicht. Er seufzte und ging dann langsam weiter. Als er antwortete, sprach er nach vorne. Ich hatte Mühe ihn zu verstehen.
„Wir haben alle unsere Wege, Steph. Und unsere Gründe, sie zu gehen. Und manchmal kreuzen sie sich eben."

Seine Worte ließen mich mit einer seltsamen Leere zurück. Also war es wirklich nur ein Zufall gewesen. Meine Hände zitterten, als ich sie fest vor der Brust verschränkte.  

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now