Kapitel 21

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DIE ANBRECHENDE Nacht ließ die Schatten in Jeffs Augen dunkler werden. 

Steph hatte damals nicht gelogen, als sie ihm von ihrer geringen Alkoholtoleranz erzählt hatte. Schon nach der zweiten Dose hatten sich ihre blassen Wangen verdächtig gerötet und nach einer weiteren war ihr der Kopf schwer auf die Brust gefallen.
Der Mörder hatte das Mädchen zu sich auf den Schoß gezogen, die Arme um sie gelegt, um sie etwas vor der beißenden Kälte zu schützen, welche die Dunkelheit mit sich brachte. Ihr ruhiger Atem strich ihm über die Haut und ließ ihn erschauern. 

Tief in seinem Inneren wünschte er sich, jetzt ebenfalls in einen wehrlosen Schlaf zu fallen, um vor dem quälenden Entschluss, den er heute Nachmittag gefasst hatte, wenigstens für ein paar weitere Stunden entkommen zu können.
Schweigend musterte er das friedliche Gesicht unter sich. Ihre helle Haut schimmerte durch die Dunkelheit, wie eine glänzende Münze auf dem Grund eines trüben Tümpels.
Kurz verloren sich seine Gedanken in Träumen, die süß und bitter wie Zimt waren. Absurde Bilder von friedlicher Gemeinsamkeit, ohne Blut und ohne Hass flackerten vor ihm auf, trieben jedoch in milchigen Schleiern davon, als er sich seufzend über das Gesicht fuhr.
Niemals würde ihm so eine Zukunft möglich sein. Er hatte sich mit den vielen Morden beinahe schon gezielt jede Chance auf ein Leben abseits der Finsternis verbaut. Und das war eine Konsequenz mit der er leben musste. Und alle, die so leichtsinnig waren, sich auf ihn einzulassen. 

Trotzdem zögerte er. 

"Ich will dich nicht vergessen." 

Ihre Worte echoten immer noch durch seinen Kopf. Sie war der erste Mensch seit Jahren gewesen, dem er einen Teil von sich anvertraut hatte.
Er hatte es getan, ohne es zu hinterfragen. Gedanken hatten in dem Moment aber auch keine Rolle gespielt. Nur ihre dunklen Augen, die bis auf die verkümmerten Reste seiner Seele geblickt hatten, hatten in diesem Moment gezählt. 

Er zündete sich eine Zigarette an. Die Letzte der Packung. Danach würde er sie rein bringen.
Und dann. Er starrte in in die Leere.
Er wusste schon jetzt wie es sein würde. Pulsierendes Blut, das unter seinen Händen hervorsprudeln und der metallische Geruch, der sich auf seine Haut legen und in seinen Haaren verfangen würde.
Nur eine Sache würde dieses Mal anders sein. Die Euphorie dabei würde dieses Mal gänzlich ausbleiben. Ein heißes Zittern durchfuhr seinen Körper. 

Ein paar Minuten später trat er mit Steph auf den Schultern durch die Eingangstür des zusammengefallenen Gebäudes, das ihm schon seit vielen Wochen Schutz gespendet hatte. Seine Schritte hallten durch den dunklen Raum. Sie durchbrachen die Stille in unregelmäßigen Abständen.
Normalerweise hatte Jeff kein Problem mit der Leere und Einsamkeit, die solchen Orten inne wohnte. Vielleicht weil diese verlassene Atmosphäre seinem inneren Wesen gar nicht so unähnlich war. Doch jetzt, in der Gewissheit bald wieder alleine zu sein, schnürte es dem Mörder mit einem Mal die Kehle zu. 

Schließlich stand er in dem Raum, in der sie die letzten Tage miteinander verbracht hatten.
Steph war leicht. Bei ihrer schmalen Erscheinung, hatte er sich auch schon oft genug die Frage gestellt, ob nicht sogar zu leicht, doch jetzt lastete ihr Gewicht schwer auf seinen Schultern und zwang ihn beinahe in die Knie.
Vorsichtig ließ er das Mädchen von sich gleiten und lehnte es anschließend an die Wand. Eine ganze Zeit klebte sein Blick an ihren Schuhen, auf denen sie in ihrer feinen Schrift Zeilen düsterer Liedzitate hinterlassen hatte. Einige davon kamen ihm sogar bekannt vor. 

Er dachte an die Traurigkeit in ihrer Stimme und daran, dass er ihr Lachen noch nie gehört hatte.
Dann tastete er nach seinem Messer. Die Klinge blitzte scharf und gefährlich. 

Doch noch im selben Moment heulten vor dem Unterschlupf die Sirenen auf. Brutal zerrissen sie den bizarren Frieden des gegenwärtigen Moments.
Jeff war mit einem Satz aufgesprungen. Aber in seinen stechenden Augen lag weder Zorn noch Panik. Das Gefühl, das ihn jetzt durchdrang, als er lautlos mit den Schatten der Umgebung verschmolz, Steph den Rücken zuwandte und sie schlafend und unverletzt zurückließ, erschütterte jedoch jede einzelne Grundfeste seines finsteren Charakters. 

Es war Erleichterung.

IN MEINEM Kopf drehte sich alles, als ich unsanft wach gerüttelt wurde. Aber schon wenige Sekunden später fluteten die Reize der Außenwelt mein schmerzendes Gehirn. Ich stöhnte und blinzelte in das Gesicht eines Mannes, der sich jetzt über mich beugte. 

"Stephanie Youngster, richtig? Sind Sie verletzt?" 

Es klang nicht so, als wäre er an meiner Antwort interessiert.

Perplex schüttelte ich den Kopf, während ich noch versuchte die Eindrücke, zu sortieren, die auf mich nieder prasselten. Doch schon ziemlich schnell wurden meine Gedanken nur noch von einer einzigen Frage getrieben:

Wo war Jeff? Nahezu panisch suchte ich mit meinen Augen die Umgebung ab. Eine Frau und ein Mann waren dabei, die wenigen Gegenstände, die im Raum verstreut lagen, einzusammeln – von Jeff fehlte jegliche Spur. 

Widerstandslos ließ ich mich von dem Mann, der mich angesprochen hatte, nach draußen schleifen. Es parkten mehrere Streifenwagen vor dem Bau. Das flimmernde Blaulicht, das unregelmäßig durch die Nacht zuckte, verursachte mir Kopfschmerzen.
Nachdem mich der Beamte grob abgetastet hatte, schob er mich in Handschellen auf die Rückbank eines Wagens. Drinnen stieg mir sofort der künstliche Geruch der cremefarbenen Sitzbezüge in die Nase. Hier drinnen drang der Klang ihrer aufgebrachten Stimmen nur noch gedämpft zu mir durch. Ermattet lehnte ich den Kopf an die kühle Scheibe und beobachtete müde das hektische Treiben, das sich draußen abspielte. 

Jeff war fort. 

Ich würde ihn womöglich nie wieder sehen. Schmerzhaft schlang sich diese Erkenntnis um meine Brust, wie ein eisernes Korsett. 

Es würde Wochen dauern, bis ich zusammen mit meinen Klamotten auch seine Nachricht überreicht bekommen würde. Er hatte sie auf die Rückseite des Einkaufszettels, den er mir vor der Tanke in die Hand gedrückt hatte, hinterlassen.
Die Schrift war kaum leserlich und ich musste bei dem Anblick des unbeholfenen Schriftbilds tatsächlich lächeln. Als ich den Satz jedoch schließlich entschlüsselt hatte, stiegen mir heiße Tränen in die Augen: "Bleib am Leben"

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora