Kapitel 18

859 61 6
                                    

WIR ERREICHTEN nach etwa zwanzig Minuten einen Park, der aussah, als hätte man ihn aus Beton gegossen. Die Bäume reihten sich grau und starr entlang dem Schotterweg, der durch den starken Regen der letzten Tage ganz aufgeweicht war. 

Etliche trübe Pfützen hatten sich auf ihm angesammelt auf denen jetzt braune Blätter und Äste trieben. 

„Hier.", Jeff hielt mir einen zerknitterten Dollarschein unter die Nase. „Wenn du den Weg weiter gehst, folgst du der Straße knapp dreißig Meter, dort sollte es einen Imbiss geben. Die verkaufen Würstchen, Pommes und noch ne Menge andere fettige Scheiße. Hol dir was du willst und bring mir einen Cheeseburger mit, okay?" 

Damit ließ er mich stehen und ließ sich auf eine der dunkelgrünen Parkbänke fallen. Genauso unbeweglich wie der Rest dieser geisterhaften Umgebung blieb er dort sitzen, die weißen Hände vor der Brust verschränkt.
Es dauerte eine Weile bis ich mich von diesem befremdlichen Anblick losreißen konnte und der Richtung folgte, die er mir gerade angegeben hatte. 

Er blickte ihr hinterher. Ihre schmale Figur verlor immer mehr an Kontur, je mehr sie sich von ihm entfernte und kurz war er versucht aufzuspringen, und ihr heimlich zu folgen. Es kostete ihn tatsächlich einiges an Selbstbeherrschung diesem Drang nicht nachzugeben und erneut spürte er, wie die Wut seine Netzhaut scharlachrot zu färben drohte.
„Lächerlich.", schnaubte er abfällig und zog sich die Kapuze tiefer ins zerschnittene Gesicht. Seit Steph ihr Bewusstsein verloren hatte, gluckerte unaufhörlich die Unsicherheit in ihm, und diese Unsicherheit wiederrum ließ ihm bittere, heftige Abscheu aufstoßen.
Warum hatte er sie nicht getötet?
Warum nicht in diesem Moment?
Warum nicht schon davor und warum nicht jetzt?
Es hatte etliche Gelegenheiten gegeben, und doch hatte er jedes Mal gezögert. Es machte ihn wahnsinnig. Wahnsinniger als er ohnehin schon war und das Schlimmste an diesem Wahnsinn war, dass er ihn selbst nicht verstehen konnte.
Doch während er mit seinen Schuhen den matschigen Kies zusammenschob, wurde ihm klar – er hatte seinen Wahnsinn noch nie verstanden, aber er hatte davor auch einfach keine Notwendigkeit darin gesehen. 

Ein dumpfes Grollen kletterte seine Kehle hinauf und er spürte wie immer mehr Adrenalin durch seinen Körper jagte. Das Problem war, dass seine rasenden Gedanken eine Tatsache immer wieder übersahen: 

Es musste nicht immer einen Grund für unsere Gefühle geben. 

Manchmal wurden wir einfach mit ihnen konfrontiert, ohne dass wir die Chance hatten uns auf sie vorzubereiten. Manchmal waren sie einfach da.
Und dann wurden wir in den unpassendsten Momenten auf einmal schrecklich traurig oder zornig. Oder wir hatten plötzlich etwas übrig für ein Mädchen mit blauen Haaren und Augen, die schwarz wie Asche waren. 

Während Jeff also weiter frustriert auf der Parkbank wartete, hastete Steph die Straße hinunter. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals.
"Warum schickt er mich jetzt wieder los... ich...", murmelte sie beim Gehen verzweifelt vor sich hin und warf alle paar Sekunden einen panischen Blick über die Schulter. Nach einigen Metern zeichneten sich vor ihr schließlich schon die Konturen eines flachen Gebäudes ab, das direkt neben der Fahrspur duckte.
Es sah etwas schäbig aus, aber dadurch, dass die gesamte Gegend ziemlich heruntergekommen war, fiel es nicht weiter auf.
Open.
An der verglasten Tür flackerte neben ausgehängten Flyern und Abrisszetteln ein rotes Neonschild. Es würde bald neue Batterien brauchen. 

Steph spürte wie sich ihre Innereien bei dem Gedanken die Schwelle zu überqueren gurgelnd zusammenzogen.
Aber sie wollte auch nicht mit leeren Händen zu Jeff zurückkehren. Sie konnte den Mörder nach wie vor nicht einschätzen aber sie erinnerte sich sehr gut daran, was er noch vor ein paar Nächten mit voller Verachtung in ihr Gesicht gezischt hatte:
„Deine Schwäche widert mich an."
Und damit war er nicht der Einzige. Steph selbst war ihrer eigenen Hilflosigkeit überdrüssig. 

Doch wenn wir in bestimmten Situationen keinen Ausweg sehen, eignen wir uns die merkwürdigsten Eigenschaften an. Und obwohl es selten Gute sind, klammern wir uns jahrelang an sie, weil die Angst ohne sie in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, viel zu vorherrschend ist. 

Steph zitterte. Ihr wurde allein von dem Gedanken diese Tür zu durchqueren furchtbar schlecht – aber die Furcht vor Jeffs unberechenbarer Laune und seiner tödlichen Feindseligkeit, war größer. 

Der Geruch von knisterndem Öl und dampfender Bratensoße schlug mir ins Gesicht, als ich schließlich die Tür aufstieß. Aus einem Radio spielte leise Musik.
Ich kannte das Lied, konnte mich aber nicht mehr daran erinnern woher.
Trotzdem beruhigte die Melodie meine angespannten Nerven und ermöglichtete es mir auch die letzte Distanz zum Tresen zurück zu legen.
Ich stierte angestrengt auf meine Schuhe, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, während ich der mürrischen Frau in roter Schürze meine Bestellung vortrug.
Sie unterbrach mich schon unwirsch nach den ersten Worten und ich zuckte zusammen.
"Lauter Mädchen, ich kann dich nicht verstehen!" Ihr Keifen klingelte mir in den Ohren. Wenigstens schien sie so damit beschäftigt zu sein, dunkle Schwaden ihrer schlechten Laune auszudünsten, dass sie gar keine Zeit hatte sich überhaupt für mein Gesicht zu interessieren. 

Ich spürte wie mein Puls sich bei dieser Erkenntnis etwas entschleunigte. 

Meine Stimme zitterte zwar auch beim zweiten Mal, aber immerhin gab sie meine Order jetzt ohne weiteren Kommentar in die Kasse ein. Ich musste zum Glück nicht lange warten, bis mir schließlich unverändert gereizt eine durchgeweichte Papiertüte auf die Theke gepfeffert wurde.
Den Betrag konnte ich passend zahlen. 

Erst als ich wieder draußen vor der Tür stand und der Wind mir die Haare aus der Stirn blies, spürte ich wie sehr mein Gesicht geglüht haben musste. Mein Atem ging schwer, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
Aber – ich hatte es geschafft.
Während ich mich auf den Rückweg machte, gluckerte aus meiner Kehle leise ein beherztes Lachen. Ich hatte mich noch nie leichter gefühlt.

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now