Kapitel 12

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DER WIND wehte mir die Haare ins Gesicht. Durch das blaue Gespinst meiner Strähnen beobachtete ich, wie Jeff einen Durchgang in dem schulterhohen Lattenzaun unseres Hinterhofes schuf.
Ich zuckte zusammen, als das Holz mit einem berstenden Geräusch absplitterte. Hektisch blickte ich über meine Schulter, aber das Haus hinter uns blieb dunkel und still. 

Mein Herz klopfte dagegen so laut, dass ich meine Brust unter meinem schwarzen Hoodie vibrieren spüren konnte.
„Komm jetzt!", zischte Jeff mir zu.
Er hatte sich schon durch den selbst erschaffenen Spalt gezwängt und sah mich mit seinen unheimlichen Augen auffordernd an. 

Kurz zögerte ich. 

Ich hatte noch immer die Möglichkeit umzukehren. Konnte noch immer meine Unschuld beweisen. Denn wenn ich floh, kam das doch fast einem Geständnis gleich, oder?
Aber wer würde dann zu mir halten?
Meine Mitschüler? Ganz sicher nicht.
Meine Mutter? Beinahe hätte ich bitter in die schwarze Nacht hinein gelacht. 

Stattdessen zog ich jetzt die Riemen meines Rucksacks fester an meinen Körper und folgte Jeff durch den schmalen Durchgang.
Ein Splitter rammte sich mir dabei in die Schulter, aber ich nahm den darauffolgenden, dumpfen Schmerz und das warme Blut auf meiner Haut kaum wahr. Mein Kopf hatte nach wie vor Schwierigkeiten damit diese absurde Situation richtig einzuordnen und ich war schrecklich müde. 

„2 Minuten.", war alles was Jeff auf meine panische Bitte hin erwidert hatte. 

Zwei Minuten. Zwei Minuten in denen ich notdürftig meinen wenigen Besitz und ein paar Wechselklamotten in meinen Rucksack gestopft hatte.
Zwei Minuten in denen ich mich von meinem schmalen, düsteren Zimmer mit den Wasserflecken auf der Tapete verabschieden konnte.
Zwei Minuten in denen mich die Panik beinahe zu überwältigen drohte. 

Und zwei Minuten, nach denen nichts mehr jemals wieder so sein würde wie früher. 

Hinter unserem Hinterhof grenzte direkt der eines weiteren Wohnblocks an und so sicher wie der schwarzhaarige Mörder vor mir her schritt, war er wohl nicht zum ersten Mal hier. Ich stolperte ihm hinterher.
Immer wieder sah ich mich um, lauschte in die Nacht hinein, spannte jeden meiner Muskeln an. „Beruhig dich.", flüsterte Jeff jetzt entnervt über seine Schulter.
Wir passierten ein paar Blumenbeete, in denen nur noch Unkraut wucherte. Die Blätter lagen braun und schlaff in der aufgeweichten Erde – es hatte in den letzten Tagen einfach zu viel geregnet. 

Diese Nacht war bisher noch recht trocken, aber die Steinplatten des Innenhofes schimmerten immer noch feucht vom letzten Wolkenbruch.
Ich betrachtete schon ratlos die abgeschlossene Tür, die wie in unserem Bau ins Treppenhaus führen musste, aber Jeff lief unbeirrt darauf zu.
Als er dann einen schweren Schlüsselbund aus seiner Gesäßtasche hervor holte, zog ein flaues Gefühl durch meinen Magen. Ich wollte ehrlich nicht wissen, wie er es angestellt hatte in den Besitz dieser klimpernden Sammlung zu kommen. 

Ich schluckte mein Unbehagen so gut es ging hinunter und folgte ihm in den dunklen Flur. 

Es roch nach kalter Asche und schmutziger Wäsche, ähnlich wie in unserem Wohnblock.
Ich fröstelte.
Dort, wo das Blut meinen Arm hinab gelaufen war, klebte der Stoff meiner Kleidung direkt auf meiner Haut. Mit einem dumpfen Klicken fiel die Tür hinter mir ins Schloss und in der plötzlichen Dunkelheit nahm ich Jeffs Gestalt nur noch als wagen Schatten vor mir wahr, der vor mir durch den Raum glitt.
Ich hatte das Gefühl im Gegensatz zu ihm einen furchtbaren Lärm zu veranstalten. Jedes Geräusch, das meine Schritte auf dem gekachelten Boden verursachten, schien viel zu laut durch das Treppenhaus zu schallen und der Schweiß stand mir auf der Stirn, als wir endlich die Haustür erreicht hatten. 

Draußen auf der Straße schnappte ich gierig nach der kühlen Luft und versuchte gleichzeitig vergeblich meinen rasenden Puls zu beruhigen.
Jeffs Augen funkelten belustigt. Er machte sich gar nicht die Mühe seine Schadenfreude zu verbergen.
„Du bist es wirklich nicht gewohnt, auf der Flucht zu sein, was?", stellte er völlig überflüssigerweise fest.
Sein rotes Grinsen erschien mir dabei tatsächlich noch breiter, als sonst. Ich entschied mich seine Aussage zu ignorieren und trat lediglich unruhig auf der Stelle, während ich meinen Blick die Straße hinunter schweifen ließ. Deswegen überrumpelte es mich total, als der Mörder mit einem Mal nach meiner Hand griff.
Fast hätte ich leise aufgeschrien.
Verwirrt sah ich in sein Gesicht, dessen verschlagener Ausdruck unheilvoll von dem sperrlichen Licht der Straßenlaternen beleuchtet wurde.
„Dabei macht sowas doch höllischen Spaß.", kicherte er.
Er klang dabei fast schon unbeschwert und viel hätte nicht gefehlt und ich hätte die widrigen Umstände unseres nächtlichen Abenteuers vergessen können. Aber da war dieser melancholische Unterton, der in allem was er sprach mitschwang und jede seiner Aussagen salzig auf der Zunge zurückließ. 

In diesem Moment hätte ich ihn gerne gefragt. 

Gefragt, warum er tötete. Gefragt, was mit seiner Familie passiert ist und ob es etwas gab, dass diese schreckliche Traurigkeit aus seiner Stimme verbannen konnte. 

Aber ich erwiderte seinen Blick lediglich perplex, bis er sichtlich frustriert von mir abließ. Die Fragen zitterten unausgesprochen zwischen uns, und ich war mir sicher, dass er sie ebenfalls durch die Stille leise weinen hörte. 

Ich kann mich nur noch vage daran erinnern, welchen Weg wir damals gegangen sind. Die frische Wunde an meinem Arm brannte entsetzlich und als ich glaubte meine Füße würden mich endgültig im Stich lassen, blieb Jeff vor mir stehen.
Mir waren schon davor seit geraumer Zeit die Augen immer wieder zugefallen und ich lief fast in seinen schmalen Rücken hinein. 

Vor uns beiden ragte ein verlassener Plattenbau in den Himmel. Gleich einem faulen Zahn ragte er aus dem Boden, der von zähem Gestrüpp und abgestorbenen Bäumen bewuchert wurde. Das geisterhafte Gebäude lag einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und schien schon ziemlich lange nicht mehr bewohnt zu werden.
Vor dem Eingang stapelte sich Sperrmüll aller Art. Ein Fahrrad ohne Vorderreifen und Sattel lag schräg über einer Stehlampe mit fleckigem Lampenschirm.
Generell hatte ich in meinem Leben noch nie einen trostloseren Ort gesehen. Und zu meinem Bedauern passte er sehr gut zu Jeff, der jetzt die klobige Eingangstür aufdrückte. 

Ein letztes Mal in dieser Nacht würde ich zögern.
„Steph.", Jeffs Stimme schnitt sich in meine übermüdeten Gedankengänge.
Er zerriss mit dem Klang seiner Stimme die letzten zweifelnden Fäden. 

Und ich trat schweigend hinter ihm ein.

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now