Kapitel 6

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DRAUßEN FEGTE der Wind jetzt den Regen über die dunklen Straßen und zog durch die Fugen des Fensters.
Ich saß mit Jeff am Esstisch.
Er hatte es sich auf dem Platz direkt neben der Tür bequem gemacht. Dort hatte seit dem Tod meines Vaters niemand mehr gesessen. Als sei der Sitzplatz eine heiße Herdplatte, hatten sowohl meine Mutter als auch ich diesen Platz gemieden. Ich knibbelte etwas abgestorbene Haut unter meinem Nagelbett ab und beobachtete immer wieder verstohlen diesen Jungen. Jeff, wie er sich selbst vorgestellt hatte.

Seitdem hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. 

Momentan konnte ich auch schwer an etwas anderes denken, als daran, dass mein Handy immer noch im Zimmer lag und ich nicht sterben wollte. Nicht hier. Nicht in dieser Stadt und nicht in dieser Wohnung.
Jeff hatte die Flasche mittlerweile schon fast zur Hälfte geleert, machte zu meinem Pech aber nach wie vor keinen betrunkenen Eindruck. Seine hellen Augen blickten auf die goldene Flüssigkeit, die jetzt noch in der Flasche hin und her schwappte. Dann richteten sich diese entsetzlichen Augen auf mich.
„Du trinkst nicht?", fragte er.
Unwillkürlich verspannte sich jeder einzelne Muskel meines Körpers und meine Hände ballten sich unter dem Tisch zu Fäusten. Es brauchte mich ein paar Sekunden, in denen ich versuchte abzuwägen welche Antwort auf diese Frage hin am Schlausten wäre. Ich kam nicht schnell genug zu einem Ergebnis, denn meine Gedanken überschlugen sich.
Mir wurde langsam schlecht.
Also versuchte ich es einfach mit der Wahrheit. „Nein... ich habe nicht unbedingt gute Erfahrungen mit Alkohol gemacht."
Er nahm meine Antwort schweigend entgegen, doch um seinen aufgeschnittenen Mund zeichnete sich ein belustigtes Lächeln ab und er nickte, als ob er verstünde. Ich fragte mich, ob der Alkohol in seinen Verletzungen nicht schrecklich brennen musste. Und dann fragte ich mich, wie lange er jetzt schon mit diesen Verunstaltungen lebte, dass ihm der Schmerz so egal zu sein schien.

„Was ist?" 

Ich zuckte zusammen. Mir war nicht aufgefallen, dass mein Blick während dieser Gedanken an ihm hängen geblieben war. Ich schüttelte nur den Kopf. Unfähig ein Wort über die Lippen zu bringen.

„Weißt du, es ist wirklich seltsam mit dir." 

Ich hob bei seinen Worten erneut den Kopf. Er starrte gedankenversunken auf seine weißen Hände; langsam drehten sie die Flasche hin und her.
„Normalerweise bringe ich nicht die Geduld auf,mich mit Menschen auseinander zu setzen... Ständig wollen sie irgendetwas, verstehst du? Sie wollen nicht leben, sie wollen nicht sterben, sie wollen nicht traurig sein, aber lachen möchten sie auch nicht.", er seufzte und legte den Kopf schief, dabei zog er die Augenbrauen zusammen.
So sah er fast wie ein kleiner blockiger Junge aus. 
„Ich dachte, wenn ich nur etwas Zeit mit dir verbringe, würde ich dich schon irgendwann töten wollen. Aber das würde sich momentan nur nach Aufwand anfühlen."
Er klang so frustriert und abfällig, dass es mich schon fast beleidigte und ich musste mich plötzlich zusammenreißen, nicht etwas in die Richtung wie „Tut mir Leid, dass ich nicht interessant genug bin, um mich umzubringen" zu entgegnen. 

Jeff richtete jetzt wieder seinen Blick auf mich. Diese toten Augen würden ihre Wirkung wohl nie verfehlen; mein Körper wurde jedes Mal kalt, wenn ich in diese trüben Iriden schaute, die scheinbar nur bei dem Gedanken an Gewalt aufklarten. Eine heftige Windböe zog jetzt durch die Straße und das Fenster klapperte.
Ich verschränkt die Arme vor meinem Körper.
„Zum Glück scheint das nur bei dir so zu sein.", fügte er jetzt hinzu und die Erleichterung in seiner Stimme erschien mir in dem Kontext schrecklich morbide. Mir schauderte bei dem Gedanken daran, wie er sich über diese Tatsache wohl Klarheit verschafft haben musste. 

Ich suchte verzweifelt nach einer Antwort, einer Reaktion, die mich im Besten Fall nicht noch tiefer in die Scheiße reiten würde. Aber mein Gehirn war ein einziges schwarzes Loch und so dehnte sich die Stille zwischen uns erneut aus und machte mir das Atmen schwer.

Ich weiß nicht mehr wie lange wir uns in der kahlen Küche gegenüber gesessen haben. Ich weiß auch nicht mehr, wann die Anspannung immer mehr aus meinen Gliedern wich und ich mit einem Mal schrecklich müde wurde. Irgendwann sank mein Kopf auf die Tischplatte, und mein Magen sackte bei dem Gefühl des Kontrollverlustes tiefer in meinen Körper. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, aber ich hatte seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen und die Frustration, Angst und Trauer hatten stark an meinen Energiereserven gefressen. Und langsam aber sicher verschwamm die Welt um mich herum, und mich verschlang ein dunkles Nichts.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, tat mein Nacken entsetzlich weh. Jeff war fort. Nur die leere Flasche Rum stand noch auf dem Tisch. 

In ihrem Glas brachen sich die ersten sanften Sonnenstrahlen.

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now