Kapitel 11

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IN DIESER Nacht schlief ich unruhig und nicht lange. Draußen war es noch stockdunkel, als ich mich schließlich aus meiner verschwitzten Bettwäsche schälte und durch mein Zimmer tapste.
Ich trat in den Flur.
Aus dem Wohnzimmer sickerten gedämpft die unbeteiligten Stimmen des örtlichen Nachrichtenprogramms. 

Jeff saß unbeweglich auf unserer Coach als wäre er dort fest gefroren. 

Seine blauen Augen waren auf den flackernden Bildschirm gerichtet, doch es sah aus, als würde er durch die dokumentierten Geschehnisse direkt hindurch sehen. Zwischen seinen blassen, langen Fingern drehte er eine Zigarette, die im dämmrigen Raum einsam glühte.
Ich war mir ziemlich sicher, dass er meine Anwesenheit bemerkt hatte, aber er drehte sich weder zu mir, noch sprach er mich an.
Unschlüssig ob ich mich zu ihm setzen sollte, blieb ich also an der Tür stehen und hörte mit halbem Ohr dem Sprecher zu, der keine Gelegenheit zu verpassen schien, dem Publikum sein strahlendes Zahnpastalächeln zu präsentieren.
Er und Jeff boten einen wirklich skurrilen Kontrast und ich fragte mich, ob sich Jeff dieser Tatsache bewusst war, und ob es ihn störte. 

Jetzt drehte sich der Mörder doch zu mir um.  Auf seinem Gesicht tanzte das kalte Licht des Bildschirms und ließ ihn noch gespenstischer aussehen, als er es ohnehin schon tat.
„Du machst mich nervös, wenn du so hinter mir rumschleichst.", knurrte er.
Ich zögerte kurz, setzte mich dann aber zu ihm.
Jeff hatte sich direkt wieder dem Bildschirm zugewandt. Nur hin und wieder löste sich seine Starre, wenn er an der Kippe zog. Seine Lippen sahen spröde aus. Ich fragte mich wie sich diese vernarbte Haut anfühlte und der plötzliche Drang ihn anzufassen, überrumpelte mich ziemlich. 

Ich presste meine Hände bestimmt in meinem Schoss zusammen und fokussierte mich mehr darauf die Nachrichten zu verfolgen.
Ich selbst hatte vor langer Zeit aufgehört den Fernseher anzuschalten.
Die wenigen Male, in denen ich innerhalb der letzten Jahren aus lauter Verzweiflung doch einen Blick in das Programm gewagt hatte, konnte ich an einer Hand abzählen. Denn entweder konnte ich meine Gehirnzellen förmlich beim Sterben schreien hören, oder man wurde nur mit noch mehr menschlichen Fehltritten konfrontiert. 

Zusammengefasst machte es mir immer nur entsetzlich schlechte Laune. 

Ich verfolgte die abgebildeten Geschehnisse also nur halbherzig und versuchte dabei Jeffs Anwesenheit so gut es ging auszublenden.
„Der neunzehnjährige Michael Baker wurde vor ein paar Stunden tot in einer Gasse aufgefunden.", fuhr der Sprecher jetzt fort, ohne den monotonen Ton in seiner Stimme zu verlieren. 

Als hätte man mir einen Eimer eiskaltes Wasser in den Nacken gegossen, konzentrierten sich meine Sinne plötzlich nur noch auf das Bild, das jetzt für einige Sekunden eingeblendet wurde. Bei dem Anblick der treuen, dunkelbraunen Augen und dem leichten Lächeln auf seinen schmalen Lippen, würden wahrscheinlich einige Frauen angesichts des Verlusts aufseufzen.
Und wer konnte es ihnen verübeln?
Sie hatten schließlich keine Ahnung davon, dass dieser hübsche Mann vor ein paar Stunden noch im Begriff gewesen war ein Mädchen zu vergewaltigen.
„Entspann dich.", zischte Jeff mich von der Seite an und ich bemerkte erst jetzt, wie fest sich meine Fingernägel in meine Handflächen bohrten und dass ein dünner Schweißfilm meine Haut überzogen hatte.
„Zuletzt wurde der junge Mann mit der siebzehnjährigen Stephanie Youngster gesehen. Sie entfernten sich zusammen von einer Feier im Westviertel. Zeugen berichten, sie wären nach zwei Stunden suchen gegangen. Das Mädchen war nicht am Tatort aufzufinden. Der Tatverdacht fällt unter anderem auf sie." 

Ich vergas meinen Namen. 

Das passierte gerade nicht wirklich. Oder? Jeder Zentimeter meines Körpers versteinerte sich regelrecht. Ich wollte das verdammte Ding abschalten oder mir wenigstens die Ohren zuhalten, aber meine Nerven reagierten nicht mehr, als seien sie abgestorben.
Irgendjemand lachte, lachte aus vollem Hals und schien sich gar nicht mehr einzukriegen.
„STEPH!"
Jeff schlug mir so fest ins Gesicht, dass sich die Welt kurz wie ein buntes Gummiband dehnte und genauso schnell wieder zurück in ihre gewohnte Form zurückschnellte. Und als ich in seine stechenden Augen sah, die mich beinahe beunruhigt musterten, erstarb das verzweifelte Gelächter in meiner Kehle und ließ mich mit einer stummen, jedoch schrecklich brutalen Panik zurück.
„Steph.", Jeffs Stimme klang ruhig.
Ich fragte mich, wie oft sein Name schon in den Nachrichten gefallen sein musste. Fragte mich, ob er damals auch so aufgeschmissen gewesen war wie ich, oder ob es ihn schon immer so kalt gelassen hatte.
„Du kannst nicht mehr hier bleiben.", Fuhr er fort. „Sie werden zuerst hier nach dir suchen."
Ich sah ihn an, ohne wirklich etwas zu verstehen. Alles in mir schmerzte. Sollte das letzte bisschen was ich an Leben hatte, jetzt auch noch verschwinden?
Es fühlte sich an, als hätten dünne, scharfe Fäden mein Herz umwickelt und würden sich quälend langsam immer mehr in das blutrote Fleisch schneiden. Lautlose Tränen flossen mir über das Gesicht, ohne dass ich etwas dagegen hätte machen können. 

Heute frage ich mich immer, was passiert wäre, wenn ich meine Worte anders gewählt hätte. Ob ich der Polizei meine Unschuld hätte beweisen können, oder ob ich gestorben wäre. 

Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Welt aus ganz vielen Kreuzungen von Entscheidungen besteht, und sich mit jeder Entscheidung eine neue Welt bildet, in der man sich anders entschieden hätte.
Und dann frage ich mich, wie es diesen ganzen anderen Ichs gerade geht. Und ob sie noch lebten. 

Aber mein Ich, das diese Geschichte niederschreibt, klammerte sich jetzt in den weißen Hoodie des Mörders, während die Tränen unaufhaltsam weiter über mein Gesicht liefen.
„Bitte.", meine Stimme war hauchdünn. Wie Zuckerglas. 

„Hilf mir."

Another story about this killer called Jeff (Jeff the killer FF)Where stories live. Discover now