Drei

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Vor neunzehn Jahren

Ich war gerade mal sieben Jahre alt. Sieben, verdammt. Ich war in der zweiten Klasse. Ich glaubte noch an den Weihnachtsmann, und an den Osterhasen auch.

Meine Eltern hatten sich vor nicht viel mehr als einem halben Jahr getrennt. Damals waren mir die Gründe nicht bewusst, aber irgendwann, als ich älter war, passten alle Puzzleteile zusammen.

Ich hatte eigentlich bei meiner Mutter leben sollen. Das tat ich auch, fast sechs Monate lang. Und es war wunderschön. Wir waren nicht perfekt, aber wir funktionierten. Nur wir zwei. Bis sie sich selbst das Leben nahm und mein sowieso schon angeknackstes Herz zerrissen wurde.

Zwei Wochen hatte ich, gegen deren Willen, bei meiner Tante gelebt, bis mein Vater von seiner Geschäftsreise in Shanghai zurückkam. Ich hatte mir gewünscht, dass er für mich frühzeitig zurückkommen würde, aber diese Ansprüche waren wohl zu hoch.

Jetzt zeigte er mir seine geräumige Wohnung, in der sich alles irgendwie steril anfühlte. Er hatte sie nach der Scheidung gekauft, in der er quasi alle von Moms Besitztümern ergattert hatte. Es roch nach Rauch, und Tränen, und etwas, das ich nie identifizieren konnte, auch wenn es sich für immer in mein Gehirn brannte.

„Das ist dein kleines Reich", sagte er, als er die Tür zu meinem zukünftigen Zimmer öffnete. Zu meiner zukünftigen Hölle. Es war pink gestrichen, und ich traute mich nicht, ihm zu sagen, dass meine Lieblingsfarbe eigentlich Grün war. Schließlich hatte er sich Mühe gegeben, es schön für mich zu machen. Es wäre unhöflich gewesen, ihn zu kritisieren.

Die Sonne strahlte durch ein kleines Fenster auf den Teppich. Diesen kleinen Lichtfleck würde ich oft aus verschwommenen Augen anstarren, auch wenn ich das noch nicht wusste. In dem Moment war es bloß ein Sonnenstrahl. Nichts weiter.

Er hob mich auf mein Bett. Die Matratze war zu hart, und ich mochte es nicht, dass seine Hände immer noch auf meinen Oberarmen ruhten. Moms Hände waren viel sanfter gewesen. Nicht so kalt. Sie hatte ihre Finger nicht so in meine Haut gebohrt, wie er es tat. Aber ich sagte nichts.

„Was möchtest du heute essen?", fragte er und sah mich an. In seinem Blick lag Wärme, aber sie war vergraben unter zwanzig Schichten von hartem Zement.

„Eiscreme", sagte ich und er schnaubte, als hätte ich einen Witz gemacht. Wieso? Eiscreme war eine Mahlzeit, oder nicht?

„Deine Mutter hat dir das bestimmt erlaubt, oder?" In seiner Stimme hörte ich, dass er sie dafür verurteilte.

Ich nickte. Mom hatte mich so ziemlich alles essen lassen, was ich wollte. Eis, eine halbe Packung Goldfish, Erdnussbutter ohne irgendwas anderes. Nur bei rohen Eiern hatte sie ein Machtwort gesprochen. Rückblickend lag ihre Lässigkeit vermutlich daran, dass sie nie die Energie hatte, zu kochen. Aber als Siebenjährige findet man sowas einfach cool und hinterfragt es nicht.

„Hier nehmen wir richtiges Essen zu uns. Nicht Eiscreme." Er klang fast spöttisch.

„Uhm...okay", stammelte ich vor mich hin. Gegen Vanille mit Schokosoße war nichts einzuwenden, fand ich.

„Magst du Nudeln?" Erneut nickte ich, sagte jedoch nichts.

„Okay. Klingen Spaghetti gut?", wollte er wissen, und ich piepste ein ‚Ja'. Manchmal hatte Mom mich in ein italienisches Diner ausgeführt, dessen Besitzer Donatello sie gekannt hatte, und dort hatte ich die besten Spaghetti Bolognese der Welt gegessen. Und ich hatte immer ein extra großes Stück Tiramisu bekommen, auch wenn wir es uns eigentlich gar nicht leisten konnten, Nachtisch zu essen. Aber er hatte ihn uns aufs Haus gegeben. Ich war immer der Überzeugung gewesen, er wäre in Mom verliebt.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now