Neun

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Es roch nach frisch gedrucktem Papier und Metall und viel zu vielen verschiedenen Deos auf einmal. Um es zusammenzufassen, es roch schrecklich. Ich war jahrelang nicht hier gewesen und ehrlich gesagt hätte ich das auch gerne so gelassen. Ehrlich gesagt hatte ich dieses stickige Gebäude nie wieder betreten wollen. Aber Marc wollte, dass ich endlich einen Job fand, und was Marc wollte, wurde umgesetzt.

„Was haben Sie denn studiert?", fragte er. Ich antwortete nicht, starrte stumm auf den Drucker. „Elizabeth? Hören Sie mir zu?"

„Uhm, was?" Ich räusperte mich leise und hob den Blick. Seine stechenden Augen durchbohrten mich fast.

„Alles okay?"

„Klar. Wieso?" Ich nahm einen Schluck von meinem fast schon kalten Kaffee und starrte ihn an. Sein Bart war ungepflegt und seine Fingernägel dreckig. Mir wurde schlecht von seinem Geruch, der mich an meinen Vater erinnerte. Er sah mich ein paar Sekunden lang stumm an und platzierte seine Hand viel zu nah bei meiner, woraufhin ich sie auf mein Knie schob.

„Sie wirken abgelenkt. Beschäftigt Sie etwas anderes?" Er klang kühl. „Ich sehe nicht ein, wieso Sie denken, meine Zeit verschwenden zu müssen. Ihnen sind andere Dinge anscheinend wichtiger." Spöttisch kräuselte er die Lippen. Ich wollte sie ihm am liebsten vom Gesicht schneiden.

„Nein, meine volle Aufmerksamkeit liegt bei Ihnen", sagte ich mit einem Lächeln, das meine Wangen zum Schmerzen brachte. Die Art von Lächeln, die Marc stolz gemacht hätte. Die Art, die viel zu perfekt war.

„Dann beantworten Sie doch meine Frage."

„Was war die Frage nochmal?", fragte ich. Dumm, dumm, dumm. Du bist so dumm.

„Ich habe Sie nach Ihrem Studium gefragt."

„Oh", sagte ich stumpf. „Philosophie."

„Damit können wir doch was anfangen, nicht?"

„Hab's nach zwei Semestern abgebrochen."

Das erleichterte Lächeln, das sich gerade noch auf seinem Gesicht ausgebreitet hatte, verschwand. „Wieso das?", fragte er und ich sah ihm an, wie große Mühe er hatte, nett zu bleiben.

„War einfach nicht das Richtige für mich", log ich, weil die Wahrheit unter zu viel vergraben lag und ich nicht stark genug war, so viel zu heben.

„Okay." Er atmete leise aus, was mich an Marc erinnerte, wenn er frustriert war. Was er oft war. „Haben Sie denn danach was Neues studiert? Oder gejobbt?"

„Danach bin ich Hausfrau geworden", erklärte ich.

„Das ist alles?"

Ich stockte kurz, wusste nicht, was ich antworten sollte. „Ja. Das ist alles."

„Sie könnten Putzfrau werden", schlug er vor und das war der Moment, in dem ich anfing, ihn nicht mehr zu mögen. „Mit Putzen sollten Sie sich auskennen, richtig?"

„Ja, aber-"

„Ich suche Ihnen ein paar Firmen raus", unterbrach er mich. „Ihre Telefonnummer habe ich ja."

Leider.

„In Ordnung."

„Sie können jetzt übrigens gehen", sagte er kalt. „Ich habe noch andere Leute, um die ich mich kümmern muss." Ich bekam erneut den Drang, einige Foltermethoden an ihm auszutesten, als er mich so abwertend ansah. Was für ein-

Denk an Lucie. Stell sie dir vor. Denk an ihre Katze und ihr Lächeln und atme einmal tief ein und aus. Geht doch.

„Man sieht sich." Hoffentlich nie wieder, fügte ich gedanklich hinzu und schulterte meine Tasche, die fast noch leerer war als meine Worte. Ich ging nach draußen, kein Stück schlauer als vorher und mit ein bisschen mehr Menschenhass in mir.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now