Zweiunddreißig

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Die Weihnachtszeit war meine liebste und gleichzeitig meine am meisten gehasste Zeit.

Ich mochte es, mich an die Tage zu erinnern, an denen meine Mom mich mit in die Mall genommen hatte, um den Weihnachtsmann und seine Elfen zu treffen. Die Tage, an denen wir zusammen heiße Schokolade tranken und Schneemänner bauten, falls wir genug Glück hatten, dass überhaupt Schnee fiel. Andererseits erinnerte es mich immer ein bisschen – oder eher ziemlich – schmerzhaft daran, dass der Dezember ihr letzter guter Monat war.

Den ganzen Januar über war sie die ganze Zeit nur müde, wollte nie spielen, nicht einmal zu Donatello's gehen.

Ich war zu dem Zeitpunkt erst sieben, natürlich hab' ich nichts verstanden. Ich war nur traurig, dass Mom mich – in meinen Augen – nicht mehr ganz so lieb hatte. Aber mit jedem Jahr, das danach kam, fiel es mir immer mehr auf.

Das ewige Schlafen. Dass sie mich mit dem Bus zur Schule fahren ließ, statt mich mit dem Auto hinzubringen. Dass sie kaum aß und wenn, dann nur Sachen aus der Dose. Dass sie nicht einmal mehr die Post aus dem Briefkasten holte und stattdessen unsere Nachbarin sie für uns mitnahm.

Marc liebte Weihnachten über alles. Nicht wirklich wegen Weihnachten, sondern wegen der Dinge, die mit der Weihnachtszeit kamen.

Normalerweise war Dezember die beste Zeit des Jahres für uns. Marc war glücklich, weil er seine Eltern nur sehr selten sah und wir nicht nur Thanksgiving, sondern auch Weihnachten, mit ihnen verbrachten. Er bekam einen Bonus von der Arbeit. Und wenn Marc glücklich war, dann war ich es auch. Ein glücklicher Marc hieß, verschont zu bleiben.

Dieses Jahr war anders. Dieses Jahr sah er mich kaum an, schlief in den meisten Nächten auf dem Sofa und ignorierte die Kekse, die ich buk.

Sorgfältig hob ich sie vom ausgekühlten Backblech und ordnete sie in der Dose an, die Marcs Mutter uns geschenkt hatte. Aus dem Radio ertönte leise Driving Home For Christmas, von der CD, die ich mir vor Jahren irgendwann gebrannt hatte. Von außen betrachtet war es bestimmt ein schönes Bild, eine Szene aus einem kitschigen Weihnachtsfilm, den ich mir ansehen würde, um für eine Weile alles zu vergessen.

„Es ist zu warm hier drin." Marc stand im Türrahmen der Küche, die Arme verschränkt, und blinzelte mich langsam an.

„Der Ofen war bis eben noch an", erklärte ich unnötigerweise. Der Anblick der frischen Kekse hatte ihm das bestimmt schon verraten.

„Ich merk's."

„Wie war die-"

„Ist uns doch eh beiden egal, oder nicht?" Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen die Wand.

„Und dein Plan ist jetzt einfach, nie wieder mit mir zu reden, oder wie?" Es kam giftiger raus als gewollt. Eigentlich wollte ich keinen Streit anzetteln, da war mir Schweigen lieber.

Aber es reichte wie immer nur ein winzig kleiner Funke, um Marc zum Brennen zu bringen. Das hätte ich mir mittlerweile schon merken können. Nein, ich zündete ihn lieber immer und immer wieder an.

Dumm.

„Natürlich nicht." Er schnaubte leise und verdrehte die Augen. Als wäre was ich gesagt hatte komplett abwegig. Wenn er malehrlich mit sich war, war nicht mit mir reden genau das, was er seit Wochen tat. Aber er war nicht gerne ehrlich mit sich selbst, denn dann würde ihm wohl bewusst werden müssen, dass er nicht wirklich ein heldenhafter Protagonist war. Das Eingeständnis vermied er mit allem was er hatte, wie es schien. „Mein Plan ist es, dass Michael eine gute Kindheit hat. Ob du es glaubst oder nicht, er ist mir wichtig." Dass Michael ihm wichtig war, wusste ich schon. Nur war ich es mittlerweile nicht mehr. Er griff nach einer der anderen Keksdosen, eine viereckige Rote mit Mistelzweig-Druck und kaute auf einem Lebkuchenmann herum. „Wenn er uns nicht sieht oder hört, muss ich nicht nett zu dir sein", sagte er mit vollem Mund, was dazu führte, dass kleine Krümel auf sein Hemd flogen. Er beförderte sie mit einer Handbewegung auf den Boden und stieß sich von der Wand ab.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now