Achtunddreißig

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Marc wartete darauf, dass ich seine beschissenen Papiere unterschrieb. Und fast, irgendwie, tief drin in meinem Kopf, wollte ich das auch. Einfach, um ihn endlich los zu sein. Aber ihn los zu sein würde auch bedeuten, Michael zu verlieren und das war das Allerletzte, was ich wollte. Wirklich.

Ich saß am Küchentisch und sah aus dem Fenster. Marc saß neben mir und starrte mich an, gleichzeitig kühl und voller hitziger Wut in seinem Blick. „Unterschreib' einfach", forderte er mich auf.

Ich hob den Blick, sodass meine Augen auf seine trafen. „Nein."

„Was zum Fick ist dein Problem?" Er raufte sich die Haare, stöhnte genervt.

„Das weißt du ganz genau", sagte ich leise. Meine Stimme fühlte sich belegt an, dumpf. Als würde in meinem Hals ein nicht auszuhaltender Wind wehen.

Er verdrehte die Augen und schob den hellblauen Stift, der vor mir lag, noch näher zu mir. „Ich hab' doch gesagt ich geb' dir noch ein Wochenende mehr, wenn du das unbedingt willst."

„Ich will kein Wochenende mehr, Marc." Ich schluckte. Befahl der Stimme, die mir sagte, vielleicht, nur ganz vielleicht, doch zu unterschreiben, leise zu sein. „Ich will alles und das weißt du."

„Das ist lächerlich und das weißt du. Du hast kein Geld, um für ihn zu sorgen. Du hättest nicht einmal eine Wohnung."

Hatte ich nicht, das stimmte. Aber ich wusste, dass ich bei Lucie willkommen war, egal was passierte. Das hatte sie immerhin selbst gesagt. Und einen Job konnte ich mir suchen. Glaubte – hoffte – ich. Auch wenn ich keinen Abschluss hatte, für irgendetwas würde es schon reichen. „Und du hast keine Zeit", murmelte ich. „Du arbeitest andauernd."

„Weißt du was Nannys sind, Betty?" Er wusste, welche Knöpfe er drückte, wenn er mich so nannte, er wusste es ganz genau. Vor allem wenn er es in dem Ton sagte – mit einem leichten, picksüßen Lächeln auf den Lippen. Er hatte mich nie an meinen Vater erinnert, zumindest nicht vom Äußerlichen. Aber der Blick, den er mir jetzt schenkte – dieses falsche Nett, das war Christian in Person.

„Ja. Wir haben eine."

„Na dann. Wäre ja kein Problem, oder?"

„Doch. Weil wir die Nanny nur haben, wenn wir beide-" Ich wurde von dem Läuten meines Handys unterbrochen. Auf dem Display leuchtete Lucies Name, was mich erleichterte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Dad geredet.

„Eleanor! Hey. Kannst du gerade?"

„Konnte nie besser." Ich stand auf und entfernte mich etwas von Marc. Er musste nicht alles mitbekommen.

„Wie geht's dir?", fragte sie.

Ich wollte nicht Gut sagen, weil das eine Lüge gewesen wäre. „Ich bin am Leben."

„Klingt rosig."

„Ist es auch." Ich spürte Marcs Starren in meinem Rücken, weshalb ich mich ins Gästezimmer verkroch. „Wieso rufst du an?", fragte ich Lu, während ich mich auf das Bett setzte.

„Ich hab' dir nen Anwalt gefunden." Stolz schwang in ihrer Stimme mit.

Ich brauchte einige Sekunden, um ihre Worte zu verarbeiten. Ich glaube, mein Gehirn ging sofort davon aus, dass sie los. Um mich also zu vergewissern, hakte ich nach: „Wirklich? Wie?"

„Dad hatte noch nen Gefallen bei einem Freund von sich offen, weil er dessen Tochter mal im Schnee heimgefahren hat und der hat einen Freund und der hat gesagt, er übernimmt dich ohne Kosten, wenn du ab und zu auf seine Nichte aufpasst."

„Also kriege ich einen Anwalt, wenn ich...babysitte?"

„Ja."

„Ich..." Mein Herz flatterte. Als würde es gleich aus meiner Brust springen und ganz einfach wegfliegen, frei sein. Weil ich frei war, frei von ihm – zumindest fühlte es sich in dem Moment so an. Ich fühlte mich so frei, so leicht, so gut. „Ich glaube, ich kann dir nicht oft genug danken, Lu."

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now